Seine Handys musste man wegschließen, wollte man Bob Dylan in der Lanxess-Arena erleben. Dafür wurde man mit einem transzendenten Erlebnis belohnt.
Bob Dylan in KölnDu sollst Dir kein Bildnis machen vom Boomer-Gott

Bob Dylan auf der Bühne im Jahr 2023. In Köln durfte nicht fotografiert werden.
Copyright: IMAGO/Newscom/El Pais
Unter dem hohen Baldachin der Bühne scheint die vierköpfige Band zu schwanken. Oder ist es nur die Musik? Ein wenig windschief klingt das noch, wie eine Kreuzfahrtkapelle im hohen Wellengang. Die Beleuchtung ist gedämpft, nur in der Mitte strahlen ein paar wattstarke Birnen direkt ins Publikum. Inmitten dieses grellen Lichts und hinter einem frontal zur Rampe aufgestellten Klavier hat sich Bob Dylan versteckt. Ihre Handys mussten sich die Besucherinnen und Besucher der Lanxess-Arena in kleinen, grauen Taschen wegschließen lassen. Du sollst Dir kein Bildnis machen vom Boomer-Gott.
Es wäre auch nur ein überbelichteter Umriss zu sehen, als hätte man zu lang in die Sonne geguckt, ein grauer Lockenschopf, der über dem Flügel schwebt. Minutenlang werkelt sich die Band durch ihr Intro, dann endlich erhebt sich die Stimme des Ungekannten: „Mach das Licht aus, zieh die Vorhänge zu“, singt Dylan. „Du musst keine Angst haben. Ich werde heute Nacht Dein Baby sein.“
Singt? Na, gut: Er ächzt, krächzt, keucht und schnauft, hustet verführerische Melodien. Niemand kann voraussagen, wo der nächste Ton landen wird, wahrscheinlich auch er selbst nicht. „Meine Stimme ist so schlecht“, sagt Dylan, „dass nichts ihr etwas anhaben kann.“ Mittlerweile klingt sie wie die Parodie eines Bob-Dylan-Parodisten, und damit schon wieder echter als echt, von keinem Algorithmus zu berechnen, unkopierbar, weder gut noch schlecht, sondern jenseits von Gut und Böse – und auf ihre verquere Weise einfach wunderschön. Auf „I'll Be Your Baby Tonight“ antwortet „It Ain't Me, Babe“, diesmal spielt die Band noch länger, bis sich der beste aller Nicht-Sänger endlich doch zu Wort meldet und die tröstliche Botschaft des Auftakts gleich wieder zurücknimmt: „Ich bin nicht der, nach dem Du suchst.“
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Er ächzt, krächzt, schnauft und hustet verführerische Melodien
Das Stück darauf heißt naturgemäß „I Contain Multitudes“, ein Walt-Whitman-Zitat. Und wie der Vater des freien Verses, gibt sich Dylan als Sammelsurium aus Widersprüchlichkeiten zu erkennen, vergleicht sich in einer Zeile mit Anne Frank und Indiana Jones. „Ich kann nur ich selbst sein“, hat er einmal gesagt, „wer auch immer das sein mag.“
Auch der nächste Song stammt von „Rough and Rowdy Ways“, seinem unerwartet späten, 2020 erschienenen Meisterwerk, dessen Titel auch derjenige der aktuellen Tour des Unermüdlichen ist. „Was guckst Du denn so? Da gibt's nichts zu sehen“, verweigert sich Dylan, „nur eine kühle Brise, die mich umgibt.“ Ein falscher Prophet, fügt er hinzu, sei er aber auch nicht. Schon auf seinem zweiten Album, „The Freewheelin‘ Bob Dylan“, dem ersten für die Ewigkeit, klangen seine Zeitkritiken, als hätte er sie den Fünf Büchern Mose entrissen.
Handylos fragt man sich, wie spät es eigentlich ist, kann sich nur darauf verlassen, dass der alte Meister wie immer pünktlich wie die Tagesschau um 20 Uhr begonnen hat. Prompt fließen Stunden, Tage, Jahrzehnte ineinander, es ist Dylan-Zeit. „Überall sind alte Fußspuren zu sehen, man könnte fast meinen, man sehe doppelt“, singt er nun. „When I Paint My Masterpiece“ heißt der Song, im neuen Arrangement erinnert er ein wenig an Irving Berlins Jazz-Standard „Puttin' on the Ritz“ und Tony Garnier, seit 1989 mit dabei auf der „Never Ending Tour“, wechselt zum Kontrabass.
Bob Dylan war schon immer alt – und ist für immer jung
Botticellis Nichte sieht Dylan beim Malen zu, Löwen jagen ihn durchs Kolosseum, Zeitungsjournalisten belagern ihn nach einem turbulenten Flug. Der Folk-Hero pinselt seine Welt in wilden Überblendungen. Dazu musste er nicht erst 84 werden. Er war immer alt, er ist für immer jung, wie er mit Anfang 30 seinem Sohn als Wiegenlied sang. In Köln trippelt er nach eindreiviertel Stunden von keiner Publikumsansprache unterbrochenen Spiels, unsicheren Schrittes von der Bühne. Könnte aber jederzeit in Gestalt von Timothée Chalamet wieder auftauchen und in seine Mundharmonika blasen wie der Frühlings-bringende Zephyr.
Das erste Mal an diesem Abend tut Dylan das bei „Desolation Row“. In der Arena brandet schüchterner Jubel auf, als Einzelne wenigstens den dahingeschnodderten Titel des wie immer gründlich umarrangierten Songs erkennen. Der entzieht sich inzwischen schon seit 60 Jahren erfolgreich jedem Interpretationsversuch, genau wie sein Sänger. Vielleicht will er ja gar nichts bedeuten, hat er uns insgeheim überhaupt nichts zu sagen. Jeder Dylan-Fan kennt diese Glaubenskrisen. Man kann sich dem aus der Ferne Verehrten höchstens mittels Negativer Theologie nähern. Kommt man ihm jedoch allzu nahe, weicht er unweigerlich zurück.
„Nimm, was Du dem Zufall entrissen hast“, fordert der Sänger als nächstes, „it’s all over now, Baby Blue.“ Die Version, die er in Köln spielt, ist stark ausgebremst. Andere Stücke lösen sich vor unseren Ohren in ihre Bestandteile, in nur noch lose verbundene Sounds und eine einsame Wüstenruferstimme. Da merkt man dann doch die zunehmende Zerbrechlichkeit des mannigfaltigen Stars, ein aggressiv zupackender Rocker à la „Maggie’s Farm“ ist nicht mehr drin. Den aufmüpfigen Part übernehmen jetzt seine Klaviersoli, perkussiv und kantig wie Thelonious Monk.
Und es haben sich neue Möglichkeiten eröffnet, ein transzendentales Schimmern durchwirkt nun seine Lieder – und selbstironischer Humor. Wenn er in „My Own Version of You“ von seinen kreativen Diebstählen erzählt, davon, dass er Leichenhäuser und Klöster auf der Suche nach den nötigen Körperteilen für seine Frankenstein-artigen Schöpfungen besucht habe, scherzt er, „ich tue diese Dinge zum Wohl der gesamten Menschheit“. In Köln lässt er dieser Zeile ein staubtrockenes Lachen folgen.
Doch dann beschließt Dylan sein Kölner Set mit Ernst und Demut. „Every Grain of Sand“ von 1981, eines seiner schönsten Lieder, stammt noch aus den Ausläufern seiner christlichen Periode. In jedem zitternden Laub, in jedem Sandkorn erkenne er die Handschrift seines Herrn, singt der große Bob darin und macht sich ganz klein. Er schwebe im Gleichgewicht der menschlichen Wirklichkeit. Haucht's, erhebt sich etwas mühsam unter den Ovationen der Arena, und entfleucht ins Dunkel.

