Die CDU gewinnt zwar die Wahlen im Land, aber die AfD hat nun im Westen Fuß gefasst – eine echte Herausforderung.
NRW-KommunalwahlDieses AfD-Ergebnis verändert die Arithmetik


Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gibt auf der Wahlparty der Düsseldorfer CDU ein Statement zur Kommunalwahl ab.
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Es gibt Wahlen, die die politische Statik der Republik verändern. Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen gehört dazu, denn: Die alte Ordnung im Westen wankt. Die CDU mit Hendrik Wüst, dessen hohe Beliebtheitswerte als Ministerpräsident auch auf kommunaler Ebene halfen, ist mit über 33 Prozent klarer Gewinner – gegen den Bundestrend, gegen die Schwäche der Union in Berlin, wo die Partei in letzten Umfragen bei gerade mal 25 Prozent stand. Heißt: NRW, einst tiefrot, bleibt CDU-Land, auch wenn Köln hier eine Ausnahme darstellt.
Doch dieser Sieg, so glänzend er für die Christdemokraten wirken mag, ist zugleich ein Auftrag. Denn die eigentliche Geschichte dieser Wahl ist nicht der Erfolg der Union, sind nicht die bitter abgestraften Grünen oder das immer weitere Trudeln der SPD nach unten. Nein: Es ist der Aufstieg der AfD, die nun buchstäblich im Westen angekommen ist. Erstmals zieht die AfD mit satten Ergebnissen hier in Stadt- und Gemeinderäte ein. Was bislang die Ausnahme war, ist plötzlich Normalität – fast 15 Prozent, das Ergebnis von 2020 verdreifacht.
Um sich der Erschütterung bewusst zu werden, muss man die Dimension sehen: Fast 14 Millionen Menschen sind in NRW wahlberechtigt. Das sind mehr als in allen ostdeutschen Ländern zusammen. Wenn die AfD in NRW derart Fuß fasst, dann ist sie keine Regionalpartei mehr. Der Westen, lange als Bollwerk gegen die extreme Rechte betrachtet, hat zweistellige AfD-Ergebnisse –um die zehn Prozent sogar in Köln.
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Für die SPD ist dieser Abend eine weitere Etappe ihres Niedergangs. Die Herzkammer Ruhrgebiet schlägt nicht mehr für die Sozialdemokratie. Gerade in Duisburg, Dortmund oder Gelsenkirchen verliert die SPD direkt an die AfD – und zwar nicht nur Wähler, sondern auch ein Stück Identität. In den früher roten Hochburgen herrschen nun Verunsicherung, Enttäuschung, Wut. Die SPD hat vielerorts den Kontakt zu den Milieus verloren, die sie einmal trugen. Der Abstiegskampf der einstigen Arbeiterpartei wird immer aussichtsloser, auch weil der aufrechte Protest gegen Rechts mit Mahnwachen- und Bündnissymbolik kein einziges Problem ihrer ehemaligen Stammwähler löst. Auch die Grünen zahlen einen hohen Preis. Sie haben alles verloren, was sie vor fünf Jahren gewonnen hatten. Der Traum von der Volkspartei ist vorerst ausgeträumt, jedenfalls jenseits der urbanen Zentren. Noch 2020 feierten sie Rekordergebnisse, getragen von Klimabewegung und moralischem Aufbruch.
Die Brandmauer steht, aber die demokratische Mitte schrumpft
Fünf Jahre später folgt jetzt die Ernüchterung. Auf kommunaler Ebene wie zum Beispiel in Köln haben die Grünen enttäuscht: mit viel Gestaltungsanspruch, aber wenig sichtbarem Ertrag. Wer gehofft hatte, die Grünen könnten auch im kleinteiligen Alltag kommunale Verantwortung in erfolgreiches Handeln übersetzen, sieht nun, dass sie außerhalb der Universitätsstädte auf verlorenem Posten stehen. Die NRW-CDU dagegen kann sich an diesem Abend feiern lassen, und doch weiß Wüst, dass seine Aufgabe größer wird. Dieses AfD-Ergebnis verändert die Arithmetik. Es wird in vielen Räten schwieriger werden, noch Mehrheiten ohne die AfD zu finden.
Die Brandmauer steht, aber die demokratische Mitte schrumpft. Problem: Wenn alles, was die AfD auf kommunaler Ebene befürwortet, nur deswegen falsch ist, weil die AfD dafür ist –dann blockiert man nicht nur womöglich sinnvolle Projekte, sondern vergrault auch jene Wähler, die Lösungen erwarten, für die es aber links von der CDU keine Mehrheit mehr gibt. Das wird herausfordernd. Weiterhin zu glauben, die AfD lasse sich mit Abgrenzung oder Verbotsszenarien kleinhalten, ist fahrlässig. Es geht nicht um Symbole oder Populismus – sondern um politische Lösungen: Migration ordnen, Sicherheit durchsetzen, Vertrauen in den Sozialstaat zurückgewinnen, Abstiegsängste ernst nehmen. Die Wahl in NRW war kein Warnschuss mehr, davon gab es zuletzt reichlich. Der Ernstfall ist eingetreten.