Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Deutschland in der WirtschaftskriseWir haben für alles eine Ausrede – nur keine Lösung

5 min
Auch die Auto-Industrie verhalf Deutschland zum wirtschaftlichen Erfolg. Hier sieht man den Konstrukteur des erfolgreichen Kleinwagens, des VW Käfer, Professor Ferdinand Porsche, 1939 auf einer Versuchsfahrt in den österreichischen Bergen.

Auch die Auto-Industrie verhalf Deutschland zum wirtschaftlichen Erfolg.

Sohrab Salimi kam als Kind Geflüchteter aus dem Iran nach Köln. Der German Dream bedeutet für ihn: verdienter Erfolg und gemeinsames Schaffen. Ein sehr persönliches Plädoyer an Deutschland.

Erste Klasse, 1988. Meine Klassenlehrerin verteilt die Mathehefte. Sie legt meins auf den Tisch, lächelt kurz, geht weiter. Keine besondere Geste. Genau das war das Besondere. Sie sah nicht das Kind, dessen Eltern zwei Jahre zuvor aus dem Iran geflohen waren. Sie sah den Schüler. Meine Leistung zählte - nicht meine Herkunft. Ich wusste in dem Moment: Hier zähle ich. Nicht als Ausnahme. Als Schüler. Am Ende der Grundschule war ich Klassenbester. Nicht weil man mir half, sondern weil man von mir das Gleiche erwartete wie von allen anderen. Das war Deutschland für mich: ein Land, das nicht fragte, woher du kommst, sondern was du leistest.

Meine Eltern hatten das verstanden. „Hier kannst du alles erreichen", sagten sie, „aber du musst es dir erarbeiten." Mein Vater studierte Elektrotechnik an der RWTH Aachen, in einer Sprache, die er erst lernen musste. Daneben arbeitete er 20 bis 30 Stunden die Woche als Hilfskraft. Abends saß er am Rechner und programmierte. Ich erinnere mich an das Klackern der Tastatur nachts um elf. Er lernte nicht nur Deutsch - er brachte sich C++ selbst bei. Seine Professoren gaben ihm diese Jobs - aber nur, weil er lieferte. Jahre später gründeten meine Eltern ein Unternehmen. Über hundert Menschen bekamen dort ihren Einstieg ins Arbeitsleben - viele mit einem ähnlichen Hintergrund wie sie selbst. So funktionierte der Vertrag. Deutschland forderte viel. Aber es versprach auch viel: Wer beiträgt, gehört dazu.

Mit 18 hielt ich den deutschen Pass in der Hand. Ich verpflichtete mich auf das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Aber auch: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung." Rechte und Pflichten. Beides zusammen. Nicht das eine ohne das andere. Dieser Pass war kein Geschenk. Er war ein Vertrag. Deutschland war einmal stolz darauf. Auf Sorgfalt, Disziplin, Zuverlässigkeit. Auf die Idee, dass gute Arbeit zählt - egal, wer sie leistet. Während Amerika vom Einzelnen träumte, der aus dem Nichts zum Millionär wird, träumte Deutschland vom Wir. Vom starken Mittelstand. Von Handwerk und Ingenieurskunst. Von einer Gesellschaft, in der jeder, der arbeitet, auch gut leben kann.

Nicht der beste Einzelspieler gewinnt, sondern das beste Kollektiv
Sohrab Salimi

Das war der German Dream. Nicht schnelles Geld, sondern verdienter Erfolg. Nicht Umverteilung, sondern gemeinsames Schaffen. Ludwig Erhard nannte es „Wohlstand für alle" - aber er meinte nie Wohlstand ohne Leistung. Wenn du sehen willst, wie das heute aussieht, schau dir unsere Basketball-Nationalmannschaft an. Welt- und Europameister - mit einem Bruchteil der NBA-Stars, die andere Nationen haben. Dennis Schröder, Franz Wagner, andere Namen. Unterschiedliche Hintergründe, eine Mannschaft. Nicht der beste Einzelspieler gewinnt, sondern das beste Kollektiv. Genau so haben wir Deutschland nach dem Krieg aufgebaut. Mit Pragmatismus, nicht mit Bürokratie. Mit Mut, nicht mit Ausreden. Doch heute scheinen wir das vergessen zu haben.

Wir reden über Ansprüche, nicht über Verantwortung. Wir fragen, was uns zusteht - nicht, was wir beitragen können. Wir verwalten Probleme, statt sie zu lösen. „Von nichts kommt nichts" - das wussten unsere Eltern noch. Heute klingt dieser Satz altmodisch. Währenddessen kopieren andere Länder genau die Tugenden, die wir aufgegeben haben: Disziplin, Fleiß, Gemeinschaftsgeist. China ist eines davon. Doch statt zu fragen, was wir lernen können, erklären wir, warum das bei uns „nicht möglich" ist. Zu kompliziert. Zu riskant. Zu unbequem. Wir haben für alles eine Ausrede - nur keine Lösung.

Auch in der Politik reden wir lieber, als zu handeln. Wir moralisieren, belehren, fordern von der Welt, was wir selbst nicht einlösen. Doch Verantwortung beginnt nicht auf der Weltbühne. Sie beginnt im eigenen Spiegelbild. Das haben mir meine Eltern beigebracht. Und meine Lehrerin. Bevor du andere kritisierst, frag dich: Was ist mein Anteil daran? Diese Haltung macht nicht klein. Sie macht stark.

Unternehmertum heißt nicht, ein Unternehmen zu besitzen. Es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Für sich selbst. Für andere. Für die Zukunft. Egal, ob du Gründer bist, Angestellter, Lehrer oder Politiker. Der deutsche Wohlstand war nie das Ergebnis von schönen Worten oder guten Absichten. Er war das Ergebnis von Taten. Von Menschen, die nicht gefragt haben, was ihnen zusteht, sondern was sie schaffen können. Die nicht mit dem Finger auf andere gezeigt haben, sondern mit beiden Händen angepackt haben.Wir brauchen diesen Geist wieder.

Den Mut, Dinge besser zu machen, statt sie nur zu kritisieren. Die Klarheit, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören - wie Rechte und Pflichten. Die Bereitschaft, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Deutschland muss sich nicht neu erfinden. Es muss sich nur erinnern. An die Werte, die es stark gemacht haben. An den Vertrag zwischen Leistung und Teilhabe. An die Idee, dass jeder, der beiträgt, dazugehört. Meine Lehrerin hat das gewusst. Mein Vater hat es gelebt. Deutschland hat es mir ermöglicht. Jetzt sind wir dran. Deutschland, erinnere dich, wer du bist.

Zur Person und zur Kolumne

Sohrab Salimi

Sohrab Salimi

Sohrab Salimi ist Gründer und CEO der Agile Academy. Er hat über 20 Jahre Berufserfahrung als Trainer für kleine bis sehr große Unternehmen. Sohrab Salimi lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Köln. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er in seiner Kolumne „Von nichts kommt nichts“ einmal im Monat über Fragen und Themen rund um die Arbeitswelt.