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Luftwaffe KölnWie zwei Soldaten zu Beginn und am Ende ihrer Karriere auf die Bundeswehr blicken

Lesezeit 9 Minuten
Die beiden Männer sind im Gespräch unterwegs auf dem Kasernengelände. Der junge trägt Uniform in Tarnfarbe.

Hauptmann a.D. Frank Prodehl (r.) ist gerade bei der Luftwaffe ausgeschieden. Was hat ihn einst zu einer Karriere bei der Bundeswehr bewogen? Wie sieht er die Lage heute? Hauptgefreiter Tim Sellin absolviert gerade seinen Wehrdienst in Köln. 

Frank Prodehl war mehr als 30 Jahre bei der Luftwaffe, Tim Sellin leistet gerade seinen Wehrdienst. Ein Gespräch um die Frage: Warum will man zur Armee – erst recht in diesen Zeiten?

Herr Prodehl, Sie haben sich im Jahr 1991 entschieden, zur Bundeswehr zu gehen. Wie war das für Ihre Familie?

Frank Prodehl: Ich bin der älteste Sohn meiner Mutter, es bedrückte sie, dass ich weggegangen bin, die gemeinschaftliche Wohnung verlassen habe. Aber ich habe versucht, mich heimatnah stationieren zu lassen. Ich komme aus Soest, das ist von Köln aus nicht aus der Welt.

Soldat ist kein ungefährlicher Beruf. Hatte Ihre Mutter deshalb Sorge?

Frank Prodehl: Das war nicht so ihr Problem. Man muss bedenken, dass Anfang der 1990er Jahre wahrscheinlich die krasseste Friedenszeit war, die wir je erlebt haben. Der Kalte Krieg war gerade zu Ende, alle haben gedacht: Es gibt sowieso nie wieder Krieg in Europa.

Was hat Sie in diesen Friedenszeiten dazu bewogen, zur Bundeswehr zu gehen?

Frank Prodehl: Ich wollte meinen Beitrag leisten, zum Beispiel bei Friedenseinsätzen. Aber entscheidend war auch der Wunsch, mit Gleichgesinnten kameradschaftlich Dienst zu tun. Mich lockte auch das breitgefächerte Berufsbild. Ich war gerade fertig mit meiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Zudem war klar: Die Wehrpflicht kommt ohnehin auf mich zu. Vor diesem Hintergrund habe ich mich dazu entschieden, mich gleich länger zu verpflichten. Ich wurde Soldat auf Zeit.

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Da hilft jeder jedem, alle ziehen an einem Strang, jeder macht dasselbe durch, egal wo er herkommt.
Tim Sellin (21)

Sie waren im Team Luftwaffe. Was genau waren Ihre Aufgaben?

Frank Prodehl: Nach der Grundausbildung in Budel in den Niederlanden bin ich nach Rheine ins damalige Jagdgeschwader 72 Westfalen versetzt worden, da war das Kampfflugzeug Phantom stationiert. Wir waren für die Bestandsprüfungen von Material und Ausstattung zuständig, Zählungen, Schadensverarbeitungen und all das.

Hauptmann a.D. Frank Prodehl ist im Porträt zu sehen.

Hauptmann a.D. Frank Prodehl war über Befehle auch mal sauer. Aber: „Im Militär sind klare Ansagen eben wichtig. Da ist nicht der Ort für Diskussionen.“

Herr Sellin, Sie haben sich 2023 entschieden, zur Bundeswehr zu gehen. Der Ukraine-Krieg war schon in vollem Gange, die politischen Vorzeichen komplett andere als in den 1990er Jahren. Was hat Sie dazu bewogen?

Tim Sellin: Nach meinem Abitur wusste ich noch nicht, in welche Richtung es gehen soll. Da dachte ich, die Bundeswehr ist zur Zeitüberbrückung eine sinnvolle Sache. Was ich erlebt habe, hat mir gut gefallen und deshalb habe ich auch verlängert.

Was hat Ihnen denn so gefallen?

Tim Sellin: Die Abwechslung, dass Sport hier quasi zum Beruf gehört. Ich mache dienstlich zweimal in der Woche je 90 Minuten Kraft- und Ausdauersport. Außerdem kann ich durch die Verlängerung noch eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement integrieren.

Spielte auch der Wunsch nach der viel beschworenen Kameradschaft eine Rolle?

Tim Sellin: Auf jeden Fall. Gerade in der Grundausbildung macht sich dieses Gefühl stark bemerkbar. Da hilft jeder jedem, alle ziehen an einem Strang, jeder macht dasselbe durch, egal wo er herkommt. Das schweißt zusammen, man unterstützt sich, man fühlt sich aufgehoben, wenn einer etwas nicht kann, hilft ein anderer.

Wir mussten in der Grundausbildung beispielsweise mal einen Verwundetentransport simulieren. Da unser Kamerad aber Schwierigkeiten hatte, seine Koppel richtig festzuzurren, konnten wir ihn daran nicht gut packen. Da mussten wir ihn gemeinsam tragen. Wir haben improvisiert und es am Ende geschafft. So eine starke Kameradschaft habe ich in der Schule nie erlebt. Das liegt auch daran, dass man hier drei Monate lang auf einer Viererstube zusammenwohnt.

Frank Prodehl: Außerdem sind die Aufgaben ja ganz andere als in der Schule. Das hat hier sehr viel mehr diesen Erlebnis-Charakter: Man lernt nicht sitzend am Schreibtisch, sondern man ist mit Karte und Kompass im Gelände unterwegs, bricht auf zu Orientierungsmärschen und wird an der Waffe ausgebildet.

Gab es Befehle, auf die Sie keinen Bock hatten? Bei denen Sie dachten: Warum soll ich das denn nun tun?

Frank Prodehl: Mir fällt sofort was ein. Zum Beispiel sind wir mal von Mönchengladbach nach Budel gefahren. Es hat Hunde und Katzen geregnet, der Bus stand schon bereit. Wir wollten alle sofort einsteigen. Da sagte unser Stabsunteroffizier: Wo wollen Sie hin? Sie bleiben draußen! In einer Reihe antreten vor dem Bus! Wir dachten uns natürlich: Was geht denn hier jetzt? Was soll der Quatsch? Der Bus ist doch schon da und es regnet! Aber nun, wir haben uns natürlich alle aufgestellt. Erst später kam der Befehl: Auf den Bus aufsitzen! Dann sind wir eingestiegen. Alle voll nass, die ganze Fahrt nach Holland über.

Ich habe auch vor dem Ukraine-Krieg nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen bei der Bundeswehr erlebt.
Frank Prodehl (56)

Waren Sie da nicht sauer?

Frank Prodehl: Selbstverständlich. Aber dennoch würde ich sagen, es war nicht verkehrt. Im Militär sind klare Ansagen eben wichtig. Da ist nicht der Ort für Diskussionen. Und diesen Gehorsam lernt man schon in der Grundausbildung. Auch durch vermeintliche Sekundärtugenden wie das Hemdenfalten mit dem DIN-A 4-Blatt, akkurat die Betten machen, Fenster mit Zeitungspapier putzen. Wenn es nicht perfekt war, ging es nicht ins Wochenende. Dann wurde weitergeputzt.

Hat Ihnen das fürs Leben geholfen?

Frank Prodehl: Schon. Als Jugendlicher habe ich meine Sachen einfach in die Ecke geschmissen. Heute achte ich drauf. Lege meine Sachen zusammen, wenn auch vielleicht etwas legerer. Ich schlage mein Bett täglich auf.

Tim Sellin: Gerade diese Ordnungssachen hinterfragt man als junger Mensch schon. Muss das jetzt echt alles gleich sein? Gibt es nicht sinnvollere Sachen als Zusammenlegen, die ich lernen kann? Aber am Ende hilft es auch, wenn man diese Dinge so automatisiert, dass man sie einfach macht und dadurch ordentlicher lebt. Das ist angenehm und gibt eine gewisse Struktur.

Tim Sellin fängt gerade bei der Bundeswehr an. Er ist in Uniform im Porträt zu sehen.

Tim Sellin hat seinen Wehrdienst verlängert. Er sagt: „In so einer Stube gibt es natürlich auch menschliche Geräusche. Man muss beispielsweise zuweilen darauf achten, vor den anderen einzuschlafen, damit einen das Schnarchen aus dem Nebenbett nicht die ganze Nacht wachliegen lässt.“

Als der Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, waren Sie noch im Dienst, Herr Prodehl. Wie haben Sie diesen Stimmungswechsel erlebt?

Frank Prodehl: Ich muss vielleicht vorwegschicken, dass ich mich 2008 freiwillig für einen dreimonatigen Auslandseinsatz in Afghanistan beziehungsweise in Usbekistan gemeldet habe. Bei diesem Einsatz sind auch deutsche Kameraden gestorben. Es war keine Bedrohung für unser Land, dennoch: Auch da hatten wir ein mulmiges Gefühl. Ich habe auch vor dem Ukraine-Krieg nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen bei der Bundeswehr erlebt.

Warum haben Sie sich damals gemeldet?

Frank Prodehl: Ich war Soldat, da gehörte ein Einsatz dazu. Ich war als Adjutant des Obersts tätig. Im schlimmsten Fall – das wurde uns bei den Vorausbildungen auch immer gesagt – kann es auch zu Kampfhandlungen kommen. Der Soldatenberuf hat damit zu tun, dass man im Angriffsfall auch Feinde tötet. Das ist in gewisser Weise der Wesenskern dieses Berufs.

Hatten Sie mit diesem Wesenskern zuweilen auch ein Problem?

Frank Prodehl: Ich glaube, ganz sicher kann man das erst im Ernstfall sagen. Bislang war ich zum Glück nie in Kampfhandlungen verwickelt. Aber wenn es dazu kommt, ist doch die Frage: Er oder ich. Und dann würde ich mich immer für mein eigenes Überleben entscheiden. Dafür bin ich an der Waffe ausgebildet worden.

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist Krieg nach Europa gekommen. Es geht darum, die Bundeswehr kriegstüchtig für einen Bündnisfall zu machen. Wie erlebten Sie diese Zeitenwende?

Frank Prodehl: In Wellenbewegungen. Als ich Anfang der 1990er zur Bundeswehr kam, gab es genügend Ausrüstung, Panzer, Flugzeuge. Aber dann kam die Zeit der humanitären Einsätze, in der alle dachten, man braucht nicht mehr so viele Panzer. Irgendwann wurde die Ausstattung knapp. Und jetzt kommt tatsächlich wieder Geld an. Gerade in der Ausbildung merkt man das. Der junge Kollege hat ein Gewehr mit Laservisier, ein neues Rucksacksystem, neue Westen mit Magazinen und allem Drum und Dran. Das ist mit der Ausstattung von uns damals nicht vergleichbar und sehr angenehm.

Tim Sellin: Ja, das bringt beim Unterwegssein im Gelände wirklich einen Vorteil.

Frank Prodehl: Seit einigen Jahren gibt es auch das sogenannte Handgeld. Jeder Kommandeur eines Bataillons an der Dienststelle hat 25.000 Euro zur Verfügung, die er für kleinere Beschaffungsmaßnahmen verwenden kann. Da kann man dann einen Kühlschrank oder einen Ventilator kaufen, einen Heizpilz. Außerdem hat man in die Logistik investiert, damit die Dinge, die auf dem Hof stehen, auch wirklich fahren und fliegen und schwimmen können. Neue Kampfjets, eine neue Fregatte sind bestellt. Diese Sachen muss die Rüstungsindustrie natürlich erstmal bauen, das wird ein paar Jahre dauern. Aber die Dinge sind in der Mache.

Gibt es ein Erlebnis, das Sie zur Überlegung veranlasst hat, alles hinzuschmeißen?

Tim Sellin: Nein, ich erinnere mich im Gegenteil eher an positive Erlebnisse. Zum Beispiel einen Schießwettkampf in Österreich, an dem ich letztes Jahr teilnehmen durfte. Wir haben aus einer Distanz von 200 Metern mit einem Gewehr auf eine Zehner-Ringscheibe geschossen, aus 25 Metern mit einer Pistole. Dass mir das ermöglicht wurde, fand ich cool. Ich habe sogar den ersten Platz gemacht und zwei Pokale gewonnen.

Hat man bei so einem Wettkampf auch vor Augen, dass man das trainiert, um im Ernstfall auch auf Menschen zu schießen?

Tim Sellin: Daran denkt man nicht jedes Mal, wenn man auf den Schießstand geht. Das ist Routine. Aber diese Gedanken kommen natürlich immer mal wieder. Im Notfall muss man damit umgehen, das ist allen bewusst.

Gibt es etwas, das Sie an der Bundeswehr stört?

Tim Sellin: Ja, die Zwangsversetzung. Wenn die Zeit auf dem Dienstposten ausläuft, hat man keinen Platz mehr in der Kaserne und dann kann es sein, dass man woanders hinmuss, wir sagen an einer anderen Stelle „verwendet“ wird. Man hat mittlerweile zwar ein Mitspracherecht, aber es kommt auch vor, dass Menschen irgendwo zur Verfügung stehen müssen und das nicht so toll finden.

Frank Prodehl: Bei uns waren die Mitspracheregelungen noch geringer. Da wurde man nicht viel gefragt, da wurde befohlen und dann ist man da hin gegangen. Aber so lernt man auch die Republik kennen. Und Deutschland ist schön.

Die beiden Männer im Gespräch.

Ein Pluspunkt der Bundeswehr? Ist für Sellin und Prodehl die Kameradschaft. Prodehl sagt: „Wir hatten damals den Spruch: Wenn es gilt, dann gilt es. Das bedeutet: Wenn jemand anruft oder schreibt und einen Rat braucht, dann ist man da.“

Auch Deutschlands Kasernen?

Frank Prodehl: Früher war das schon sehr spartanisch zuweilen. Wissen Sie noch, als man viele Flüchtlinge aufnehmen musste und manche Kasernen rausfielen, weil sie in einem zu schlechten Zustand waren? Ich kann sagen: Ich habe da mehre Wochen oder Monate drin gelebt.

Verändert einen dieses Leben in einfachsten Verhältnissen?

Tim Sellin: Klar, die Duschen sehen nicht immer schön aus. Das härtet ab. Und in so einer Stube gibt es natürlich auch menschliche Geräusche. Man muss beispielsweise zuweilen darauf achten, vor den anderen einzuschlafen, damit einen das Schnarchen aus dem Nebenbett nicht die ganze Nacht wachliegen lässt. Und ich habe gelernt, dass auf meine Packliste Oropax gehört. Am Ende ist es wie eine längere, coole Klassenfahrt.

Entstehen da auch Freundschaften für immer?

Frank Prodehl: Ja, tatsächlich. Nicht solche, mit denen man jeden Tag telefoniert. Aber wir hatten damals den Spruch: Wenn es gilt, dann gilt es. Das bedeutet: Wenn jemand anruft oder schreibt und einen Rat braucht, dann ist man da.

Der Wehrbeauftragte spricht auch immer mal über rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr. Haben Sie sowas erlebt?

Frank Prodehl: Aus der Presse ja, im eigenen Umfeld, auf Lehrgängen oder der Dienststelle aber nicht.

Mich beruhigt auch, dass ich im Notfall ja nun ausgebildet bin.
Tim Sellin (21)

In der Bevölkerung steigt die Angst vor einer Eskalation des Krieges in der Ukraine. Wie sieht man das, wenn man bei der Bundeswehr ist? Hat man da auch Angst?

Frank Prodehl: Als der russische Angriffskrieg begann, haben wir als Soldaten wahrscheinlich nicht so panisch reagiert wie viele andere Deutsche. Da herrschte ja mancherorts der Gedanke: Die Russen überrennen jetzt die Ukraine und Polen und dann stehen sie vor Deutschland. Da muss man aber gerade als Soldat auch mal ein bisschen realistisch bleiben. Und taktisch denken. Polen ist schließlich ein Nato-Land. Ich kenne unsere Truppe seit 33 Jahren. Auch wenn sie oft schlecht gemacht wurde: Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie viele Übungen da gefahren wurden, dass die Truppe einsatzstark ist, dass wir uns auf sie verlassen können. Die Jungs und Mädels können wirklich etwas. Das macht mich ruhiger.

Tim Sellin: Mich beruhigt auch, dass ich im Notfall ja nun ausgebildet bin. Anders als meine Kumpels, die gar nicht fähig wären, eine Waffe zu bedienen.

Was ist das Beste, das die Bundeswehr ihren Mitarbeitern gibt?

Tim Sellin: Vielfältigkeit und Abwechslung. Mein Hauptdienstort ist zwar das Büro, aber ich bin dennoch viel unterwegs. Man lernt viele Menschen kennen, man wird reifer, bekommt mehr Struktur, bleibt auch in Stresssituationen ruhig. An meine Ausbildungs-Prüfung bin ich jetzt zum Beispiel viel gelassener rangegangen als früher ans Abitur. Ich weiß, wie ich mich gut vorbereiten kann, bin selbstsicherer. Außerdem ist die Bundeswehr finanziell attraktiv. Als Hauptgefreiter im Wehrdienst bekomme ich 2000 Euro. Das ist sehr viel Geld für mich.

Frank Prodehl: Absolut. Ich habe damals als ausgelernter Einzelhandelskaufmann in Zivil 1200 Mark bekommen. Meine Laufbahn bei der Bundeswehr hat sich demgegenüber finanziell richtig gelohnt. Und jetzt bin ich mit 56 Jahren in Pension. Das ist doch auch etwas. Ich habe alles richtig gemacht.


Am 28. Juni (Samstag) findet in der Luftwaffenkaserne Wahn der Tag der Bundeswehr statt. Von 10 bis 17 Uhr kann man sich über die Aufgaben der Bundeswehr und Karrieremöglichkeiten informieren.