Stickstoffdünger wird für rheinische Landwirte immer teurer. Doch auch die Produzenten leiden - und ziehen Konsequenzen.
Chemiebranche unter DruckIneos streicht im Chempark Worringen 300 Stellen

Ineos produziert im Chempark in Worringen unter anderem Stickstoffdünger.
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Eric Lothmann betrachtet seine Weizenpflanzen. Der Landwirt aus Bedburg zupft eine weiß gefärbte Ähre vom Halm, der Hagelschlag Ende Mai hat seine Spuren hinterlassen. Hinter ihm erstrecken sich Felder bis zum Horizont. Der 32-jährige Landwirt führt das Gut Gommershoven bereits in dritter Generation.
Wie jedes Frühjahr haben Lothmann und seine vier Mitarbeiter im April tonnenweise Kunstdünger auf den Feldern ausgefahren, genau berechnet auf den Bedarf der Pflanzen. Damit der Weizen viel Proteine anreichern kann, braucht er Stickstoffdünger. In Lothmanns Fall etwa eine halbe Tonne pro Hektar.

Getreideproduzent Eric Lothmann von Gut Gommershoven leidet unter teuren Düngerpreisen.
Copyright: Martina Goyert
Und genau hier liegt das Problem: Kunstdünger ist in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden. Als der Krieg in der Ukraine begann, schossen die Düngerpreise rasant in die Höhe. Der Industrieverband Agrar beschrieb die Entwicklung in den Jahren 2021 und 2022 als „beispiellos“: Im Januar 2021 hätten 100 Kilogramm Kalkammonsalpeter, einem der wichtigsten Stickstoffdünger, im Rheinland etwa 23 Euro gekostet. Im Januar 2022 seien es bereits 35 Euro gewesen, im Oktober 2022 104 Euro – ein „bis dahin kaum für möglich gehaltener historischer Höchststand“. Wer also 2022 seinen Dünger für 2023 bestellen wollte, konnte schnell an den Rand der Existenz gelangen.
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Inzwischen haben sich die Weltmarktpreise zwar wieder stabilisiert, doch die Verwerfungen haben Spuren hinterlassen. Nicht nur bei den Landwirten, sondern auch in der Chemieindustrie. Denn Stickstoffdünger besteht aus Ammoniak – und um das herzustellen, braucht es teures Erdgas.
Produktion von Ammoniak ist teuer
Ineos aus Köln-Worringen ist einer von wenigen Chemiekonzernen in Deutschland, der Ammoniak herstellt. Das Gelände am Rhein ist so weitläufig, dass Energie-Manager Stephan Müller mit dem Auto über das Werksgelände fährt, um die weiter entfernten Anlagen zu erreichen. Er deutet auf einen kugelförmigen Tank mit der Aufschrift „NH3“. „In diesen Tanks lagert Ammoniak“, sagt er. Ein kleiner Teil dieses Ammoniaks gehe in die Düngemittelindustrie. Den Großteil verarbeitet Ineos zu Acrylnitril oder Azeotropsäure weiter, die etwa für Bekleidung und Kunststoffe verwendet werden. Bei der Produktion entsteht zudem Ammoniumsulfat als Nebenprodukt, ebenfalls ein Stickstoffdünger – rund 50.000 Tonnen pro Jahr.
Am hinteren Ende des Chemiewerks stoppt Müller das Auto und steigt aus. Er zeigt auf einen Anlagenkomplex. „Diesen Teil des Werks mussten wir abstellen“, sagt er. „Die Lage der Chemieindustrie ist dramatisch.“ Die hohen Energie- und Gaspreise treffen Ineos hart, der steigende CO2-Preis verschärft die Situation zusätzlich. Allein für das ausgestoßene CO2 zahlt Ineos eigenen Angaben zufolge etwa 80 bis 90 Millionen Euro im Jahr. Einen großen Teil der Emissionen mache die Ammoniakanlage aus.

Stephan Müller ist bei Ineos unter anderem zuständig für Strom- und Erdgasverträge.
Copyright: Uwe Weiser
Die Branche steht unter Druck. Auch BASF in Ludwigshafen und SKW Piesteritz haben ihre Ammoniakproduktion heruntergefahren oder einzelne Ammoniak-Anlagen stillgelegt. „Auch wir haben Sorge um unseren Standort“, sagt Müller.
Bereits seit zwei Jahren seien die Produktionskapazitäten von Kölns größtem Chemieunternehmen nur zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet. Was das für die rund 2500 Mitarbeitenden langfristig bedeutet, ist unklar. Noch in diesem Jahr sollen 200 bis 300 Arbeitsplätze abgebaut werden, sagt Ineos. Das soll sozialverträglich geschehen, betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden werden.
EU antwortet mit Zöllen
Unterdessen drängen günstige Düngemittelproduzenten aus dem Ausland auf den deutschen Markt und unterbieten die deutschen Hersteller. Insbesondere Russland flutete den deutschen Düngermarkt in den vergangenen Jahren mit Dünger zu Dumping-Preisen. Die Einnahmen daraus gelten als Finanzierungsquelle für den russischen Angriffskrieg.
Die EU hat deshalb zusätzliche Zölle auf russischen Dünger verhängt. Mit Zusatzzöllen belegt werden sollen etwa Zucker, Essig, Mehl und Tierfutter sowie Düngemittel auf Stick- und Harnstoffbasis. Damit wären künftig alle Agrarimporte aus Russland mit Abgaben belegt. Die Zollerhöhungen auf Düngemittel werden schrittweise über drei Jahre eingeführt. 2023 importierte die EU etwa ein Viertel der von den neuen Abgaben betroffenen Düngemittel aus Russland. Das entspricht den Angaben zufolge einem Wert von 1,28 Milliarden Euro. Diese Abhängigkeit kann für die EU zum Problem werden, denn Russland könnte diese Marktmacht als Druckmittel nutzen.
Den Plänen zufolge sollen auf die Produkte Zusatzzölle in Höhe von 6,5 Prozent fällig werden. Dazu kommen jährlich steigende Abgaben: Ab Juli würden je nach Produktart 40 bis 45 Euro pro Tonne fällig werden, bis 2028 soll die Abgabe auf 315 bis 430 Euro pro Tonne steigen. Für Landwirte wie Lothmann dürfte das den Druck und die Kosten noch weiter erhöhen: „Es ist nicht mehr das Wetter, das über den Erfolg meines Betriebs bestimmt.“ (mit dpa)