Seit zehn Jahren dominiert Donald Trump die amerikanische Politik. In seiner zweiten Amtszeit hat sich aber ein Paradigmenwechsel vollzogen.
Innerhalb kürzester ZeitWie Donald Trump die US-Demokratie in eine Autokratie umwandelt

Ein Portrait von US-Präsident Donald Trump hängt an der Gebäude-Fassade des Landwirtschafts-Ministeriums in Washington. /STR
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Gustav Mahlers unvollendete zehnte Sinfonie gehört zu den selten aufgeführten Werken des österreichischen Komponisten. Zusammen mit der Lyrischen Symphonie seines vor den Nazis in die USA geflohenen Landsmannes Alexander Zemlinsky stand sie Anfang Dezember als Höhepunkt der Spielzeit auf dem Programm des National Symphony Orchestra in Washington. Doch ein paar Wochen zuvor wurde das Konzert plötzlich abgesagt: Das Stammhaus des Orchesters, das Kennedy Center, wurde anderweitig benötigt.
Kein Geringerer als der amerikanische Präsident hatte sich angekündigt – freilich nicht als Besucher in der Loge, sondern als Hauptdarsteller auf der Bühne. Zunächst ließ sich Donald Trump dort in einer peinlichen WM-Auslosungsshow mit einem monströsen goldenen Fifa-Friedenspokal auszeichnen. Den Orden hängte er sich selbst um den Hals. Zwei Tage später dann moderierte er im Smoking vor politisch wohlgesonnenem Publikum die jährliche Gala-Verleihung der Kennedy Center Honors an den Action-Darsteller Sylvester Stallone und seine Lieblingsband Kiss. Der 79-Jährige war bester Laune: „Das bringt großartige Einschaltquoten“, jubelte er: „Das ist der bedeutendste Abend in der Geschichte des Kennedy Centers.“
Seit Trumps Amtsantritt vor elf Monaten hat sich das 1971 eröffnete, eigentlich politikferne Kulturzentrum am Potomac-Fluss radikal verändert. Schon im Eingangsfoyer werden die Besucher jetzt von vier großen Porträtfotos des Präsidenten- und Vizepräsidentenpaars begrüßt. Ein Großteil der Belegschaft wurde gefeuert, alle Demokraten aus dem Beirat entfernt. LGBTQ-freundliche Vorführungen und Drag-Shows sind aus dem Programm gestrichen.
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Dafür gibt es öfter Country-Musik, christliche Erbauungsfilme und jeden Abend die amerikanische Nationalhymne. Doch das ist erst der Anfang: Der Präsident plant einen millionenteuren Umbau mit viel Gold und Marmor. Dass er den einstigen Musentempel, der kürzlich als Veranstaltungsort für seinen US-saudischen Investorengipfel herhalten musste, in „Trump Center“ umbenennen will, ist ein offenes Geheimnis.
Unter Trump werden Täter zu Helden, Freunde zu Feinden
Was im Washingtoner Westen – in Sichtweite des skandalträchtigen Watergate-Hotels – passiert, steht sinnbildlich für die atemberaubende Wucht, mit der Trump in kurzer Zeit traditionelle Normen niedergewalzt und sich gewaltige Teile des Landes gefügig gemacht hat. Wirtschaftsbosse, Medienhäuser, Anwaltskanzleien und Universitäten haben sich unterworfen. Der Kongress ist zur Staffage verkommen. Und die Kabinettssitzungen in dem um seinen Ostflügel amputierten Weißen Haus übertreffen in Sachen Führerkult inzwischen jene im nordkoreanischen Pjöngjang.
„Wir haben ein komplett anderes Land als noch vor einem Jahr“, verkündete Trump stolz bei der Kennedy-Gala. Dieser Einschätzung dürfte in den ansonsten uneinigen Staaten von Amerika kaum jemand widersprechen. Die einstige selbsternannte Bastion der Demokratie und der Freiheitsrechte lässt nun Lateinamerikaner ohne Gerichtsverfahren von vermummten Polizisten verschleppen und angebliche Drogenschmuggler in der Karibik ohne Beweise in den Tod bomben, zieht willkürlich Visa ausländischer Studierender ein, setzt korrupte Staatsanwälte zur Verfolgung der Opposition ein, stellt unbotmäßige Journalisten an den regierungsamtlichen Online-Pranger, säubert Museen von kritischen Exponaten und behandelt die Nato-Verbündeten wie Gegner.
Paradigmenwechsel bei Trump
Wie unter einem Brennglas zeigt sich der Paradigmenwechsel beim Umgang mit dem Kapitolsturm vom 6. Januar 2021. Vor fünf Jahren schockte der gewaltsame Versuch rechter Randalierer, die Bestätigung des ordnungsgemäßen Wahlergebnisses zu verhindern, selbst prominente Republikaner. Inzwischen hat Trump sämtliche Aufrührer begnadigt und den Putschversuch zum patriotischen Freiheitskampf verklärt.
Täter werden zu Helden, Freunde zu Feinden, Zensur zur neuen Redefreiheit und die Allmachtsphantasien des Möchtegernautokraten von täglich neuen Ungeheuerlichkeiten in den Schatten gestellt – es kann einem ganz schwindlig werden angesichts des Tempos, mit dem Donald Trump das Land binnen eines Jahres revolutioniert und die alte Ordnung zertrümmert hat.
Wie seine erste Amtszeit – nur tausendfach radikaler
Doch überraschen sollte das niemanden. Trump wollte nie der Präsident aller Amerikaner sein. Seine brachialen Umwälzungen haben einen langen gesellschaftlichen, politischen, persönlichen und auch organisatorischen Vorlauf. Eine der fatalsten Fehleinschätzungen von Ex-Präsident Joe Biden war es, seinen Vorgänger als Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte zu betrachten. Tatsächlich verkörpert der hasserfüllte Demagoge die Unzufriedenheit vieler Amerikaner mit dem „System“. Und er dominiert die Politik spätestens seit jenem 16. Juni 2015, an dem der Immobilienmogul die goldene Rolltreppe seines Hochhauses an der Fifth Avenue herunterfuhr und seine erste Kandidatur bekanntgab.
Trump hat sich seit seiner ersten Amtszeit tausendfach radikalisiert
In den folgenden zehn Jahren hat Trump die verschiedensten Rollen gespielt. Mal war er Kandidat, mal Präsident, mal Wahlverlierer, mal vermeintliches Opfer, mal wilder Angreifer. Immer besaß er mit inzwischen mehr als 100 Millionen Followern bei X (vormals Twitter) und zehn Millionen Fans auf seiner eigenen Plattform Truth Social das größte Megafon der Welt. Mit dessen Hilfe verschiebt er pausenlos Narrative und Normen in seine Richtung.
Trump hat keine feste Ideologie. Doch der Kern seiner Politik hat sich über eine Dekade kaum verändert: Seine Hetze gegen Migranten und politische Gegner, seine Bewunderung für autoritäre Herrscher, seine Verachtung für das Gesetz, seine hemmungslosen Lügen, seine narzisstische Selbstsucht und vor allem sein Interesse an der persönlichen Bereicherung – alles das prägte schon seine erste Amtszeit. Es hat sich seither nur tausendfach radikalisiert.
Keine bremsenden Berater mehr um sich
Bereits im Wahlkampf 2016 diffamierte Trump Zuwanderer als „Vergewaltiger“ und „Drogenhändler“. Er diskreditierte die Medien als „Volksfeinde“. Er hofierte Kreml-Chef Wladimir Putin, dem er beim Helsinki-Gipfel im Juli 2018 eine höhere Glaubwürdigkeit als den US-Geheimdiensten zusprach. In einem legendären Telefonat versuchte er 2019 den neugewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu erpressen.
Im Sommer 2020 ließ er den Lafayette Park vor dem Weißen Haus mit Knüppeln und Pfefferspray von friedlichen Demonstranten räumen, um danach vor einer Kirche mit der Bibel in der Hand zu posieren. Schon damals setzte er auch die Nationalgarde ein. Die Faktenchecker der „Washington Post“ zählten im Laufe von vier Jahren mehr als 30.000 falsche oder irreführende Aussagen. Unvergessen ist seine Empfehlung, Desinfektionsmittel gegen das Coronavirus zu spritzen und sein Versuch, den Verlauf eines Hurrikans auf einer Landkarte mit seinem Filzstift zu manipulieren.
Geschichte wiederhole sich – „das erste Mal als Tragödie, das andre Mal als Farce“, hat Karl Marx in seiner Schrift über den Staatsstreich von Napoleon III. geschrieben. Bei Trump ist es umgekehrt: Seine ersten vier Jahre im Weißen Haus glichen mit ihren chaotischen Ausschlägen eher einer Posse. Nun erleben wir das dramatische Trauerspiel mit mutmaßlich katastrophalem Ende.
In der ersten Amtszeit wurden die schlimmsten autokratischen Instinkte des manischen Narzissten von seinen Beratern, vom Kongress und von den Gerichten ausgebremst. Ex-Stabschef John Kelly, Ex-Verteidigungsminister James Mattis oder Generalstabschef Mark Milley, die ihre einstigen Vorgesetzten inzwischen als „Faschisten“ oder „gefährlichste Figur“ in der Geschichte der USA bezeichnen, waren trotz stramm konservativer Gesinnungen von tradierten Werten und der Sorge um ihre Reputation geleitet.
Rache ist ein wesentliches Motiv von Trump
Solche Hemmungen kennt Trumps aktuelles Kabinett, eine Truppe unterwürfiger Ja-Sager und fanatischer Extremisten, nicht. Der republikanisch dominierte Kongress dient als Werkbank des Weißen Hauses. Den Supreme Court hat Trump während seiner ersten Amtszeit weit nach rechts gerückt. Und die konservative „Heritage Foundation“ hat ihm mit dem „Project 2025“ eine Blaupause für jene 220 Dekrete an die Hand gegeben, die er in den ersten Monaten abfeuern konnte – so viel wie in seiner gesamten ersten Regierungszeit.
Der gefährlichste Unterschied von Trump 2.0 zu Trump 1.0 aber liegt in seinem Antrieb. Über die Gier nach autoritärer Machtfülle und persönlicher Bereicherung hat sich ein toxisches Motiv gelegt: Rache. In Trumps verquerer Weltsicht haben sich die Eliten, der „deep state“, die Demokraten, die Presse und im Zweifelsfall auch die Ukraine gegen ihn verschworen: Erst wollten sie ihm angeblich mit der Enthüllung der Moskau-Verbindungen im Wahlkampf 2016 schaden, später mit dem ersten Impeachment-Verfahren wegen des skandalösen Selenskyj-Telefonats, dann mit der (fiktiven) „Fälschung“ des Wahlergebnisses 2020 und schließlich dem zweiten Impeachment-Verfahren wegen der Umsturzversuche. Nun zahlt er es seinen verhassten „Feinden“ heim.
Fatalerweise scheiterten beide Amtsenthebungsversuche an der Feigheit der meisten Republikaner. Die juristische Verfolgung von Trumps Vergehen geriet zum Rohrkrepierer, weil die Biden-Regierung die Anklage viel zu spät und politisch dilettantisch auf den Weg brachte. Noch alarmierender: Aus dem wichtigsten Prozess ging Trump sogar gestärkt hervor, weil ihm der Oberste Gerichtshof weitgehende Immunität zubilligte. Der Mann, der auf Vergeltung brennt, kann dies als Persilschein für künftige Straftaten im Amt werten.
Donald Trump zerschlägt Behörden und Ministerien
Entsprechend brachial legte der Möchtegerndiktator los: Er zerschlug ganze Behörden und Ministerien, setzte fast 300.000 Beamtinnen und Beamte frei (oder drängte sie zur Kündigung), brachte Universitäten mit drastischen Mittelkürzungen und der Androhung existenzbedrohender Strafen auf Regierungskurs und lässt die staatlichen Museen von „woken“ Exponaten reinigen.
In atemberaubendem Tempo haben sich Wirtschaftsbosse, Tech-Milliardäre, Anwaltskanzleien und private Fernsehsender aus Angst vor finanziellen Sanktionen oder regulatorischer Gängelung dem Potentaten im Oval Office unterworfen. „In der ersten Amtszeit haben alle gegen mich gekämpft. Jetzt wollen alle meine Freunde sein“, amüsierte sich Trump selbst über den grenzenlosen Opportunismus der ökonomischen Eliten.
Doch der Präsident übt nicht nur wirtschaftlichen Druck aus. Für den Kampf gegen seine politischen Gegner instrumentalisiert er direkt das Militär und die Justiz. Im September schwor er die versammelte Generalität des Landes bei einer Rede auf den Kampf gegen „den Feind im Inneren“ ein. Nach der Ausrufung eines fiktiven „Nationalen Notstands“ hat er inzwischen 8000 Nationalgardisten auf den Straßen US-amerikanischer Städte stationiert, die bei Bedarf jederzeit aufgestockt und zur Niederschlagung möglicher Proteste eingesetzt werden können.
„Gute Freunde“ mit Autokraten
Nach der Einsetzung willfähriger Staatsanwälte hat er Anklagen gegen seinen einstigen, angeblich illoyalen FBI-Chef James Comey und die New Yorker Generalstaatsanwältin Letitia James erwirkt, die ihn 2022 wegen Bank- und Versicherungsbetrugs vor den Kadi brachte. Sein früherer Sicherheitsberater John Bolton dürfte als nächster dran sein. Den demokratischen Senator und Marine-Piloten Mark Kelly will Trump einberufen und von einem Kriegsgericht aburteilen lassen. Großspendern der demokratischen Partei jagt er gezielt die Finanzbehörden auf den Hals. Gleichzeitig erschwert er die Verteidigung der politisch Verfolgten, indem er den Anwälten die erforderliche Sicherheitsfreigabe entzieht und Akteneinsicht verweigert.
Mohammed bin Salman ist einer der angesehensten Männer der Welt
Das alles erinnert auf alarmierende Weise an die Zustände in nicht-demokratischen Staaten. Tatsächlich bewundert Trump Autokraten wie den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Bei einem Washington-Besuch im November pries er den Mann, der laut US-Geheimdiensten vor sieben Jahren die bestialische Ermordung und Zerstückelung eines amerikanischen Journalisten genehmigte, im vergoldeten Oval Office eine Dreiviertelstunde lang als „guten Freund“ und „einen der angesehensten Männer der Welt“. Kritische Fragen von Reportern bürstete er ab und drohte einer ABC-Korrespondentin („Sie ist eine der Schlimmsten“) vor den Augen des umstrittenen Gastes demonstrativ damit, ihrem Arbeitgeber die Sendelizenz zu entziehen.
„Wir stehen in jeder Frage immer auf derselben Seite“, beschied der Präsident irgendwann dem Monarchensohn, bevor er ihn später zum pompösen Gala-Dinner bat. Ein entlarvender Satz, der für die Zukunft nichts Gutes erwarten lässt.
Im Herbst stehen Midterms an
Wird die amerikanische Demokratie den Frontalangriff durch Trump überleben? Die „New York Times“ hat zwölf Kriterien entwickelt, die autoritäre Regime von liberalen Gesellschaften unterscheiden. Die Übergänge sind fließend. Bei einer großen Bestandsaufnahme der Meinungsredaktion im November rangierte die USA meist irgendwo in der Mitte. Beim Umgang mit Minderheiten, dem Personenkult und der persönlichen Bereicherung zeigten die Marker aber bereits eindeutig autokratische Verhältnisse an.
Wie weit Trump die Zerstörung der demokratischen Ordnung treiben kann, dürfte sich im kommenden Jahr entscheiden. Im Herbst werden das Repräsentantenhaus und Teile des Senats neugewählt. Die Demokraten erholen sich erst langsam von ihrer Schockstarre. Doch Graswurzelbewegungen haben bei den „No Kings“-Demonstrationen Millionen auf die Straßen gebracht. Die Umfragewerte des Präsidenten sind im Keller. Und bei den Republikanern scheint sich nach ihren verheerenden Niederlagen bei diversen Regionalwahlen langsam Nervosität breitzumachen. Das lässt hoffen.
In der Defensive ist Trump am gefährlichsten
Doch in der Defensive ist Trump am gefährlichsten. Den politischen Gegenwind dürfte er mit noch mehr Repression kontern. Die entscheidende Frage ist daher, ob ihn die Justiz als letzte halbwegs intakte Säule der Demokratie irgendwann stoppt. Seine Gegner haben vor Gericht in unteren Instanzen zuletzt beachtliche Erfolge erzielt. Doch letztlich werden die schicksalhaften Fragen vom Supreme Court entschieden werden müssen.
Bislang haben die obersten Richter jede direkte Konfrontation mit dem Möchtegerndiktator vermieden. Was aber passiert, wenn Trump den Bogen irgendwann so weit überspannt, dass selbst für einige der ultrakonservativen Verfassungsrichter eine rote Linie erreicht ist? Wenn sie sich mit ihren liberalen Kollegen gegen den Tyrannen stellen? Und wenn der Präsident das Urteil dann ignoriert?
Noch mag in Washington niemand offen über die Verfassungskrise mit gewalttätiger Eskalation spekulieren. Doch die amerikanische Demokratie steht im 250. Jahr ihres Bestehens vor einer existentiellen Bewährungsprobe. „Ich weiß es nicht“, hat Trump vor Monaten auf die Frage erwidert, ob er an die Verfassung gebunden sei. Die Antwort lässt Schlimmstes befürchten.

