Günther Uecker wurde mit seinen Nagelbildern weltberühmt. Jetzt ist er im Alter von 95 Jahren gestorben.
Zum Tod von Günther UeckerMit roher Gewalt zu zarter Poesie

Der Künstler und Maler Günther Uecker sitzt lachend in seinem Atelier.
Copyright: Fabian Strauch/dpa
Wie so mancher Kunst, die zeitlos sein will, sieht man den Objekten der Zero-Künstler ihre Herkunft besonders deutlich an. Otto Pienes automatisierte Lichtballette wirken heute wie kosmische Varianten der Diskokugel, und wenn Heinz Mack im silbernen Raumfahreranzug durch die Sahara stapft, darf man auch an die psychedelischen Spielereien des Werbefilmers Charles Wilp denken. Manchmal weiß man nicht, was einem an den aus Plexiglas, Leuchtröhren und Aluminium gefertigten Installationen besser gefällt: Der Charme einer technisch überholten Utopie oder ihre Nähe zum Lounge-Möbel der 60er Jahre?
Günther Uecker dürfte es mit Fassung getragen haben, dass sein stählerner, mithilfe von Leuchtröhren zu Boden stürzender „Lichtregen“ (1966) auf dem Weg in die Zukunft einen unverkennbaren Retroschick annahm, denn unter den Utopisten der dreiköpfigen Zero-Gruppe war er stets der Bodenständige. Während Piene und Mack von idealen, aus dem „Nichts“ des Neuanfangs entstehenden Welten träumten, hielt es Uecker eher mit der Wirklichkeit – er schätzte an Zero die Aufbruchstimmung und die interne Konkurrenz, die sich aus den gemeinsamen Auftritten ergab. Sein nüchterner Blick erwies sich als hellsichtig. Bereits im Jahr 1966 löste sich die verschworene Zweckgemeinschaft wieder auf.
Erst Uecker löste das Versprechen auf gehämmerte Dichtkunst ein
Die Scheidung verlief friedlich, denn jeder Künstler nahm aus der Verbindung sein eigenes Markenzeichen mit: Piene die Feuerbilder, Mack die Lichtstelen und Uecker die Nagelbilder. Auf die Idee, mit Hammer und Nägeln zu malen, hatte ihn, so Uecker, schon während des Studiums ein Satz des kommunistischen Dichters Wladimir Majakowski gebracht: „Poesie wird mit dem Hammer gemacht.“ Bei Majakowski klang das nach Selbstverleugnung (es sei denn, er meinte die „Schläge“ der Schreibmaschine), erst Uecker löste das Versprechen auf gehämmerte Dichtkunst tatsächlich ein – und wurde weltberühmt.
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Zunächst drückte er im Zeichenunterricht der Düsseldorfer Kunstakademie aber einfach den Bleistift durchs Papier. Auf diese Lochbilder folgten einfarbige Leinwände, und schließlich trieb Uecker, im Jahr 1957, die ersten Nägel in den Holzrahmen eines monochromen Bilds. Nun war es nur noch ein kleiner und doch riesiger Schritt, die Nägel wie Farbtupfer ins Bild zu setzen.
Uecker hauchte dem toten Material poetisches Leben ein, indem er die Nägel zu Kreisen, Spiralen oder Wellen hämmerte und ihnen mit weißer Farbe die Schwere nahm. Mitunter wiegen sich seine Nägel wie Halme im Wind, das Harte wird biegsam, es strömt und wirft malerische Schatten auf die ebenfalls geweißte Holztafel. 1961 tat sich Uecker dann mit Piene und Mack zusammen, weil er mit seinen Nagelbildern wie sie das Licht einfing. Als Zero-Künstler baute er nun auch Lichtkästen, er legte „Lichtplantagen“ an und arrangierte eine „Sandmühle“, in der endlos kreisende Bindfäden Linien in den Sand ziehen.
Meditationen hoben die dummen Nägel in höhere Geistessphären
Solche Meditationen hoben selbst die „dummen“ Nägel in höhere Geistessphären. Zwischen 1961 und 1981 stellte Uecker fünf große „Lichtscheiben“ zusammen, um sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten rotieren zu lassen. Jede der bis zu 175 Zentimeter großen, mit Nägeln übersäten Scheiben bewegte sich in ihrem eigenen, jeweils sehr gemächlichen Tempo – wobei eine erst zu kreisen begann, wenn der Besucher sie aktivierte, und eine andere stillstand, aber durch den Wechsel von Licht und Schatten die Illusion von Bewegung vortäuschte. Uecker steuerte sein Skulpturen-Ensemble, als wäre es ein Kammerorchester für sichtbare Töne.
Für einen Meditationskünstler war Uecker letztlich aber wohl zu sehr Handwerker. Wer mit Nägeln arbeitet, bleibt im Grunde seines Herzens ein Realist. Deswegen entwarf er auch Tastobjekte, benagelte Tische, Stühle und Bürsten und wandte sich, vielleicht aus Furcht davor, als etwas einfältiger Charakter in die Kunstgeschichte einzugehen, in den 1970er Jahren Materialien wie Stoff, Pappe und Seilen zu. Nach der Katastrophe von Tschernobyl schuf er seine „Aschebilder“, aus Grafit, Leim und eben Asche gebildete Wirbel und Ströme auf Papier. Hier wird das Licht von der Düsternis verschluckt.
Ein wenig reumütig kehrte Uecker in den 80ern zu den Nagelreliefs zurück. Mit ihnen wurde der einstige Avantgardist sogar zum Staatskünstler, der 1998 im Berliner Bundestag einen überkonfessionellen Andachtsraum aus Stein, Farbe, Licht und natürlich Nägeln gestaltete. Spätestens als moderner Klassiker kam er von seinem Markenzeichen nicht mehr los, selbst, wenn er es gewollt hätte. Aber das war kein Schaden, denn was Günther Uecker als rohe Gewalt in seine Nagelbilder hineinlegte, verwandelte sich in wirbelnde Poesie. Jetzt ist er im Alter von 95 Jahren in seiner Heimatstadt Düsseldorf gestorben.