Hochwasser, Großbrände, aber auch mögliche Luftangriffe: Wichtig sei die richtige Vorbereitung, sagt Edith Wallmeier, Geschäftsführerin des ASB in Köln.
Zivilschutz in Köln„Um die Zeltstadt auf die Straße zu bringen, sind 400 Lkw-Ladungen nötig“

Kennt sich mit Großschadensereignissen aus: Edith Wallmeier ist Geschäftsführerin des Arbeiter-Samariter-Bundes in Köln.
Copyright: Alexander Schwaiger
Die Verteilerkästen haben sich an einer imaginären Linie nebeneinander aufgereiht. Sie sehen aus wie sehr brave Schulkinder in der Turnhalle, und der Sportlehrer ist gerade laut geworden. Wer in eine der nächsten Reihen den Kopf reinsteckt, dem bietet sich ein ähnliches Bild: Geordnete Aufstellung, diesmal 20 Generatoren. Ein paar Meter weiter: Gestapelte Kartons verjüngen sich zum fernen Fluchtpunkt. Darin: 5000 Feldbetten. Drei Gänge weiter: 10.000 Schlafsäcke, 20 Zeltheizungen, 600 Biertische, 1200 Bierbänke, ein Kilometer Bauzaun, unzählige Zeltstangen.
So geht das in so eingängiger wie überdimensionierter Ordnung über 9000 Quadratmeter - mehr als zwei Fußballfelder hätten in diesen Hallen Platz. Was hier lagert, soll nicht als größtes Volksfest aufgebaut werden, sondern im Krisenfall bis zu 5000 evakuierten Menschen eine feldmäßige Unterkunft bieten. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) baut hier zusammen mit dem Bundesinnenministerium und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe alle notwendigen Elemente für eine weitgehend autark funktionierende Betreuungseinrichtung auf, die überall im Land in Gänze oder in Teilen zum Einsatz kommen kann.
Ob das im Krisenfall ausreicht und wie wichtig es gerade nach der Zeitenwende ist, die Bevölkerung auf mögliche Katastrophen vorzubereiten, erklärt Geschäftsführerin Edith Wallmeier vom ASB in Köln im Gespräch mit dieser Zeitung.
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Frau Wallmeier, der Arbeiter-Samariter-Bund ist dafür zuständig, die Bevölkerung auf einen Krisenfall vorzubereiten. Wie stellen Sie das an?
Edith Wallmeier: Wir sind eine der fünf anerkannten Hilfsorganisationen und als solche bereiten wir auch Hilfe in Krisenfällen vor. Dazu gehören Großschadensereignisse, Brände, Zugunglücke, Bombenevakuierungen oder Naturkatastrophen und dann eben auch beispielsweise Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland im Fall von kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir bilden zu diesem Zweck ehrenamtliche Helfer aus, veranstalten Übungen und regelmäßige Trainings. Aber wir bieten auch Erste-Hilfe-Kurse mit Selbstschutzinhalten an. 500.000 Menschen haben wir und die anderen Organisationen so in den vergangenen fünf Jahren geschult.
Wir wollen die Bevölkerung befähigen, sich in Krisensituationen selbst helfen zu können. Denn wenn es zur Katastrophe kommt, können Einsatzkräfte nicht überall gleichzeitig sein. Dann ist es gut, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger wissen, was zu tun ist – und dabei keine Fehler machen.
Was sind denn typische Fehler in der Katastrophe?
Beim Hochwasser an der Ahr zum Beispiel hätten Todesfälle vermieden werden können, wenn Betroffene gewusst hätten, dass sie in dieser Situation nicht in den überfluteten Keller gehen sollten oder auf rutschige Dächer klettern. Auch wenn Menschen sich gegen empfohlene Evakuierungen wehren oder zu lange warten, kann das für sie lebensgefährlich sein. Denn irgendwann sind die Fluchtwege vielleicht versperrt. Außerdem sollte man für den Krisenfall ausreichend Vorräte für mindestens 72 Stunden aufbewahren: Dazu gehören unter anderem Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente, Taschenlampen, Batterien und Kerzen.

Maximilian Erke ist Rettungsingenieur und beim Arbeiter Samariter Bund als Referent Bevölkerungsschutz tätig.
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Hat der zunehmende Ernst der Lage, also auch die Zeitenwende, geholfen, dass Sie mit Ihren Apellen besser zur Bevölkerung durchdringen?
Ja, wir bemerken die Veränderung schon seit der Corona-Pandemie. Unserer Beobachtung nach hat diese Krise die Solidarität gestärkt: Nachbarn haben füreinander eingekauft, gekocht, sich gegenseitig zum Arzt gebracht. Manche haben Zettel in ihrem Hausflur aufgehängt, ihre Hilfe oder Vorräte angeboten: „Wir haben genug Toilettenpapier und Nudeln, wir teilen, wenn ihr etwas braucht.“ Diese Haltung sollten wir beibehalten. Das eigene Bundesland oder der Staat kann gerade im Falle einer Naturkatastrophe nicht alles regeln. Da braucht es Solidarität, um die Gesellschaft resilienter zu machen. Und wir müssen dringend resilienter werden.
Der Grat zwischen vorbereitender Information und Panikmache ist schmal. Gerade bei Kindern stelle ich mir das zum Beispiel gar nicht so leicht vor.
Unsere Erfahrungen mit Kindern sind sehr gut. Sie sind gute Multiplikatoren, weil sie ihr Wissen in ihre Familien tragen. Die Kinder gehen nach unseren EHSH-Kursen (Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten, Anm. d. Red.) nach Hause und fragen ihre Eltern: „Warum haben wir eigentlich nicht ausreichend Kerzen, falls mal der Strom ausfällt? Haben wir genug Lebensmittel und die wichtigen Medikamente für die Oma, falls wir eingeschneit werden?“ An solchen Beispielen kann man Kindern gut erklären, dass die Dinge manchmal nicht glatt laufen und es dann gut ist, wenn man vorbereitet ist. Das Wissen um die richtige Vorbereitung macht keine Angst, sondern verleiht im Gegenteil ein Gefühl der Stärke.
„Das Wissen um die richtige Vorbereitung macht keine Angst, sondern verleiht im Gegenteil ein Gefühl der Stärke“
Wo fehlt es noch?
Diese Kenntnisse sind leider nicht in der Breite der Bevölkerung vorhanden. Wir haben bisher 500.000 Menschen in EHSH-Kursen ausgebildet, das ist zu wenig. Jeder Zehnte in Deutschland sollte in Krisen- oder Katastrophensituationen Ersthelfer sein können. Das wären acht Millionen Menschen in Deutschland, wir haben also noch einen langen Weg vor uns.

Michael Schnatz (li.) ist Fachbereichsleiter Bevölkerungsschutz beim ASB. Mit Erke geht er die Reihen an Kartons ab, in denen die Feldbetten lagern. Es sind 5000 Stück.
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In Wesseling lagert eine mobile Zeltstadt, die im Ernstfall 5000 Menschen eine Notunterkunft bieten könnte. In Deutschland gibt es zwei solcher Module, die andere liegt in Berlin. Ist das denn ausreichend?
Mit dem MBM 5000 können wir 5000 Menschen für einen längeren Zeitraum evakuieren. Dort gibt es 1000-Quadratmeter-Zelte, mobile Küchen, 600 Biertischgarnituren, Stromaggregate, 5000 Feldbetten, 10.000 Schlafsäcke. Alles lagert in mehreren Hallen. Aber ein oder zwei Betreuungsmodule wie das MBM 5000 als Zivilschutzreserve des Bundes reicht natürlich nicht aus.
Grundsätzlich strebt die Politik zehn dieser mobilen Zeltstädte an. Würde das ausreichen?
In den Nato-Verträgen steht, dass ein Land etwa zwei Prozent der Bevölkerung längerfristig unterbringen können muss – falls eben eine Evakuierung nötig ist. Im Falle einer nationalen Katastrophe reden wir von gut eineinhalb Millionen Menschen deutschlandweit. Selbst wenn wir zehn Zeltstädte bereit halten würden, wäre nur ein Bruchteil versorgt. Im Moment ist zudem immer noch nicht klar, wie diese zehn mobilen Betreuungsmodule finanziert werden sollen. Auch die Logistik gestaltet sich unglaublich schwierig, ebenso die Materialbeschaffung. Also müssen wir zusätzlich in andere Richtungen denken.

Vorgehalten werden auch 600 Biertische und 1200 Bänke.
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In welche?
Für Evakuierungen müssen wir im Notfall auch mit Ferienunterkünften, Hotels und Bahnhöfen planen. Deutschland braucht mehr und weitere Strukturen für die Betreuung von vulnerablen Gruppen im Krisen- und Katastrophenfall. Und jede Stadt täte gut daran, Betreuungsorte einzuplanen und zu entwickeln. Wir brauchen im Ernstfall kreative Lösungen. Der ASB kümmert sich vor allem um die Frage der Betreuung. Denn ein Großteil der Menschen, die in eine solche Unterkunft kommen, sind alt, krank, eingeschränkt oder haben kleine Kinder. Deshalb müssen wir vieles berücksichtigen: Wir brauchen mobile Kindergärten und Spielsachen. Aber auch sichere Duschen und Toiletten, um Übergriffe zu verhindern.
„Jede Stadt täte gut daran, Betreuungsorte einzuplanen und zu entwickeln“
Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung?
Wir fordern eine Gleichstellung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Derzeit erleben Ehrenamtliche im Bevölkerungsschutz ein Zweiklassensystem. Wer sich beim THW oder der Feuerwehr engagiert, wird vom Arbeitgeber im Einsatzfall freigestellt. Unsere 20.000 Ehrenamtlichen beim ASB müssen für Fortbildungen und das Helfen Urlaub nehmen. Dabei übernehmen sie im Bevölkerungsschutz ebenfalls staatliche Aufgaben. Im Krisenfall wie beispielsweise an der Ahr waren viele von ihnen mehrere Wochen im Einsatz. Diese Ungleichbehandlung können wir nicht akzeptieren.

Heizgeräte und Dieseltanks werden im Ernstfall mit 40-Tonnern ins Krisengebiet transportiert.
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Mal angenommen, die mobile Zeltstadt in Wesseling käme bei einem Luftangriff zum Einsatz und müsste an den Katastrophenort gebracht werde. Was passiert dann?
Sollte der Operationsplan Deutschland in einem Konfliktfall greifen, sagt uns der Bund, wo wir helfen sollen. Dann startet ein logistisch sehr aufwändiger Prozess: Um ein Modul komplett auf die Straße zu bringen, sind 400 Lkw-Ladungen nötig — die A1 wäre also erst einmal voll. Wir müssten gestaffelt vorgehen. Vorher braucht man natürlich das Personal zum Verladen. Bei einem Drei-Schicht-Betrieb dauert das auf diese Weise drei Tage. Denn allein ein Stromaggregat wiegt eineinhalb Tonnen. Anschließend muss alles aufgebaut werden, auch dafür braucht es geschultes Personal. Für die Generatoren benötigt man beispielsweise eine Elektrikerausbildung – und 50 Liter Diesel pro Stunde bei maximaler Auslastung.
Aber auch an die Sicherheit in der Zeltstadt muss gedacht werden. Und an die medizinische und psychologische Versorgung. Im Moment ist die Materialbeschaffung auch noch nicht abgeschlossen. Gerade kümmern wir uns um Duschen und Toiletten. Doch viele der Materialien haben Lieferzeiten von Wochen. Und alles muss so beschaffen sein, dass wir auch eine Baugenehmigung dafür erhalten.
Eine Baugenehmigung im Katastrophenfall?
Es darf auch im Katastrophenfall am Ende nichts einstürzen. Natürlich kann es sein, dass man je nach Ernst der Lage auf eine Genehmigung verzichten kann. Aber wir gehen erst einmal auf Nummer sicher.
Ein wichtiger Punkt bei Katastrophen ist auch die Kommunikation. Wie gut ist man da vorbereitet? Werden alle Menschen informiert?
Die bundesweite Nina-Warn-App erreicht immerhin alle Menschen, die ein Handy haben. Das ist gut. Aber dennoch fallen manche durchs Raster. Hier sind die Kommunen in Deutschland auch gefordert. Die Frage ist: Wie erreicht man beispielsweise die alleinlebenden, gehörlosen Menschen, jene, die kein Deutsch verstehen, oder diejenigen, die mit einer Gehbehinderung im fünften Stock wohnen und das bei einem Stromausfall?

Auch eine Reihe von Bautrocknern können von hier aus nach Hochwasserschäden ins Krisengebiet gebracht werden.
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Gibt es in Europa Vorbilder, die das mit dem Katastrophenschutz besser machen?
Absolut. Deutschland hat den Katastrophenschutz sicher nicht erfunden. Gerade nach dem Ende des Kalten Krieges hat man sehr viele Strukturen zurückgefahren und auch vergessen. Ich habe zu Schulzeiten noch die Bedeutung der einzelnen Sirenen-Zeichen gelernt. Welches Kind kennt die heute noch? Heute würde man das natürlich App-basiert machen. Wie zum Beispiel in der Ukraine: Da wird die Bevölkerung über das Handy vor Angriffen gewarnt. Und sie sehen auch: Ist es eine Rakete? Eine Drohne? Oder ein Flugzeug? Und wie lange habe ich Zeit, um mich in Sicherheit zu bringen?
Auch die Nina-Warn-App ist noch einmal überarbeitet worden, in der neuen Version findet man nun auch Verhaltenstipps bei Luftangriffen. Die Franzosen, die Polen, aber auch die Finnen und Schweden sind dennoch weiter als wir. In Finnland kennen zum Beispiel 90 Prozent der Menschen den Weg zum nächsten Bunker. Dort weiß auch jeder Bürgermeister, wen er ansprechen muss, um Unterstützung zu bekommen. Denn dort haben viele Menschen klare Aufgaben im Krisenfall. Auch die Vorbereitung auf Krisen und Katastrophen ist ein bisschen entspannter. In Schweden gibt es beispielsweise eine Broschüre für den Krisenfall, auf der ersten Seiten steht: „Es ist Krieg, aber machen Sie weiter! Gehen Sie zur Arbeit, kümmern Sie sich um Familie und Freunde. Warten Sie auf Informationen und verhalten Sie sich ansonsten ganz normal.“ So eine Haltung würde ich mir in Deutschland auch wünschen.

Aus den Stangen können bis zu 1000 Quadratmeter große Zelte entstehen.
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Bunker beispielsweise gibt es in Deutschland ja kaum.
Genau, die hat man alle zurückgebaut, weil man sich in Sicherheit wiegte. Aber es bringt jetzt auch nichts, Bunker zu bauen. Um alle unterzubringen, würde das geschätzte 200 Billionen Euro kosten. Aber wir können vorhandenen Schutz ertüchtigen: U-Bahn-Stationen zum Beispiel.
Ist die U-Bahn-Station bei einem Luftangriff denn eine gute Idee?
In Berlin eine bessere als in Köln, denn hier ist man nicht so tief unter der Erde. Aber es ist natürlich sicherer, als auf der Straße rumzulaufen.