Der Kölner Juraprofessor Markus Ogorek zieht in seiner Kolumne Lehren aus der Kommunalwahl.
Heftig kritisiertDiese „Kleinigkeit“ fehlte beim Kölner Fairness-Abkommen zur Kommunalwahl

Die Kölner Wahlplakate der OB-Kandidaten Markus Greitemann CDU, Volker Görzel FDP, Torsten Burmester SPD und Berivan Aymaz Bündnis 90, Die Grünen stehen nebeneinander an der Aachener Straße in Köln.
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Der Sonntag der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen liegt nun schon einige Tage hinter uns. Spannende Erkenntnisse lassen sich daraus auch über das Ergebnis hinaus gewinnen.
Fast ein Drittel der Wählerinnen und Wähler (knapp 33 Prozent) hatte diesmal Briefwahl beantragt; vor fünf Jahren waren es rund 31 Prozent. Juristen sehen diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Richtig, die Briefwahl ist bequem. Sie steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen der freien und geheimen Wahl. Werden die Kreuze nicht in der Wahlkabine, sondern am Küchentisch gesetzt, ist nicht in gleicher Weise gewährleistet, dass die Stimmabgabe unbeobachtet und die Willensbildung unbeeinflusst bleibt.
Auch wenn es bislang noch nie dazu kam: Sollte eines Tages die große Mehrheit von zu Hause aus abstimmen, könnten Gerichte die Wahl sogar für ungültig erklären. Wer das Wahlrecht schützen will, muss deshalb auch seine Weiterentwicklung im Blick behalten. Eine vorzeitige Stimmabgabe im Rathaus (early voting) sowie mobile Wahllokale könnten den veränderten Lebensumständen Rechnung tragen, ohne die Grundprinzipien der Urnenwahl preiszugeben.
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Stolperfalle Neutralitätspflicht
Im Wahlkampf sorgten vor allem Datenschutz und Neutralitätspflicht für Diskussionen. So verband ein Kandidat in Kerpen eine Bürgerbefragung zu lokalpolitischen Themen mit einem Gewinnspiel. Wahlrechtlich ist daran nichts auszusetzen: Zwar ist die ausgelobte Summe von 800 Euro kein geringfügiges „Give-away“ mehr, sondern ein attraktiver Vorteil, der übliche Wahlgeschenke wie Kugelschreiber oder Luftballons weit übertrifft. Solange aber niemand Druck ausübt oder versucht, den Willen der Wähler zu manipulieren, bleibt die Wahlentscheidung frei. Zudem lockte lediglich ein einziger Gewinn. Die Chance, ihn zu erhalten, war entsprechend gering. Auch stand keine strafbewehrte Wählerbestechung in Rede, da die Gewinnchance nicht an ein bestimmtes Abstimmungsverhalten gekoppelt war.
Politisch bleibt ein fader Geschmack
Politisch bleibt dennoch ein schaler Geschmack. Was wäre davon zu halten, wenn finanzstarke Bewerber künftig noch größere Summen einsetzten? Demokratie lebt vom offenen Wettbewerb der Ideen, nicht der Geldbörsen. Am Ende griff die Landesdatenschutzbeauftragte ein: Die Abfrage personenbezogener Daten wie Name, Anschrift und Geschlecht sei nur zulässig, wenn feststeht, dass diese Daten ausschließlich für den angegebenen Zweck – also die Gewinnspielabwicklung – genutzt werden. Auch müsse sichergestellt sein, dass Unbefugte keinen Zugriff auf die Informationen erhalten. Beides war hier nicht gewährleistet.
Ebenfalls in das Visier der Aufsichtsbehörden geriet der amtierende Bürgermeister von Bergheim. Auf einem Flyer warb er mit Rathaus-Adresse, dienstlicher Telefonnummer und E-Mail-Adresse um direkte Kontaktaufnahme – ein klarer Verstoß gegen die Neutralitätspflicht, die jede Vermischung von Amt und Wahlkampf untersagt. Dass ein Bürgermeister das Rathaus als verlängerte Wahlkampfzentrale nutzt, ist mehr als nur ein Formfehler. Es beschädigt das Vertrauen in die politische Fairness. Folgerichtig ordnete die Kreisverwaltung an, die Verteilung des Flyers unverzüglich einzustellen.
Kölner Fairness-Abkommen in der Kritik
Ungewohnt scharfer Kritik von außen sah sich dieses Jahr das vom „Kölner Runden Tisch für Integration“ initiierte Fairness-Abkommen ausgesetzt. CDU, SPD, Die Linke, FDP, Grüne und Volt verpflichten sich darin, im Wahlkampf keine Ressentiments gegenüber Migranten und Geflüchteten zu schüren. Elon Musk behauptete auf X, wegen des Abkommens dürfe nur noch die AfD in der Domstadt über Migration sprechen, was grotesk überzogen ist.
Das Abkommen beschneidet weder Meinungsfreiheit noch Demokratie, sondern zielt darauf ab, die Vielfalt in unserer Gesellschaft zu achten und sich für gute Lebensbedingungen, Toleranz und ein friedliches Miteinander starkzumachen. Dass die eingesetzten Schlichter etwa die Kritik eines CDU-Ratsmitglieds an einer geplanten Erstaufnahmeeinrichtung im Agnesviertel nicht als Regelverstoß werteten, verdeutlicht, dass es nicht um Denk- oder Redeverbote geht, sondern allein um die Einhaltung eines Sachlichkeitsgebots.
Frei von Schwächen ist der Wortlaut des Abkommens allerdings nicht. Migranten und Geflüchtete sollen danach nicht für negative gesellschaftliche Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit oder die Gefährdung der inneren Sicherheit verantwortlich gemacht werden. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wies zu Recht darauf hin, dass hier das kleine, aber wichtige Wörtchen „pauschal“ fehlt.
Die Debatte lehrt: Gut gemeinte Regeln brauchen präzise Sprache. Wer sie schuldig bleibt, öffnet Tür und Tor für Zerrbilder, die Populisten nur zu gern ausschlachten.