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Schauspiel KölnPunker, Prediger, Intendant – so wird das Theater unter Kay Voges

7 min
Regisseur Kay Voges bei seiner Vorstellung als neuer Intendant am Kölner Schauspiel ab Spielzeit 2025/26 im Kölner Rathaus.

Intendant Kay Voges eröffnet am Freitag, den 26. 9. seine erste Spielzeit am Schauspiel Köln. 

Am Freitag beginnt die Spielzeit am Schauspiel Köln. Der neue Theater-Chef Kay Voges startet ehrgeizig mit einer Rekordzahl an Premieren.

Wäre alles glattgegangen, hätte Kay Voges seine Intendanz mit Glanz und Gloria am Offenbachplatz eröffnen können. 29 Premieren hatte Kölns neuer Schauspiel-Chef für seine erste Spielzeit im frisch sanierten Haus geplant, darunter Übernahmen aus seiner vorherigen Station, dem Wiener Volkstheater. Viel neuer Inhalt, viele neue Handschriften – auch um den schlechten Geschmack der Katastrophen-Baustelle loszuwerden. Doch leider geht in Köln selten etwas glatt. Weshalb der Theatermacher seine erste Spielzeit am kommenden Freitag im Mülheimer Depot beginnen muss, dem Dauer-Interim, aus dem sein Vorgänger Stefan Bachmann nie herausgekommen war.

Aber einen Gang zurückschalten? Da kennt man Voges schlecht: „Wir sind nach Köln gekommen“, erklärt der Intendant im Gespräch mit dieser Zeitung, „um uns für die Menschen in dieser Stadt den Arsch aufzureißen“. Für ein gutes Programm werde man alles geben. Das will man auch zeigen. Köln ist für den 1972 in Düsseldorf geborenen, in Krefeld aufgewachsenen Regisseur ein Sehnsuchtsort, eine imaginierte Heimat. Er liebe die Sprache, die Direktheit und die Zugänglichkeit der Menschen, sagt Voges: „Die Kölner Mentalität ist meine Mentalität“.

1,5 Millionen Menschen sahen den „Geheimplan gegen Deutschland“

Zu den 29 angekündigten Produktionen ist inzwischen noch eine 30. Premiere dazugekommen. Und vor anderthalb Wochen überraschte er mit einem Abend im Depot 2: Neue Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“ zum Treffen rechtsextremer Aktivisten in einer Potsdamer Villa, präsentiert vom neuen Ensemblemitglied Andreas Beck. Im Januar 2024 hatte Voges eine szenische Lesung der „Correctiv“-Story zum „Geheimplan gegen Deutschland“ am Berliner Ensemble eingerichtet. Der Abend wurde live im Internet übertragen. 1,5 Millionen Menschen sahen den Stream, die folgenden Anti-AfD-Proteste in vielen deutschen Städten gelten als die größte Demonstrationsserie in der Geschichte der Bundesrepublik. So wirkmächtig zeigte sich das Theater selten.

Im „Nachspiel“ zum „Geheimplan gegen Deutschland“ vermischt Andreas Beck eigene Gedanken mit der Wirkungsgeschichte des ersten Abends. 90 Minuten Text, einstudiert in nur anderthalb Tagen. „Meine beiden Regisseure [Voges und Calle Fuhr] waren so aufgeregt, dass ich gar keine Chance mehr hatte, aufgeregt zu sein“, erzählt Beck. Kennengelernt hat er Voges als Gastregisseur in Kassel. Der 1964 in Mecklenburg-Vorpommern geborene Beck spielte dort im Ensemble und vermisste schmerzlich die Relevanz des DDR-Theaters. Damals, sagt er, habe es Stücke gegeben, „die brannten, wo man Themen ansprechen konnte, die in den Zeitungen oder in den großen Medien nicht ansprechbar waren“. In der Zusammenarbeit mit Voges habe er diese Relevanz wiedergefunden. Seitdem gilt Beck als Stütze des Voges-Ensembles, seit 15 Jahren begleitet er den Intendanten, und seine Frau Mirjam Beck ist dessen Künstlerische Betriebsdirektorin und Stellvertreterin.

Andreas Beck in "Geheimplan gegen Deutschland - Ein Nachspiel"

Nach Relevanz hat Voges selbst lange gesucht. Zuerst seien da die Fragen gewesen, die er an die Welt hatte – und das noch größere Problem, wie er diese Fragen konstruktiv nutzen könne. Als Kind wollte er Prediger werden, als Jugendlicher schloss er sich einer Pfingstgemeinde an. Später spielte er in einer Punkband, versuchte sich als Schriftsteller, als Maler, als Fotograf. Immer gab es Leute, die es besser konnten. Dann kam ihm die rettende Idee: „Wenn ich Regie führe, kann ich die Leute, die besser spielen, besser musizieren, besser malen und besser schreiben, mit einer Vision zusammenbringen.“

Ein Regiestudium hat Voges nie absolviert. Stattdessen hat er sich von der Büro-Kaffeemaschine aus hochgearbeitet, erst am Theater Krefeld, dann in Oberhausen, dann als freier Regisseur an kleinen, bald auch größeren Häusern, schließlich als Intendant in Dortmund, wo er das Publikum mit manchmal sperrigen, oft radikal digitalen Arbeiten schockierte – und für sich gewann. Seine rahmensprengende Inszenierung „Die Borderline Prozession“ wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen, plötzlich galt er als innovativster Intendant des Landes.

Er schätzt es sehr, eigenständige Schauspielerinnen und Schauspieler zu haben.
Julia Schubert über Kay Voges

Julia Schubert traf Kay Voges zum ersten Mal, als sie sich 2009 um ein Engagement in Magdeburg bewarb, wo er gerade inszenierte. „Das war die einzige Einladung, die ich bekommen hatte.“ Zum Vorsprechen kam der Regisseur zu spät, war auf dem Weg zum Theater im Schnee stecken geblieben. „Er kam erst rein, als ich schon fertig war. Aber am Ende hat er gesagt: Ich habe sie zwar nur von außen gehört, aber ich fand Julia am besten.“

Als Voges Dortmund übernahm, stieß Schubert bald dazu. „Mit Kay hat man das Gefühl, etwas gemeinsam zu kreieren. Er kommuniziert dabei ganz transparent. Und du kannst sagen, wenn dir etwas nicht passt, ohne dass er es dir krumm nimmt.“ Zuletzt arbeitete Schubert an Thomas Ostermeiers hochrenommierter Berliner Schaubühne, ein Traumjob. Als das Angebot aus Köln kam, habe sie zuerst gezögert. Weil ihr die Arbeit an der Schaubühne sehr gut gefallen habe, weil sie auch sehr gerne mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Berlin gewohnt habe, so einfach pflanze man eine Familie nicht um. „Aber ich habe auch Ja gesagt, weil es Kay war, der gefragt hat. Weil ich bei ihm das Gefühl habe, dass mich jemand unbedingt dabeihaben möchte. Nicht nur als Schauspielerin, sondern als künstlerisch arbeitende Person. Er schätzt es sehr, eigenständige Schauspielerinnen und Schauspieler zu haben.“

Julia Schubert, neu im Schauspiel-Köln-Ensemble

Ähnlich beschreibt es auch Andreas Beck: „Das Besondere bei Kay ist, dass sein Theater ein Labor ist, in dem man etwas gemeinsam entwickelt. Natürlich hat er eine Idee und hat auch im Endeffekt den Hut auf. Aber trotzdem herrscht am Anfang Tabula rasa.“ Ob man mit dieser Offenheit nicht auch krachend scheitern kann? „Ja, klar, aber das gehört dazu.“

Calle Fuhr, Hausregisseur und -autor in Köln, war 2018 Kay Voges Regieassistent am Berliner Ensemble. Man bräuchte Hilfe bei dem Jecken aus Dortmund, hieß es aus Berlin, als Fuhr dort nach einem Job fragte. Voges hatte sich vorgenommen, einen Abend namens „Die Parallelwelt“ gleichzeitig am BE und am Theater Dortmund auf die Bühne zu bringen. „Da hatte ich zum ersten Mal wieder dieses Jugendclub-Gefühl von: Wir ziehen hier alle an einem Strang“, erinnert sich Fuhr. „Diese Ellbogenkämpfe, die ich sonst viel am Theater erlebt habe, vor allem in Wien – die gab es da nicht.“ Bald darauf wurde Voges nach Wien berufen und komplimentierte Fuhr zurück in die österreichische Hauptstadt: Er brauche dringend jemanden, dem er vertraue und der sich am Haus auskenne.

Calle Fuhr in "Aufstieg und Fall des René Benko"

Am Volkstheater brachte der Intendant den jungen Regisseur mit dem Recherchenetzwerk „Correctiv“ und seinem österreichischen Gegenstück „Dossier“ zusammen. Was zum hochbrisanten Abend „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ führte, bei dem sich Fuhr selbst als Schauspieler inszenieren musste, weil sich die Faktenlage so rasend schnell veränderte, dass keine Zeit mehr blieb, den Text einer zweiten Person nahezubringen. Das Interesse an der Lehrstunde zum Wirtschaftshasardeur war so groß, dass die Produktion von der kleinen Nebenbühne ins große Haus wanderte. Dort spielte Fuhr regelmäßig ausverkaufte Vorstellungen vor 600 Menschen. Ein Update des Recherche-Stücks wird in Köln zu sehen sein.

„Theater und Journalismus“ heißt eine eigene Abteilung am Schauspiel Köln, man will der zersplitterten Wirklichkeit die gute, alte Aufklärung entgegensetzen. Fuhr wird in „Dat Wasser vun Kölle es jot“ über den Reinheitszustand des Rhein aufklären und sich in „Monopoly – Die Revanche“ mit der Schuldenbremse auseinandersetzen. Es geht darum, sagt er, komplexe Geschichten zu erzählen, scheinbar trockene Themen, die uns aber alle betreffen. „Die Leute sollen sich nach dem Theaterbesuch wieder mündiger fühlen.“

Zuerst aber wird die Vorstellungskraft gepflegt: „Imagine“ heißt der vom Intendanten und seinem Chefdramaturgen Alexander Kerlin entwickelte Eröffnungsabend, eine Quasi-Fortsetzung der Dortmunder „Borderline-Prozession“. Andreas Beck spielt auch mit, als einer von 19 Akteuren des neuen, 30-köpfigen Ensembles. „Natürlich“, sagt Beck, „hätte Kay auch mit viel weniger Stress einfach ein Zwei-Personen-Stück machen können.“ Aber so sei er nun mal nicht.