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Mutmaßliche Kreml-AgentenSprengstoff-Pakete sollten womöglich von Köln aus verschickt werden

Lesezeit 6 Minuten
Auf einer Kollage sind Schattenrisse von Männern und das Konterfei von Putin zu sehen.

Drei Männer sollen im Auftrag des Kreml Anschläge mit Paketbomben geplant haben. NRW-Innenminister Reul erwartet weitere Fälle.

Die Polizei hat drei ukrainische Staatsangehörige festgenommen, die wohl im Auftrag der russischen Regierung Bomben verschicken sollten.

An einem Tag Ende März fassen Vladyslav T., Daniil B. und Yevhen B. den Entschluss, von Deutschland aus eine oder mehrere Bomben in Paketen auf den Weg zu bringen. Explodieren soll der Sprengstoff in Güterzügen Richtung Ukraine. So jedenfalls hat es der Verfassungsschutz ermittelt und die Bundesanwaltschaft nun offiziell mitgeteilt. Und mehr noch: Die drei Ukrainer sollen im Auftrag „russischer staatlicher Stellen“ gehandelt haben.

Zwar soll als Motiv für sie auch Geld eine Rolle gespielt haben, aber die Sicherheitsbehörden bezeichnen die Verdächtigen vor allem als so genannte Low-Level-Agents, Spione, die nach Erkenntnissen der Ermittler für kleines Geld angeworben werden und am Ende einer langen Auftragskette stehen. Ob die drei Beschuldigten wussten, dass am anderen Ende der Kette wohl das Putin-Regime stand, ist noch unklar. Einer der drei soll aber zumindest früher Kontakte nach Russland gehabt haben.

Köln: Auch Lebensgefährtin eines Agenten unter Verdacht

Am 9. Mai nahm die Polizei Vladyslav T. (24) in Köln fest. Er soll hier gewohnt haben, in einer eigenen Unterkunft, zwischenzeitlich aber auch bei seiner Mutter, die ebenfalls in Köln lebt – genauso wie T.s Lebensgefährtin Lolita (21). Vladyslav und Lolita, die später wieder freigelassen worden sein soll, überraschten die Polizisten getrennt voneinander in einer Wohnung und auf der Straße.

Alles zum Thema Herbert Reul

Daniil B. wurde tags darauf in Konstanz (Baden-Württemberg) festgenommen, wo er in einer Asylunterkunft lebte. Am Dienstag fassten Polizisten Yevhen B. im Kanton Thurgau in der Schweiz. Die drei Ukrainer sind laut Bundesanwaltschaft dringend der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken verdächtig, außerdem wird ihnen vorgeworfen, sich zu Begehung und Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion bereit erklärt zu haben. Alle drei sitzen in Untersuchungshaft und sollen in Kürze erneut vernommen werden. Das Bundeskriminalamt wertet zurzeit sichergestellte Datenträger aus.

Nur wenige Tage, nachdem die Beschuldigten Ende März ihren Plan gefasst haben sollen, Bomben durch Deutschland zu schicken, kam ihnen der Verfassungsschutz auf die Spur. Die Ermittler ließen die Verdächtigen fortan nicht mehr aus den Augen. Unter anderem, sollen sie zeitweise rund um die Uhr von der Abteilung für Spionageabwehr und der Observationsgruppe des Verfassungsschutzes beobachtet worden sein. Dabei erhärtete sich der Verdacht gegen die Männer offenbar.

Köln: Bomben sollten im Ausland explodieren

Vladyslav T. sollen die Ermittler nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ als jenen ausgemacht haben, dessen Aufgabe es gewesen sein soll, die Pakete zu verschicken. Möglicherweise sollte das durch den Paketdienstleister Nova Poshta geschehen, ein privates ukrainisches Post- und Kurierunternehmen, das nach eigenen Angaben täglich 1,5 Millionen Frachten in der Ukraine zustellt.

Nach Erkenntnissen der Ermittler sollten die Bomben nicht in Deutschland explodieren, sondern im Ausland. Als Sprengstoff sollen die Beschuldigten Thermit erwogen haben, ein Gemisch aus Aluminium und Eisenoxid, das bei Entzündung Temperaturen bis zu 2200 Grad Celsius erreicht und daher als „Brandwaffe“ klassifiziert wird.

Um geeignete Transportwege zu testen, soll Vladyslav T. laut Bundesanwaltschaft Ende März in Köln zwei Testpakete aufgegeben haben. Darin sollen sich unter anderem GPS-Tracker befunden haben. Darüber kamen die Ermittler dem 24-Jährigen und seinen beiden mutmaßlichen Komplizen überhaupt erst auf die Spur.

Das ist eine neue Qualität hybrider Bedrohungen auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen
Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister

Den Auftrag zu dem Testlauf soll Yevhen B. erteilt haben. „Er stellte über Daniil B. auch die Paketinhalte zur Verfügung“, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, die das Verfahren gegen die Männer wegen der besonderen Bedeutung des Falls führt.

Die Ermittler werten den Modus Operandi der Verdächtigen als Teil eines Plans der russischen Regierung. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) spricht von „ganz erheblichen Vorwürfen“ und einer „neuen Qualität hybrider Bedrohungen auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen“. Russland mache Druck, wolle in Deutschland „verunsichern und Schaden anrichten“, sagt der Innenminister. Die Angriffe der Agenten richteten sich sowohl gegen staatliche Institutionen, als auch gegen die kritische Infrastruktur, die Privatwirtschaft und Einzelpersonen. Deutschland komme dabei „höchste Priorität“ zu, warnte Reul. Die hiesigen Sicherheitsbehörden gingen „entschlossen und vernetzt“ gegen Gefahren wie Desinformation, hybride Bedrohungen, illegitime Einflussnahme und Staatsterrorismus vor.

Russisches Netzwerk an professionellen Agenten in Deutschland ist dünn geworden

Hintergrund ist eine wachsende Sorge westlicher Geheimdienste vor einer russischen Sabotagekampagne in Europa. 2024 kam es bereits zu mysteriösen Zwischenfällen: Im Juli fing am Flughafen Leipzig ein Container Feuer – das Paket war nach London adressiert und enthielt einen Brandsatz. Nur durch Zufall war die Frachtmaschine noch nicht gestartet. Wenige Tage später gab es einen ähnlichen Vorfall in England. Beide Pakete kamen aus Litauen.

Im April 2024 wurde der Deutschrusse Dieter S. festgenommen. Er soll Anschläge auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte vorbereitet und darüber mit einem Mitarbeiter eines russischen Geheimdiensts gesprochen haben. Die Anschläge sollten laut Anklage die militärische Unterstützung für die Ukraine unterminieren. Der Prozess gegen S. und zwei mutmaßliche Helfer beginnt kommenden Dienstag vor dem Oberlandesgericht München.

Erst diese Woche hatte ein Londoner Gericht sechs Bulgaren wegen Agententätigkeit für Russland zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. Angeleitet haben soll die Gruppe der untergetauchte Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek, der in Russland vermutet wird.

Im Gespräch mit dem Kölner „Stadt-Anzeiger“ sagte kürzlich Jürgen Kayser, Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Low-Level-Agenten würden für ein „überschaubares Honorar“ angeworben, um Sabotageakte zu begehen. Anschließend versuche man, die Taten über soziale Kanäle missliebigen Parteien zuzuordnen.

Die Geheimdienst-Operationen mit Hilfe von Kleinkriminellen hätten seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine vor allem einen Grund: „Viele russische Diplomaten aus Deutschland wurden ausgewiesen, das heißt man verfügt hier nicht mehr über ein entsprechendes Netzwerk professioneller Agenten.“

Lürbke: Sprunghafter Anstieg von Drohnenüberflügen über militärische Liegenschaften und kritische Infrastruktur

Mit Blick auf den aktuellen mutmaßlichen Spionagefall für Russland geht Innenminister Reul davon aus, dass die Ermittlungen noch am Anfang stehen. „Es ist nicht zu Ende. Es könnte noch einen zweiten, dritten oder vierten Vorgang geben“, sagte er. Die Gefahr sei eine „ernstzunehmende gewesen“.

Die Innenexpertin der mitregierenden Grünen, Julia Höller, sagte „Die aktuellen Festnahmen zeigen auf bedrückende Weise: Der lange Arm des Kreml reicht bis in unsere Nachbarschaften – nicht mit Soldaten, sondern mit ‚Taschengeld-Agenten‘ im Schatten.“ Mit Sabotageakten wolle Russland gezielt die Demokratie angreifen. 

„Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kommt es auch in NRW immer häufiger zu sicherheitsrelevanten Vorfällen aufgrund der feindlichen Aktivität mutmaßlicher russischer Agenten“, sagte Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD im Landtag. „Bereits seit längerem fordern wir deshalb, dass die Landesregierung endlich Schutzkonzepte entwickelt und die Bürgerinnen und Bürger stärker für die Risiken einer Störung unserer kritischen Infrastruktur sensibilisiert.“ Bislang sei zu wenig geschehen: „Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt zum Handeln gekommen.“

Marc Lürbke, Innenexperte der FDP im Landtag, erklärte, man habe es nicht mit Einzelfällen zu tun. „Allein 2024 wurden in Nordrhein-Westfalen bereits zehn Fälle von Agententätigkeit zu Sabotagezwecken registriert“, so Lürbke. Dazu kämen ein sprunghafter Anstieg gemeldeter Drohnenüberflüge über militärische Liegenschaften und kritische Infrastruktur. „Es geht um konkrete Bedrohungen für unsere Sicherheit, auf die der Rechtsstaat vorbereitet sein muss“, erklärte der Liberale. „Deshalb dürfen wir nicht im Beschwichtigungsmodus verharren.“