Franziskus hat in der katholischen Kirche das Unmögliche versucht. Seinem Nachfolger hinterlässt er Mammutaufgaben.
Weltweite TrauerDer Papst, der das Unmögliche versuchte


Papst Franziskus während seiner Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz im Vatikan. Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche starb laut Vatikan am Ostermontag im Alter von 88 Jahren.
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Mit dem Pontifikat dieses Papstes, des ersten aus Lateinamerika in mehr als 2000 Jahren Kirchengeschichte, verbanden sich schier übermenschliche Erwartungen. Sein Vorgänger, der deutsche Papst Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger, war viel weniger ein Mann des römischen Macht- und Verwaltungsapparats gewesen, als seine Karriere als Kurienkardinal und oberster Glaubenswächter es hatte erwarten lassen.
Die Hoffnung der Papstwähler im Konklave 2005, dass er den konservativen Kurs des „Jahrhundertpapstes“ Johannes Paul II. fortsetzen und das Schiff der katholischen Kirche auf Kurs halten würde, erfüllte sich nicht. Benedikts Rücktritt 2005 war der vielleicht disruptivste Akt in der Papstgeschichte der Neuzeit – vollzogen ausgerechnet von einem, der erklärtermaßen alles beim Alten lassen wollte.
Der Argentinier wollte die verkrusteten Strukturen aufsprengen
Der Argentinier Jorge Mario Bergoglio trat 2013 an als einer, der verkrustete Strukturen insbesondere im Vatikan aufzusprengen und seine Kirche neu auf ihre pastorale Sendung zu auszurichten versprach. Eine Kirche, die an die Ränder gehen müsse; eine Kirche, die ihm als „verbeultes“ Gefährt in unwegsamem Gelände lieber sei als in unberührtem, aber auch unberührbarem museal-ästhetischen Glanzlack; eine Kirche, die für die Menschen zum „Feldlazarett“ würde – das alles sind Programmworte, mit denen Franziskus im Wortsinn Maßstäbe gesetzt hat, auch für einen Nachfolger.
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Einprägsam, suggestiv waren seine Reden, in denen er regelmäßig vom Manuskript abwich und „aus vollem Herzen“ sprach. Das ging zu Herzen, aber auch immer wieder einmal daneben. Die bildhafte, metaphernreiche Sprache des Papstes, darin als Jesuit geschult an seinem Ordensgründer Ignatius von Loyola, ließ auch zum Vorschein treten, wie er als Mensch – und eben nicht nur als Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken gestrickt war.

Kardinal Jorge Mario Bergoglio winkt bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als neuer Papst Franziskus im Vatikan vom Balkon des Petersdoms. Papst Franziskus wurde am 13. März 2013 zum Papst gewählt.
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Soll man, darf man ihm persönliche Begrenzungen, Prägungen vorwerfen, die ihn in bestimmten Themen limitierten? Den Ruf der Frauen nach Gleichberechtigung der Frauen beispielsweise hat er in der Tiefe nie als Verwirklichung gleicher Würde – oder, noch präziser – als Frage nach der Geltung der universellen Menschenrechte im Raum der katholischen Kirche begriffen. Seine Warnung vor einem „Machismo im Rock“ reduzierte die Ansprüche der Frauen auf ein Machtgerangel und siedelte sie damit genau dort an, wo die klerikale Elite der Männerkirche hindrücken und abgetan haben wollte.
Papst Franziskus stieß gewaltige Veränderungen an
Gerade Franziskus' Herangehen an das Thema Frauen illustriert aber auch die gewaltigen Veränderungen, die er in der katholischen Kirche angestoßen hat. Man muss sich im Jahr 2025 vor Augen führen, dass es Theologen und Theologinnen noch vor gut zehn Jahren die akademische Laufbahn, Priester ein höheres kirchliches Amt kosten konnte, wenn sie Frauen am Altar auch nur für denkbar hielten und das offen sagten. Franziskus hat hier neue Diskursräume geöffnet und die Kirche damit in jene Moderne katapultiert, auf die hin das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) sie ausgerichtet hatte, bis Johannes Paul II. den Lauf bremste und den Rückwärtsgang einlegte.
Fragwürdig bleibt sein Umgang mit dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Hier hat er wenig bis gar nichts dafür getan hat, die strukturbedingten Ursachen und begünstigenden Faktoren des Missbrauchs und seiner Vertuschung anzugehen. Ja, er hat – wie sein Vorgänger – die Verbrechen von Geistlichen an Kindern und Jugendlichen verurteilt, und er hat die Regeln gegen Vertuschung verschärft. Auf der abstrakten Ebene der Moral und der Verfahren konnte Franziskus durchaus klar sein. Aber er changierte und schwankte dort, wo es um Lehre und Verfassung der Kirche ging – oder auch um den Umgang mit Missbrauchstätern wie dem slowenischen Priester-Künstler Marko Rupnik, einem Ordensbruder des Papstes.
Der Domstadt signalisierte er: Ihr Kölner nehmt euch zu wichtig
Und Köln? Im Erzbistum und in den Querelen rund um die Amtsführung von Kardinal Rainer Woelki spiegeln sich exemplarisch die Konfliktthemen der Franziskus-Jahre – und der für den Papst typische Franziskus-Stil: Auf dem Höhepunkt der Kritik an Woelkis Aufarbeitung des Missbrauchsskandals nahm Franziskus den Kardinal eine Zeitlang aus dem Rennen und ließ ihn ein Rücktrittsgesuch hinterlegen. Doch das blieb bis zum 21. April 2025 unbeschieden, Franziskus nimmt es – im übertragenen Sinne – mit ins Grab.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki spricht während eines Gottesdienstes. (Archivbild)
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Woelki durfte in Köln weitermachen. Und denen, die den Papst fortan drängten, dieses Kapitel zu beenden, signalisierte er: Ihr Kölner nehmt euch zu wichtig. Probleme gibt es auch an anderen Bistümern. Und glaubt nicht, ihr könnt mich mit euren kirchenpolitischen Angelegenheiten unter Druck setzen. Nicht mich, den Papst.
Franziskus ermutigte Bischöfe zu unkonventionellen Vorschlägen
Die wichtigste und für die Zukunft folgenreichste Intuition des zwölfjährigen Pontifikats von Papst Franziskus ist die Einsicht, dass die „Katholizität“ der Kirche nur dann keine bloße Vokabel oder ein überstrapaziertes Einheitskonstrukt ist, wenn unter ihrem Dach eine Pluralität der Lebenswelten und -lebensformen anerkannt ist. Dem überspannten römischen Zentralismus der Jahrzehnte unter Johannes Paul und Benedikt setzte Franziskus in seiner Frühzeit das Konzept der „Regionalisierung“ entgegen. Später weitete er es programmatisch aus und brachte es auf den Begriff der „Synodalität“.

Papst Franziskus ist nach seinem Tod am Vortag auf den Titeln von Zeitungen in London zu sehen. Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche starb am Ostermontag im Alter von 88 Jahren im Vatikan.
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Wieder und wieder ermutigte Franziskus die Bischöfe der Welt zu unkonventionellen Ideen und Vorschlägen im Interesse ihrer jeweiligen Regionen. Doch immer dann, wenn es daran gegangen wäre, unter aufgestoßene Türen auch einen Keil mit Strukturen zu schieben und den Teilkirchen den Durchgang zu ermöglichen, schreckte Franziskus zurück. Die deutschen Bischöfe mussten das schmerzlich erleben – so als sie mit ihrem Ansinnen, konfessionsverschiedenen Paaren den gemeinsamen Gang zur Kommunion zu erlauben, von Rom zurückgepfiffen wurden.
Seine Gegner hielten Papst Franziskus für autoritär
Für die protestantische Lösung, die individuelle Glaubensentscheidung gegenüber dem institutionellen kirchlichen Rahmen zu stärken, hat die katholische Kirche (noch) nicht die passende Verfassung. Sie ist und bleibt eine absolute Monarchie mit Top-Down-Gefüge – trotz Franziskus oder man kann auch sagen: wegen Franziskus. Denn wo es ihm darauf ankam, entschied er mindestens so sehr aus der Machtvollkommenheit seines Amtes heraus wie seine Vorgänger, etwa mit seiner Entscheidung, Nicht-Bischöfen Stimmrecht in der Weltsynode zu geben – unter ihnen auch Frauen. Nicht von ungefähr lautete eine notorische Kritik seiner Gegner, Franziskus sei der autoritärste Papst der neueren Kirchengeschichte.
Schon bald nach Franziskus' Amtsantritt wussten die Papst-Flüsterer in Rom und anderswo seinen Führungsstil als „prozessorientiert“ zu deuten. Der Papst bringe die Dinge in Bewegung, ohne damit auch gleich schon das Ziel vorzugeben – wenn er es denn überhaupt schon im Kopf habe. Das klang sympathisch, nach Zutrauen zum Veränderungspotenzial und -willen aller am Prozess Beteiligten.
Doch wie in jeder Gemeinschaft gibt es auch – und gerade – in der katholischen Kirche die Beharrungskräfte, für die Reformen gleichbedeutend sind mit Niedergang, Auflösung und Verrat an einer scheinbar unveränderlichen Tradition. Der Papst, der so oft und oftmals verstörend von der Macht des Teufels geredet hat, wusste die „diabolischen“ – im Wortsinn: die auseinandertreibenden – Kräfte in seiner Kirche nicht zu bändigen. Als sein neuer Mann für die Reinerhaltung der Lehre, Kardinal Victor Manuel Fernández, auf der Linie des Papstes die Segnung homosexueller Paare ermöglichen wollte, verweigerten ganze Bischofskonferenzen die Gefolgschaft. Die Beschwörungsformel einer Kirchenspaltung, mit dem man noch jedem Papst zum Schlottern bringen konnte, wurde hier so real wie selten zuvor.
Am Ende fehlten Franziskus die Mittel zur Durchsetzung
Franziskus' Gegner hatten sehr genau erkannt, dass die im Kirchenrecht unumschränkten Machtbefugnisse des Papstes in der Kirchenrealität sehr schnell an Grenzen geraten, weil ihm am Ende die Mittel zur Durchsetzung fehlen. In diesem Wissen organisierten sie im Vatikan und in den Weiten der Weltkirche den Widerstand, der mit fortschreitender Dauer des Pontifikats und körperlichem Verfall des Papstes auch zu einem Spiel auf Zeit wurde.
„Franziskus unter Wölfen“, so lautete der hellsichtige Titel eines Buchs, das der exzellente Vatikan-Kenner Marco Politi bereits 2015 über die spezifischen Herausforderungen dieses Papstes geschrieben hat. Die Wölfe hatten am Ende Rudelstärke. Wenn Franziskus in persönlichen Begegnungen regelmäßig darum bat, für ihn zu beten und nicht gegen ihn – dann war das mehr als ein Apercu oder eine leicht bittere Reminiszenz an seinen ersten Abend als Papst auf der Loggia des Petersdoms mit der Bitte um den Segen der Gläubigen auf dem Petersplatz zu seinen Füßen.
Franziskus hinterlässt seine Kirche deshalb nicht nur als unfertige Baustelle, sondern auch als einen Kampfplatz mit Gräben, die tiefer sind als vor zwölf Jahren.
Hier neu zum Pontifex, zum Brückenbauer, zu werden, ist eine der Mammutaufgaben, die Franziskus seinem Nachfolger hinterlässt. Dazu braucht es einen Papst als Architekten, als Bauleiter und als Immobilienmakler, der die Kirche und ihre Botschaft mit Leidenschaft und Charisma verkauft. Wieder ein schier übermenschlicher Anspruch – und wieder die Möglichkeit für einen aus der Runde der jetzt 135 Kardinäle im Konklave, als nächster Papst das Unmögliche zu versuchen.