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Kaum noch KölschGerd Köster wirft WDR „lingualen Rassismus“ vor

6 min
Gerd Köster sitzt in einem Café

Gerd Köster macht sich für den Erhalt der kölschen Sprache stark. 

Zum zweiten Mal wird am Sonntag, 21. September, der „Daach der kölschen Sproch“ gefeiert. Einer der bekanntesten Kölner, der am liebsten in seiner Muttersprache redet – und auch schimpft – ist Gerd Köster.

Ein verregneter Morgen in der Südstadt. In einer Bäckerei-Filiale nimmt der Sänger und Schauspieler Gerd Köster Platz. Da es in dem Interview um seine Heimatsprache geht, verzichten wir auf das „Sie“ – im Kölschen duzt man sich schließlich schneller, als eine Stange Kölsch gezapft ist. Meint auch der „Jächt“.

Wo hast Du Kölsch gelernt?

Gerd Köster: Ich bin in Nippes aufgewachsen. Da fing das Kölsch schwade schon im Sandkasten an. Die meisten – nicht alle – meiner Freunde waren von klein auf kölsche Junge und Mädcher und haben natürlich kölsch gesprochen. Das war ein ganz organischer Prozess.

Gerd Köster: Kölsch im Sandkasten gelernt

Kann man Kölsch auch später noch lernen?

Ja, aber nur zum Teil. Meine Söhne beispielsweise, die sprechen beide normalerweise kein Kölsch. Und wenn sie es ab und zu mal verwenden, dann klingt das wie Konrad-Beikircher-Kölsch, also so ein Kabarettisten-Kölsch. Man hört eindeutig, dass es nicht ihre Alltagssprache ist. Das haben die nicht gelernt, weil sie von klein auf keine Freunde hatten, die richtiges Kölsch gesprochen haben. Um wirklich gossenreines Kölsch zu sprechen, muss man das früher lernen.

Es heißt ja auch, der „Jächt Köster“, der spricht so ein herrlich dreckelijes Kölsch…

Ich spreche nun mal von klein auf das Kölsch der Straße. Ich bin ziemlich entsetzt, wenn manche Kölner, auch Kölschsprechende, sich so von dem Rustikalen distanzieren. Ich finde, das gehört zu jeder Mundart dazu. Wenn du den Gerhart Polt zum Beispiel in Bayern fluchen hörst – oder den Ottfried Fischer – dann ist das herzerfrischend: Das ist die Verdauung der Seele. Das gehört zu jeder Sprache und schon erst recht zur Mundart. Aber leider gibt es Leute, die die Sprache kastrieren wollen.

In deiner Kindheit galt Kölsch nicht gerade als schick.

Nein, schick war das nicht, aber ich habe sehr früh festgestellt, als ich auf dem Gymnasium war, dass es sowohl unter den Bildungsbürgern als auch bei den Kraade Gute und Idioten gab. Ich habe schnell gelernt, dass man nie alle über einen Kamm scheren darf – schon gar nicht wegen der Sprache.

Ein Dialekt gilt als regional unterschiedliche Aussprache des Hochdeutschen. Kölsch hingegen hat eine eigene Syntax, eine eigene Grammatik – und gilt daher als Sprache…

Die eine saren esu, die andere saren esu (lacht). Im Kölschen gibt es schon eine Grammatik, die aber recht dehnbar ausgelegt wird. Kölsch ist eine Sprache, die von fast jedem ein bisschen anders geschrieben, aber auch gesprochen wird. Früher war das Kölsch auch in jedem Veedel ein bisschen anders. Es gibt keine einheitliche Orthografie, keine einheitliche Phonetik, aber es gibt unglaublich viele Kölsch-Polizisten.

Wo hilft dir Kölsch im Alltag?

Manchmal verleiht es einem ein wenig Autorität. Gegenüber Leuten, die denken: „Oh, da ist ein Eingeborener, da musst Du aufhören“ – gerade weil Kölsch dieses Kraade-Image hat. Obwohl ich weiß Gott weit entfernt davon bin, ein Straßenschläger zu sein (lacht).

Wie reagieren andere Prominente auf den kölsch sprechenden Schauspieler und Sänger Gerd Köster?

Da fällt mir Katharina Thalbach ein. Von der wusste ich, dass sie so richtiges Straßen-Berlinerisch beherrscht, was ich unheimlich gerne höre. Bei einer Zigarettenpause für Dreharbeiten habe ich sie dann op Kölsch angesprochen. Plötzlich wurden ihre großen Augen noch etwas größer – und dann hat sie zurückberlinert. Das hatte etwas Spirituelles, das war direkt bei dir.

Die Mundart sozusagen als Türöffner?

Genau, sie hat etwas Öffnendes, eine ganz große, integrative Kraft. Das habe ich schon ein paar Mal erlebt – Katharina Thalbach ist ein prominentes Beispiel.

Stirbt die kölsche Sprache aus?

Sie „es am ussterve“. Aber bis dahin wird es noch was dauern, da es ja immerhin noch den Karneval mit einem riesigen Fundus kölschen Liedguts gibt. Düsseldorf gilt zwar auch als Karnevalshochburg, aber da gibt es kein historisches und vor allem gutes Liedgut. Das ist eigentlich traurig.

Stört es dich, dass viele junge Bands op Kölsch singen, die Sprache aber im Alltag nicht beherrschen?

Bei Kasalla oder Cat Ballou höre ich sofort, dass Kölsch nicht deren Alltagssprache ist. Aber das ist nicht schlimm, überhaupt nicht. Dass andere Bands plötzlich kölsch singen, mag finanziellen Interessen geschuldet sein, was auch nicht weiter verwerflich ist, aber es ist eine durchaus kalkulierte Angelegenheit.

Wolfgang Niedecken hat mal gesagt: „Mach nie was in einer Sprache, in der du nicht denkst.“ Ist da was dran?

Hm, das ist jetzt lustig. Ich hatte früher immer das Gefühl, dass er eigentlich auf Hochdeutsch schreibt und dann übersetzt – später dann nicht mehr so, aber anfangs schon. Also, wie er einst geschrieben hat, so sprach, so spricht keiner.

Apropos: So wie die Kölner Tatort-Kommissare sprechen, hat man eher das Gefühl, im Ruhrgebiet zu sein, während bei den Kollegen in München viel Bayerisches vorkommt…

Das ist richtig. Es findet im Fernsehen eine Art linguistischer Rassismus statt. Der WDR zum Beispiel macht jede bescheuerte Karnevalssendung wie die karnevalistische Hitparade, aber sobald man mit dem rheinischen Dialekt ankommt, heißt es, dass man das nicht senden könne, weil die Menschen in Bielefeld das auch verstehen müssten. Dass die Puppensitzung aus dem Hänneschen-Theater nicht mehr gezeigt wird, werde ich dem WDR nie verzeihen. Das Hänneschen ist wirklich aktive, lebende Brauchtumspflege. Oder nehmen wir das Radio: Auf WDR 5 kommen im alltäglichen Musikprogramm alle möglichen Sprachen vor, bulgarische, spanische, afrikanische Volkslieder – aber kölsche gibt es da nie.

Hast du eine Erklärung?

Kölsch ist für die Karneval, und darüber hinaus findet das nicht statt.

Wird im Karneval nicht manchmal zu viel Heimatliebe op Kölsch besungen, dass man Gefahr läuft, dabei eine rechte Flanke zu öffnen?

Man muss aufpassen. Heimat ist ja eigentlich etwas Tolles, ein schöner Begriff, das wehrlose Wörtchen ist leider oft missbraucht worden. Köln ist meine Heimat, mein Zuhause, aber ich würde niemals ein T-Shirt tragen, wo „Stolz ne Kölsche ze sin“ drauf steht. Denn das ist ja Zufall, dass ich hier geboren bin. Ich liebe Köln. Aber Stolz? Wie geht das, wenn man gar nichts dabei getan hat?

Welche Sachen gibt es, die man im Kölschen besser ausdrücken kann als im Hochdeutschen?

Du kannst auf Kölsch manche Sachen, die auf Deutsch zu scharf klingen würden, thematisieren, ohne dass es den Hörer direkt abstößt. Unser Song über ein WG-ähnliches Altersheim, in dem nur Musiker untergebracht sind, heißt „Seniorenstift Am Aasch e Tröötche“. Wie würde das wohl auf Hochdeutsch heißen? „ Seniorenstift Am Po ein Waldhorn“? Das ist doch Quatsch.

„Sackjeseech“ heißt eines Deiner bekannten Lieder. Macht Schimpfen auf Kölsch mehr Spaß?

Ja, schimpfen macht sowieso Spaß. Man sollte es nur nicht übertreiben. Wie ich eben schon sagte: Das ist die Verdauung der Seele. Wenn ich mir zum Beispiel den Kopf stoße, fluche ich immer. Das ist ein Reflex, das ist gar nicht überlegt –meistens auch oft verbunden mit einer Selbstbeschimpfung.

Als Ur-Form des kölschen Liedes gilt das Krätzje, das du mit deinem 2023 leider verstorbenen Gitarristen Frank Hocker jahrelang gepflegt und weiterentwickelt hast und auch aktuell bei deinen Auftritten feierst. Wie erklärt man einem Zugezogenen, was das ist?

Das ist ein kölscher Moritaten-Gesang. Das ist vergleichbar mit den Gstanzln in Bayern, wie es etwa die Gruppe Biermösel Blosn gemacht hat. So wie Frank die Krätzjer-Kultur weiterentwickelt hat, waren zuvor schon die Vier Botze berühmte Vertreter, die sangen vierstimmig und galten als die Comedian Harmonists von Köln.

Auch Ludwig Sebus oder das Colonia-Duett sangen einst Krätzjer. Warum ist diese Lied-Form im Sitzungskarneval so gut wie verschwunden?

Ja, da muss man auch mal ein bisschen zuhören, das ist schon recht textlastig, denn da werden Geschichten erzählt. Wer will das in Sälen wie dem Gürzenich denn hören? Wenn du heute Songs für den Sitzungskarneval machst, muss spätestens der zweite Refrain von allen mitgesungen werden können. Mir persönlich liegt sowas nicht. Das Krätzje ist das einzig wirklich originär kölsche Musikgenre. Da kastriert sich das Gros der Kölner Musiker leider selbst.

Wie unterstützt du den „Tag der kölschen Sproch“?

Das mache ich, indem ich ja eigentlich schon seit 35 Jahren kölsch singe und seit etlichen Jahren schon auch kölsche Lesungen abhalte. Es wurden vor mehr als 100 Jahren richtig klasse Gedichte op Kölsch geschrieben. Das habe ich auch erst in den letzten 20 Jahren erfahren. Da habe ich mir eine Lesung zusammengestellt: „Tiefkölsches & Hochdeutsches“. Das ist aber nur ein Beitrag dazu, dass das Kölsche erhalten bleibt.

Sprachen verändern sich, Dialekte auch…

Natürlich, das wird keiner verhindern, dass das passiert – allein schon durch die Migration. Aber es ist doch lustig, wenn einer aus dem Iran plötzlich Kölsch spricht. Natürlich klingt das geknubbelt, aber das hat doch was. Ich gehöre nicht zu den Kölsch-Taliban oder zur Kölsch-Polizei. Man kann natürlich jemanden verbessern, damit er es richtig ausspricht. Aber es ist nicht so, dass ich sage: „Oh Gott, lass es lieber sein!“ Viel wichtiger ist das Interesse und die Freude an der Mundart.