Abo

„Habe mich geschämt und geweint“Rumänische Bettlerin berichtet, warum sie nach Köln gekommen ist

6 min
Rosa (Name geändert) bettelt seit rund fünf Jahren in Köln.

Rosa (Name geändert) bettelt seit rund fünf Jahren in Köln.

Rosa, 75 Jahre alt, bettelt seit fünf Jahren in der Schildergasse – und finanziert so ihr Leben in Rumänien. Was sie verdient und wann es zu Konflikten kommt.

Plattenbauten aus Beton wechseln sich ab mit alten Häusern, deren Stuckverzierungen und bröckelnde Fassaden schon bessere Tage gesehen haben. Wie so viele Städte Rumäniens wurde Fagaras, wo heute noch rund 26.000 Menschen leben, spätestens nach dem Ende des Kommunismus vom Niedergang seiner Industrie erschüttert. Eine Wasserburg, einst Fürstensitz, später im Kommunismus als Gefängnis genutzt, ist das Wahrzeichen der Stadt. Viele Menschen zog es nach 1989 auf der Suche nach Arbeit in größere Städte – oder gleich ins Ausland. Die Wasserburg ist heute ein Museum.

Viel vermisst Rosa an ihrer Heimatstadt nicht. „Es gibt kaum Arbeit, kaum eine Zukunft für junge Menschen“, sagt sie. „Da hat man nicht viel Heimweh.“ Rosa ist 75 Jahre alt, ihr richtiger Name ist ein anderer. Seit fünf Jahren kommt sie jeden Winter nach Köln, um auf der Schildergasse zu betteln. Anonym hat sie sich bereit erklärt, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ von ihrem Leben zu erzählen: Warum sie ihre Heimat zum Betteln verlässt, was sie auf Kölns Straßen erlebt und warum so viele andere Rumäninnen und Rumänen denselben Weg gehen. Friederike Bender, Streetworkerin der Oase, übersetzt für sie.

Wegen Job bei Reinigungsfirma nach Köln gekommen

„Zum ersten Mal bin ich 2020 nach Köln gekommen, kurz nachdem mein Mann gestorben ist“, sagt Rosa. Mit ihm und ihren acht Kindern lebte sie in einem alten Haus am Rand von Fagaras, das noch ihre Eltern gebaut hatten. Ihr Mann hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs als Bauarbeiter über Wasser – die meisten davon ohne Vertrag. Über Umwege verschlug es eine ihrer Töchter auf der Suche nach Arbeit nach Köln. Sie landete bei einer großen Reinigungsfirma.

„Ich hatte kein Geld mehr, konnte das Haus im Winter nicht mehr heizen. Also habe ich mich dazu entschieden, auch nach Köln zu kommen.“ Zunächst arbeitete Rosa wie ihre Tochter bei der Reinigungsfirma. Sie kam in der Wohnung einer gemeinsamen Bekannten in Kalk unter, wo sie ein Zimmer für 90 Euro im Monat bezog. „Aber die Arbeit habe ich körperlich nicht lange durchgehalten.“

In der Innenstadt fielen ihr die Menschen auf, die an den Fassaden der großen Geschäfte saßen und um Geld bettelten. Irgendwann entschied sich Rosa in ihrer Verzweiflung, sich ebenfalls auf die Straße zu setzen. Sie besorgte sich eine gepolsterte Tasche, auf der sie knien konnte, und einen Pappbecher, den sie vor sich aufstellte.

„Das erste Mal war sehr schwer“, sagt sie. „Ich habe mich geschämt, habe geweint.“
Rosa, rumänische Bettlerin

„Das erste Mal war sehr schwer“, sagt sie. „Ich habe mich geschämt, habe geweint.“ Und doch funktionierte es. Schon am ersten Tag sammelte sie in wenigen Stunden genug Geld, um mehrere Tage über die Runden zu kommen. „Ich dachte: Wenn ich das weitermache, kann ich wenigstens die Miete zahlen und etwas zurücklegen, um im Sommer in Fagaras zu leben.“ Also kam sie wieder. Am nächsten Tag. Und am übernächsten.

Rund vier Monate im Jahr verbringt Rosa seither auf Kölns Straßen. Auf der Schildergasse hat sie ihren festen Platz. Von halb elf bis etwa 15 Uhr kniet sie dort und bettelt. Zwischen 7 und 35 Euro verdient sie pro Tag, sagt sie, in der Vorweihnachtszeit manchmal etwas mehr. „Wenn es gut läuft, reicht es für Essen, Miete und etwa 50 Euro im Monat, die ich für Rumänien zurücklegen kann.“

Konflikte mit anderen Bettlern in Köln

Sozialkontakte hat Rosa in Köln kaum. Neben ihrer Tochter und der Bekannten in Kalk kennt sie fast niemanden. Angebote der Stadt oder sozialer Träger nimmt sie selten wahr. Friederike Bender von der Oase, die Rumänisch spricht, bildet da eine Ausnahme.

Die Kölnerinnen und Kölner erlebt Rosa als hilfsbereit. Anfeindungen habe sie bisher nicht erlebt, auch mit Polizei oder Ordnungsamt habe es keine Probleme gegeben. „Wenn jemand kein Geld gibt, bringt er mir manchmal Essen oder Kleidung“, sagt sie. Eine Frau komme fast jede Woche vorbei und bringe ihr Medikamente gegen ihren Diabetes. „Als wäre sie vom Himmel gefallen“, sagt Rosa und lächelt. „Sie ist wie ein Engel für mich.“

Die Streetworkerin Friederike Bender arbeitet viel mit rumänischen Bettlern in Köln.

Die Streetworkerin Friederike Bender arbeitet viel mit rumänischen Bettlern in Köln.

Gleichzeitig ist sie vorsichtig. „Ich spreche kein Deutsch und weiß oft nicht, was die Menschen von mir wollen.“ Mehrmals hätten Passanten Fotos oder Videos von ihr machen wollen – für Youtube oder Facebook. „Das möchte ich nicht“, sagt sie. „Deshalb bleibe ich lieber für mich.“

Ganz gelingt das nicht immer. Mit anderen Bettlern komme es regelmäßig zu Konflikten, vor allem in der Vorweihnachtszeit. „Dann werde ich beschimpft, mein Becher wird umgeschmissen oder sie versuchen, mir Geld zu stehlen“, sagt Rosa. Deshalb halte sie Abstand – auch zu anderen rumänischen Bettlern. Persönlichen Kontakt habe sie zu ihnen nicht. Dass viele von ihnen aus Rumänien kommen, wundert sie nicht. „In unserer Heimat gibt es keine Arbeit, keine Wohnungen, keine Zukunft. Die Leute kommen aus den gleichen Gründen wie ich hierher: weil sie keine anderen Möglichkeiten sehen.“

Stellvertretend für viele Geschichten

Aus Sicht von Streetworkerin Friederike Bender von der Oase ist Rosas Schicksal stellvertretend für viele Geschichten, die sie von rumänischen Bettlerinnen und Bettlern in Köln hört. „Der Hauptgrund, warum die Menschen aus Rumänien hierher zum Betteln kommen, ist Armut“, sagt sie. Bei vielen handele es sich um Angehörige von Minderheiten, die in ihrer Heimat diskriminiert würden und besonders schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten.

Von organisierten Strukturen oder einer Bettelmafia könne sie nicht berichten. „Das erlebe ich nicht.“ Dass einige Familien – vor allem auf der Hohe Straße – dauerhaft auf der Straße lebten, habe praktische Gründe. „Zum einen geht es darum, die besten Bettelplätze nicht zu verlieren. Zum anderen ist es in den Notschlafstellen kaum möglich, gemeinsam als Familie oder als Ehepartner zu übernachten.“ Mehr Offenheit für solche Wohnformen sei aus ihrer Sicht ein wichtiger Ansatz, um diese Menschen besser zu erreichen. Auch Krankenwohnungen und die Einrichtung von Postadressen für EU-Bürger, die auf der Straße leben, könnten die gesundheitliche Lage und Erreichbarkeit erheblich verbessern.

Auch wenn ihre Heimatstadt Fagaras nicht viel zu bieten hat, freut sich Rosa darauf, nach dem Winter in Köln bald wieder dort zu sein. „Denn außer meiner Tochter hier wohnen noch alle meine Kinder mit ihren Familien in Fagaras.“ Die Familie und ihr altes Haus seien die einzigen Gründe, warum sie nach jedem Winter nach Rumänien zurückkehrt.

Für die Zukunft hat Rosa bescheidene Ziele. „Ein Stück Brot zum Essen jeden Tag, mehr brauche ich nicht.“ Vielleicht noch eines: „Gesundheit“, sagt sie. „Gesundheit ist das Wichtigste.“