Bei seiner fünften Ausgabe verzeichnete das Kölner Festival einen Besucherrekord.
Anspruchsvoll, aber nie ausgrenzendDie Cologne Jazzweek überzeugt erneut

Mariá Portugal bei der Cologne Jazzweek
Copyright: Niclas Weber
Definitiv sollte diese Nachbetrachtung der Cologne Jazzweek nicht mit dem Kölner Dom beginnen! Zu sehr, so die Überlegung, würde dies von den vielen anderen Glanzleistungen ablenken, die das Kölner Festival für Jazz und improvisierte Musik im fünften Jahr seines Bestehens zu einem großartigen Erlebnis machten. Doch dann kamen 1100 Menschen zum Solokonzert des englischen Pianisten und Organisten Kit Downes in den Kölner Dom, und kaum jemand, ob Jazzanhänger oder nicht, dürfte enttäuscht worden sein. Wirkmächtig verschmolzen Raum- und Klangerlebnis miteinander und bescherten der Cologne Jazzweek ungeahnte, neue Möglichkeitsräume.
Natürlich war es kein klassischer Jazz, den Kit Downes in seiner Improvisation auf der Dom-Orgel zelebrierte – wie überhaupt die Cologne Jazzweek von Beginn an für die größtmögliche Zahl grundverschiedener Stil- und Spielarten steht. Downes schuf eine komplexe, angenehm zugängliche Klangskulptur, reich an Farbe, Textur und Dynamik. Fein ziselierte Töne drangen wie Lichtstrahlen ins Kirchenschiff, behaupteten sich gegenüber dunkel aufbrausenden Gewitterklängen, die in ihrer sonoren Tiefe eher körperlich wahrnehmbar wurden, bevor Pracht und Schönheit ins hoffnungsfroh-kathartisches Finale lenkten.
Ein neuer Besucherrekord
Downes' Dom-Konzert war ein alle Sinne ansprechendes Musikereignis und darüber hinaus ein kluger Schachzug, um mehr Aufmerksamkeit auf die diesjährige Cologne Jazzweek zu lenken. Tatsächlich glückte dem Festival ein neuer Besucherrekord: 10.500 Menschen verfolgten 50 Konzerte, etliche davon kostenfrei, auf 21 über ganz Köln verteilten Bühnen. Mehr als 250 Musizierende aus 18 Nationen verwandelten Köln in eine virtuelle Konzertbühne sowohl für Einzelbesucher als auch für Flaneure, die von einem Ort zum nächsten reisten. Bereits der Eröffnungstag bot ihnen magische Erlebnisse: Lauschte man im Gewölbe der Christuskirche den inspirierenden Solodarbietungen der Bassisten Roger Kintopf und Robert Landfermann, erlebte man im hohen Kirchenschiff von Neu St. Alban die mongolische Sängerin Enji mit einer Mischung aus heimischer Folklore und Jazztradition; auf dem weiteren Weg zum Stadtgarten empfingen einen „open air“ pulsierende Mumble-Jazz-Töne, bevor es im Konzertsaal gleich einen Höhepunkt der Jazzweek gab: Der brasilianischen Schlagzeugerin und Sängerin Mariá Portugal dienten Lieder ihrer Heimat als sphärische Textur, auf die sich dynamische Improvisationen des Ensembles sowie brillanter Solisten wie Saxofonistin Angelika Niescier und der Posaunisten Matthias Müller und Moritz Wesp aufsattelten.
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Der Abend endete im WDR-Funkhaus mit den diametral entgegengesetzten Auftritten von Cellistin Emily Wittbrodt und Organistin Annie Bloch („The Mendelssohn-Project“) sowie dem kraftvollstampfenden Supersonic Orchestra von Gard Nilssen. Auch die folgenden Festivaltage waren von berauschenden Kontrasten und kreativen Widersprüchen geprägt, was mitunter an Carl Bley denken ließ, die für ihr Werk „Escalator Over the Hill“ den Begriff der „Chronotransduction“ erfand: als Reise durch Zeit, Klang und Vorstellungskraft, bei der nichts klassifizierbar und doch alles miteinander verbunden ist.
So schob Saxofonist Hayden Chisholm in der Trinitatiskirche seine ankündigten zwei Sets zu einer berührenden Klangmeditation in ungewöhnlicher Besetzung ineinander. Zu weiteren Großensembles zählten das Subway Jazzorchester sowie Sebastian Sternal mit der HR-Bigband, während kleinere Besetzungen nicht weniger klangmächtig Begeisterungsstürme hervorriefen.
Das Tyshawn Sorey Trio mit einem überragenden Aaron Diehl am Klavier entschleunigte Jazz-Standards, um sie mit unbändiger Kraft neu zusammenzusetzen, während die vor Energie berstende Saxofonistin Mette Rasmussen im Trio mit Craig Taborn und Ches Smith bewies, dass sie auf dem Zenit ihrer Spielkunst steht. Was sich auch über Saxofonist Fabian Dudek sagen lässt: Zum Festivalausklang jonglierte sein Projekt Night by Night mit zwei Schlagzeugen, zwei E-Bässen und zwei Keyboards virtuos in der Tradition von Miles Davis' „Bitches Brew“ mit Spannung und Intensität. Dudek fand seinen Widerpart in der gleißenden Rock-Gitarre von Arne Braun, baute brodelnde Hitze auf und führte sie souverän ins sich abkühlenden Finale.
Mehr als ein Jazzfest
Es war eine aufregende und begeisternde Cologne Jazzweek, die nicht nur mit der Wahl des Kölner Doms eine glückliche Hand bewies: Die feine Sektion „Stadt.Klang.Ort“ führte zur Mittagszeit in die prall gefüllten Räume neuer Spielorte: Die polnische Pianistin Marta Warelis (wie Kit Downes „Featured Artist“ der diesjährigen Jazzweek) improvisierte spielfreudig und unterhaltsam mit dem japanischen Stimmwunder Kouchi Makigami im japanischen Kulturinstitut, Tamara Lukasheva faszinierte im Ostasiatischen Museum mit einem virtuosen Kunststück über die „Improvisationen aus dem Capreser Winter“ von Rainer Maria Rilke, im Fahrradladen Schneider Radsport spielte das Philipp Brämswig Trio.
Innerhalb von fünf Jahren ist in Köln etwas entstanden, das mehr ist als nur ein Jazzfest: Die Cologne Jazzweek, initiiert und konzipiert von der Kölner Jazzszene selbst, ist ein ebenso leidenschaftlich wie kenntnisreich geführter musikalischer Diskurs, anspruchsvoll, aber nie ausgrenzend, sondern kommunikativ und einladend. Eines ihrer Mosaikstücks ist die Konzertreihe „Nica exchange“, eine Kooperation mit Nica artist development, die sich nach der legendären Jazz-Mäzenin Pannonica de Koenigswarter benannt hat. Diese fragte einmal Jazzmusiker nach ihren drei Wünschen, und Sun Ra antwortete ihr: „Ein Zentrum, wo ich das, was ich tatsächlich tue, der Welt ungehindert in der richtigen Weise präsentieren könnte.“ Auf der Cologne Jazzweek hatte er sich sehr wohl gefühlt.