Wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs in einem Krankenhaus in NRW muss Ulrich S. eine lebenslange Haftstrafe absitzen. Der Pfleger war auch in Köln tätig.
„Er wollte, dass es ruhig ist“Krankenpfleger zu Höchststrafe verurteilt

Urteilsverkündung im Aachener Landgericht gegen Todespfleger
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Er bezeichnet sich selbst als „Gutmensch“, als Kümmerer, der wegen seiner Handlungen das „Bundesverdienstkreuz“ verdient habe und seinen Patienten doch nur „ein friedliches Einschlafen“ ermöglichen wollte. Wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs wurde Ulrich S. jetzt zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach Überzeugung des Landgerichts Aachen hat der Krankenpfleger zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 zahlreichen Patienten auf der Palliativstation des Rhein-Maas-Klinikums Würselen im Nachtdienst eigenmächtig überhöhte Mengen an Beruhigungsmitteln verabreicht, teils in Kombination mit Schmerzmitteln, und teilweise auch mehrfach.
Zudem sprach sich das Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Markus Vogt für ein lebenslanges Berufsverbot aus und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet: Eine Freilassung nach 15 Jahren wird es nicht geben. Damit folgte das Gericht in weiten Teilen den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
„Schwerwiegende Indizien“
Gutachter hätten im Verfahren zwar nicht ausschließen können, dass die schwer kranken Patienten auf der Palliativstation wegen einer „Alternativursache“ verstorben seien, sagte Vogt. Bei der Urteilsfindung habe man sich jedoch auf eine Reihe von „schwerwiegenden Indizien“ berufen, die „ein schlüssiges Bild“ ergaben: „Der Angeklagte hat aus niederen Beweggründen gehandelt und mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt.“
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Im Laufe der vergangenen sieben Monate mit 29 Verhandlungstagen wurde S. vielfach als „narzisstische und zwanghafte Persönlichkeit“ beschrieben, die alles besser zu wissen glaubt, bei Kritik schnell aus der Haut fährt und mit den Kollegen in der Klinik immer wieder Streit hatte. Auch die Qualifikation der Ärzte auf der Station stellte er vielfach infrage.
Angeblich um „etwas Gutes zu tun“, weil „Schlaf doch schließlich die beste Medizin“ sei, spritze S. unruhigen Patienten dann das Narkosemittel Midazolam und in einigen Fällen auch Morphin. Der Angeklagte habe jedoch „keinesfalls aus Mitleid“ gehandelt, sagte Richter Vogt bei seiner zweieinhalbstündigen Urteilsverkündung: „Zu echter Empathie ist er gar nicht fähig.“
„Er wollte, dass es ruhig ist“
Die Anmaßung, nach eigenem Gutdünken über Leben und Tod eines Menschen zu entscheiden, sei motiviert gewesen durch den Wunsch, vom Leiden eines anderen „in seinem eigenen Wohlbefinden“ nicht belästigt zu werden, so der Vorsitzende. „Hinzu kam das narzisstische Motiv einer eigenen überlegenen Kompetenz“, die S. im Prozess mehrfach „überheblich“ zur Schau gestellt hat.
„Er wollte, dass es ruhig ist während seiner Schicht, darum ging es ihm. Er kannte den Zustand der Patienten, ihr Lebensrecht war ihm gleichgültig“, so Vogt. Kaum zu verstehen sei, dass es in der Klinik nicht aufgefallen ist, dass während der Tätigkeit des Angeklagten exorbitante Mengen von Beruhigungs- und Schmerzmittel bestellt und verbraucht wurden.
Im Jahr 2022, als S. noch nicht in Würselen war, seien von der Station 50 Midazolam-Ampullen bestellt worden, 2023 seien es 180, 2024 bis Pfingsten schon 230 gewesen. Das mörderische Handeln des Angeklagten sei durch die „unzureichenden Vorgaben und Überwachungsmaßnahmen“ in der Klinik erleichtert worden und wäre bei „einer entsprechenden Organisationsstruktur“ wohl deutlich früher aufgefallen, betonte Vogt.
Beruhigungsmittel in rauen Mengen
„Aber bis zur Verhaftung des Angeklagten (im Frühjahr 2024) interessierte es offenbar niemanden im Krankenhaus, dass er Midazolam in rauen Mengen bestellte.“ Selbst der Apotheker des Krankenhauses sagte im Zeugenstand vor Gericht, dass er keinen Überblick über die Bestellungen gehabt habe. „Wir haben die Hoffnung, dass dieses Verfahren auch eine gewisse Sensibilisierung der Öffentlichkeit und von Verantwortlichen bewirkt“, kommentierte Vogt in diesem Zusammenhang. Einen Teil der eigenmächtig verabreichten Mittel habe der Angeklagte nach seinen Nachschichten, bei denen er zumeist alleine auf der Station war, tags darauf von einem der Ärzte sogar noch genehmigen lassen, ergänzte Vogt.
Dabei habe der Angeklagte sich oftmals die Unerfahrenheit junger Assistenzärzte zu Nutze gemacht, aber auch von der Oberärztin seien einige der nächtlichen Medikamentenvergaben „anstandslos“ genehmigt worden. Auch dieses Verhalten habe dazu beigetragen, dass „das Vorgehen des Angeklagten lange Zeit unerkannt blieb“. Schlimmer noch: S. habe das Geschehen, sogar als „stillschweigende Duldung“ seiner nächtlichen Überdosierungen gewertet.
Gegen Mitarbeitende des Krankenhauses hat die Staatsanwaltschaft mittlerweile Ermittlungen eingeleitet. Auch die Zeit in Würselen vor dem Dezember 2023 wird derzeit untersucht. Die Ermittler gehen mittlerweile davon aus, dass es dabei zu weiteren Mordvorwürfen und einem neuen Prozess kommen wird.
Vor seiner Beschäftigung am Rhein-Maas-Klinikum hat Ulrich S. bei den städtischen Kliniken in Köln-Merheim als Krankenpfleger gearbeitet: zwischen April 2010 und Januar 2011, außerdem zwischen Februar 2014 und September 2020. Auch hier laufen die Ermittlungen.
Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte Dokumentationsmängel in Kliniken. „Immer noch gibt es Krankenhäuser, die über keine lückenlose, standardisierte und elektronische Kontrolle der Medikamentenabgabe verfügen. Aber nur so können Fehlmedikationen und Überdosierungen schon im digitalen System identifiziert und verhindert werden“, teilte Brysch mit. So hätten Serientäter ein „viel zu leichtes Spiel“.

