Weil sich manche Nutzer mit falscher Identität bei Leih-Scooter-Firmen anmelden, bleiben Straftaten ungeklärt – wie Körperverletzung oder Unfallflucht.
Gefälschte AngabenKöln prüft strengere Auflagen für Leih-Scooter

Die Stadtverwaltung in Köln denkt über verschärfte Anmelderegeln für Leih-Scooter nach.
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Ohne starke Medikamente seien die Schmerzen kaum auszuhalten, sagt Silke Engler. Auch mehr als zwei Monate nach dem Zusammenstoß mit einem E-Scooter auf den Ringen ist die freiberufliche Regisseurin weiter krankgeschrieben. Ihre Bizepssehne ist angerissen, fünf Rippen gebrochen. Anfangs sprachen die Ärzte nur von einer einzigen gebrochenen Rippe, inzwischen haben sie ihre Diagnose korrigiert. Eine vollständige Heilung kann Monate dauern.
Unfall mit E-Scooter-Fahrer in Köln gefährdet Existenz von Silke Engler
Nicht mal am Laptop könne sie lange arbeiten, weil sie schon nach ein paar Minuten Ermüdungserscheinungen in der Schulter spüre, sagt Engler. „Dieser Unfall hat große Auswirkungen auf mich und auf meine berufliche Existenz.“ Und möglicherweise auch bald für die Verleiher von E-Scootern. Denn die Stadt Köln erwägt, ihre Regeln für die Firmen zu verschärfen.
Das ist eine Gesetzeslücke, die dringend geschlossen werden muss
Folgen für den E-Scooter-Fahrer, der an jenem 6. April gegen 18.40 Uhr am Friesenplatz mit einem Leihgerät der Firma Bolt unterwegs war, hat das Geschehen indes keine. Und das, obwohl der Zusammenstoß mit Silke Engler genau vor den Linsen der polizeilichen Videokameras geschah – und obwohl der Mann, der der 48-Jährigen wegen eines Fahrfehlers den Weg versperrt hatte, sodass sie mit ihrem Fahrrad nicht mehr bremsen konnte, mit Namen, Adresse und Telefonnummer bei Bolt registriert war.
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Das Problem aber ist: Wie sich inzwischen herausgestellt hat, waren seine Angaben gefälscht. Der Mann sei offenbar mit einer kompletten Fake-Identität unterwegs gewesen, bestätigt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer auf Anfrage. Die Ermittlungen der Polizei liefen ins Leere. „Weitere Nachforschungen versprechen zurzeit keinen Erfolg“, teilte die Staatsanwaltschaft Silke Engler vor zwei Wochen mit. Das Verfahren sei eingestellt worden.
Unfallfahrer flüchtete
Weil der Scooter-Fahrer direkt nach dem Unfall flüchtete, wird er vermutlich für immer unerkannt bleiben. Silke Engler ist fassungslos. „Es kann doch nicht sein, dass man mit gefälschten Angaben einfach ein Fahrzeug leihen und damit Straftaten begehen kann“, sagt sie und findet: „Das ist eine Gesetzeslücke, die dringend geschlossen werden muss.“ Ihr Versuch, Schmerzensgeld und Verdienstausfall geltend zu machen, richtet sie jetzt an die Firma Bolt – Ausgang ungewiss.

Silke Engler wurde bei einem Unfall mit einem E-Scooter auf dem Hohenzollernring verletzt.
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Dass sich Kunden von E-Scooter-Verleihern bei der Anmeldung nicht mit einem Ausweis oder Führerschein identifizieren müssen, sieht man in vielen Städten als Problem. In Gelsenkirchen etwa gab es zwei Unfälle mit Toten, involviert waren auch Leih-Roller, aber die Fahrer konnten nie ermittelt werden, weil auch sie sich mit falschen Personalien registriert hatten. Die Stadt reagierte und machte den Verleiherfirmen zur Bedingung, dass sich ihre Kunden fortan bei der Registrierung sicher identifizieren müssen. Zum Beispiel über die Prüfung des Personalausweises.
„Wir sind nicht gegen Roller, aber wir wollen wissen, wer sie fährt“, sagt Gelsenkirchens Stadtsprecher Martin Schulmann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Begründung. „Wir machen daher nur noch Verträge mit Verleihern, die eine sichere Zuordnung ihrer Fahrer garantieren können.“ Aber das will offenbar niemand. Technisch gebe es dafür „1000 Möglichkeiten“, ergänzt Schulmann, aber den Unternehmen sei das offenbar zu aufwändig. Die Folge: Die Anbieter Bolt und Tier zogen sich vor einem Jahr aus Gelsenkirchen zurück. In der Stadt gibt es seitdem keine E-Scooter mehr zum Ausleihen. Das Verwaltungsgericht gab dem Vorgehen der Stadt recht.
Gelsenkirchen hat Leih-Scooter aus der Stadt verbannt
Ein Sprecher von Bolt sagt auf Anfrage, es gebe in Gelsenkirchen keine dauerhafte Verbannung von E-Scootern. „Vielmehr hat die Stadt eine Vorgabe erlassen, die nach unserer Auffassung rechtswidrig ist und derzeit gerichtlich überprüft wird. Bis zur abschließenden Entscheidung ruht unser Betrieb in Gelsenkirchen vorübergehend.“ Der Sprecher stellt klar: „Ein Upload von Personalausweis- oder Führerscheindokumenten wird von allen großen Anbietern in Deutschland aus Gründen der Nutzerfreundlichkeit derzeit nicht vorgeschrieben.“ Aber „selbstverständlich“ stelle man den Behörden in allen deutschen Städten auf Anfrage „uns zur Verfügung stehende Daten“ bereit und kooperiere „uneingeschränkt im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften“.
Das Ergebnis des Rechtsstreits um verschärfte Anmelderegeln in Gelsenkirchen wird in vielen deutschen Stadtverwaltungen mit Spannung erwartet. Denn dass Mieter von E-Scootern mit Fake-Identitäten Unfälle bauen oder andere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten mit den Elektrorollern begehen und anschließend nicht ermittelt werden können, ist beileibe kein Einzelfall. Das erwartete Urteil könnte daher eines mit Signalwirkung sein, andere Kommunen könnten dem Beispiel der Ruhrgebietsstadt folgen. Auch Köln.
Stadtverwaltung erwägt verschärfte Regeln für Leih-Scooter in Köln
Derzeit enthielten die sogenannten Sondernutzungserlaubnisse für die E-Scooter-Verleiher in Köln keine Verpflichtung, die Identität ihrer Kunden zu klären, teilt Stadtsprecher Robert Baumanns mit. Aber: „Die Stadtverwaltung Köln denkt darüber nach, eine Verpflichtung zur Identitätsprüfung in die Kölner Sondernutzungsgenehmigungen aufzunehmen. Interessant wird dafür auch die richterliche Entscheidung zum Fall in Gelsenkirchen sein.“ Die Kölner Verwaltung sei zudem in regelmäßigem Austausch mit anderen Kommunen, beispielsweise Hamburg, Berlin und München, „und wird auch dort nach den bisherigen Verfahren und Erfahrungen fragen“.
In Gelsenkirchen, das seit nunmehr einem Jahr frei von Leihrollern ist, ist inzwischen ein interessanter Trend zu beobachten, berichtet Stadtsprecher Schulmann. „Immer mehr Menschen kaufen sich privat einen E-Scooter, packen den in den Kofferraum, stellen ihr Auto zum Beispiel auf Park-and-Ride-Plätzen ab und fahren die letzte Strecke mit dem Roller.“
Silke Engler kann zumindest ein wenig neue Hoffnung schöpfen. Sie hat sich bei der Staatsanwaltschaft gegen die Einstellung der Ermittlungen beschwert – mit Erfolg. Nach Angaben von Behördensprecher Ulrich Bremer ist das Verfahren wieder aufgenommen worden. Fotos des Unfallverursachers aus der Videobeobachtung seien in die polizeiinterne Intranet-Suche eingestellt worden. Ob ein Beamter oder eine Beamtin den Tatverdächtigen dort wiedererkannt hat, ist noch unklar. Für eine Öffentlichkeitsfahndung mit Bildern indes reicht der Tatvorwurf der fahrlässigen Körperverletzung nicht aus. Dazu müsste es sich laut Gesetz um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ handeln.