Mit Segensfeiern auch für Homosexuelle und Wiederverheiratete folgte Pfarrer Herbert Ullmann der Spur des gestorbenen Papstes und wurde von Kardinal Woelki abgemahnt. Was von Franziskus bleibt.
Segensfeiern im Pontifikat FranziskusRom und die Revolte von Mettmann

Im Jahr 2023 erlaubte der Vatikan die Segnung gleichgeschlechtlicher und wiederverheirateter Paare. (Symbolbild)
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„Wer bin ich, sie zu verurteilen?“ Als Papst Franziskus wenige Monate nach seiner Wahl diesen Satz über Homosexuelle sagt, kommt das reformwilligen Katholiken einer Zeitenwende gleich, dem Anfang vom Ende der Diskriminierung von Schwulen und Lesben in der katholischen Kirche. Entscheidend sei doch, ob jemand „Gott sucht und einen guten Willen hat“, so hat es der Papst in der ersten seiner später berühmten Flug-Pressekonferenzen auf der Rückreise vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro gesagt. In Deutschland und anderswo keimt die Hoffnung auf, dass homosexuelle Paare künftig auch offiziell den kirchlichen Segen empfangen könnten, den aufgeschlossene Geistliche ihnen bisher nur heimlich und mit dem Risiko bischöflicher Sanktionen gespendet haben.
März 2023. Die Pfarrgemeinde Sankt Lambertus im rheinischen Mettmann lädt zu einem Segnungsgottesdienst „für alle sich liebenden Paare“ ein – vermeintlich auf der vom Papst gebahnten Spur. Doch im August wird bekannt, dass der leitende Pfarrer Herbert Ullmann nach Köln zitiert wurde und von Kardinal Rainer Woelkis Generalvikar Guido Assmann eine Abmahnung kassierte. Die Sanktionierung des Geistlichen löst massiven Protest aus. Selbst internationale Medien berichten.
„Manche sagen, es war ein Dammbruch“, sagt Ullmann heute. Seine Segnungen sollen selbst auf der Weltsynode in Rom 2023/24 Thema gewesen sein. Papst Franziskus bleibe ihm als ein Kirchenführer von großer Bescheidenheit und Demut in Erinnerung, „den Menschen zugewandt, aber dem System Vatikan nicht gewachsen.“ Ullmann zitiert einen Spruch, der den Kardinälen der römischen Kurie in den Mund gelegt wird: „Es ist uns gleich, wer unter uns Papst ist.“ Der jetzt gestorbene habe eine vorsichtige Öffnung bewirkt, sei aber mit seinen Reformversuchen regelmäßig ausgebremst worden – „auch von Deutschen in der Kurie“. Immerhin, glaubt Ullmann, könnte in Deutschland kein Bischof seine Priester wegen einer Segnung homosexueller Paare mehr „so offen disziplinieren wie bei mir“.
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09.08.2023, Mettmann: Porträt von Pfarrer Herbert Ullmann an seiner Kirche St. Lambertus. Foto: Michael Bause
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Der Grund: 2023 hat Franziskus durch seinen obersten Glaubenshüter, Kardinal Víctor Fernández, die Tür – vielleicht besser: die Hintertür – für solche Segnungen mit dem Dokument „Fiducia supplicans“ (Flehendes Vertrauen) öffnen lassen. Vorausging ein jahrelanges erbittertes Ringen der kirchenpolitischen Lager, ausgelöst letztlich durch das Wer-bin-ich-Wort des Papstes im Flugzeug.
Betonmischer im Vatikan
Während die Reformkräfte in der Kirche über Segnungen homosexueller Paare nachdenken und, typisch deutsch, an liturgischen Formularen (Mustern) für Segensgottesdienste arbeiten, dreht sich im Vatikan längst der Betonmischer.
Auf ein anonymes „Dubium“, eine absichtsvoll zweifelnde Frage, ob die Kirche „die Vollmacht hat, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen“, antwortet die römische Glaubensbehörde kurz und bündig mit: Nein. Solche Segnungen könnten als Nachahmung des Brautleute-Segens bei der Eheschließung missdeutet werden. Vor allem aber seien sie aus einem theologischen Grund unzulässig: „Gott segnet nicht die Sünde, und er kann sie nicht segnen.“
In Deutschland bricht ein Sturm los. An vielen Kirchen werden aus Protest gegen Rom Regenbogenflaggen gehisst. Mehr als 100 Seelsorger bundesweit setzen sich in der Folge ostentativ über das römische Verbot hinweg, so wie Pfarrer Ullmann 2023 in Mettmann.
Im Januar 2022 formiert sich die Initiative „Out in Church“, mit der sich queere Menschen – Priester, Laienseelsorgende und andere Beschäftigte im kirchlichen Dienst – öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen, in einem Manifest diskriminierende Strukturen in der Kirche anprangern und Reformen fordern. Die Kirche müsse „in ihren Riten und Feiern zum Ausdruck bringen, dass LGBTIQ+ Personen, ob alleine oder in Beziehung lebend, von Gott gesegnet sind und dass ihre Liebe vielfältige Früchte trägt. Hierzu zählt mindestens auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die um einen solchen Segen bitten.“
Der „Synodale Weg“, ein von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) getragener Reformprozess, beschließt kurz darauf, im Februar 2022, mit großer Mehrheit ein Votum zu „Segensfeiern für Paare, die sich lieben“. „Out in Church“ findet große öffentliche Aufmerksamkeit, weit über den kirchlichen Raum hinaus. Bischöfe begrüßen die Initiative.
„Da hat der Heilige Geist die Menschen bis nach Rom bewegt“
In Mettmann lädt die Gemeinde auch nach der Abmahnung ihres Pfarrers weiter zu Segnungsfeiern ein. Weil der Priester nun nicht mehr selbst segnen darf, übernehmen sein Diakon und seine Gemeindereferentin.
Aus Solidarität mit ihren Kollegen in Mettmann organisieren Seelsorgerinnen und Seelsorger, Priester und hauptamtliche Laien, im September 2023 eine Segensfeier am Sitz des Erzbistums in Köln. 600 Menschen kommen auf den Bahnhofsvorplatz im Schatten des Doms. „Wir dachten alle, nach dieser Aktion kriegen wir einen auf die Finger gekloppt“, erinnert sich Gemeindereferentin Marianne Arndt aus Köln-Vingst und Höhenberg. Doch kurz darauf habe der Papst signalisiert, es könne pastorale Gründe für solche Segnungen geben. „Da hat der Heilige Geist die Menschen bis nach Rom bewegt.“

Marianne Arndt segnete bei einer katholischen Segnungsfeier am 20.09.2023 vor dem Koelner Dom sich liebenden Paare.
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Franziskus sei ein spontaner und menschenfreundlicher Papst gewesen, dem es aber oftmals an Entscheidungskraft und Klarheit gefehlt habe. Einer, der viele erste Schritte gegangen sei, „aber zu wenig zweite“. In seinem Pontifikat habe sich die Kirche zwar für queere Menschen mehr geöffnet. „Das wurde aber nicht durch den Papst vorangetrieben, sondern durch die Menschen, die den Mut hatten, in die Öffentlichkeit zu gehen.“
Unschärfe päpstlicher Aussagen
Kirchliche Angestellte, die in gleichgeschlechtlichen Ehen leben, müssen ihre Liebe heute nicht mehr verstecken. Wiederverheiratete Geschiedene können freier am kirchlichen Leben teilnehmen als bisher und die Kommunion empfangen. Segnungsfeiern wie in Mettmann bei Pfarrer Ullmann oder auf der Domplatte in Köln wären heute weniger rebellisch als noch vor zwei Jahren. Aber nach wie vor gehören sie nicht gleichberechtigt zum gottesdienstlichen Repertoire.
Das liegt an der für den verstorbenen Papst typischen Unschärfe seiner Aussagen und dem Zurückschrecken vor eindeutigen Reformschritten. Auch das im Dezember 2023 veröffentlichte Dokument „Fiducia supplicans“ verbindet pastorale Zuwendung mit dem Einschärfen der geltenden Morallehre. „Auf queere Aktivisten wie mich wirkt das enttäuschend“, sagt der Würzburger Studentenpfarrer Burkhard Hose. Am Ende sei von einer echten Segensfeier nur „ein Sekundensegen im Vorübergehen“ geblieben.
Pfarrer Ullmann aus Mettmann bezeichnet „Fiducia supplicans“ als „Signalchen“, als „Testballon“ des Papstes. Das Dokument knüpfe im Kleingedruckten den Segen an allerlei Bedingungen und Einschränkungen. Trotzdem sei es ein Beweis, „dass auch der oberste Verantwortliche der Weltkirche lernfähig ist“.

Die Arbeitsgruppe Regenbogenkirche Mettmann reiste zum Segnungsgottesdienst vor dem Kölner Dom an.
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Nach der Erklärung aus Rom hat Ullmann das Erzbistum um Rücknahme seiner Abmahnung gebeten. Es werde mit zweierlei Maß gemessen: Zwei Priester, die am Dom gleichgeschlechtliche Paare gesegnet hätten, seien im Gegensatz zu ihm unbehelligt geblieben. „Daraufhin bekam ich eine kirchenrechtliche Begründung, warum meine Abmahnung trotzdem bestehen bleibt. Das hat mich auch menschlich sehr enttäuscht.“
Seine Hoffnung setzt Ullmann auf einen nächsten Papst, der ähnlich gestrickt ist wie Franziskus. Jemanden, der Bescheidenheit lebt und den Menschen dient. „Ein Papst, der den einfachen Leuten zuhört und das Leben kennt, tut der Kirche gut“, so Ullmann. „Vielleicht erwarte ich einen Franziskus II.“
Mit Blick auf die Zukunft stellt Burkhard Hose fest: „Solange der Vatikan nicht bereit ist, die diskriminierende Lehre zu ändern, bleiben wir abhängig von der Nettigkeit eines Papstes.“ Oder der Nettigkeit von Bischöfen und Pfarrern. So hält auch eine neue, an diesem Mittwoch von der Bischofskonferenz veröffentlichte Handreichung fest, die Segnungen von Paaren, die sich lieben, sollten „so gestaltet sein, dass es zu keiner Verwechslung mit der gottesdienstlichen Feier des Ehesakraments kommt“.
Trotzdem, sagt Hose, „ist Fakt: Segensfeiern finden heute in einem anderen Klima statt als noch vor fünf oder zehn Jahren. An vielen Orten sind sie selbstverständlich geworden. Der Papst hat immer wieder die Bedeutung des einzelnen Menschen betont und der Würde jedes Menschen. Das übersetzen wir an der Basis in Handeln.“ Wer sind wir, zu verurteilen?