Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Peer-BeratungBetroffene beraten Betroffene im SPZ des Caritasverbandes Euskirchen

5 min
Die vier Peer-Berater des SPZ sitzen an einem Tisch und schauen zur Kamera.

Die Peer-Berater im SPZ: Hildegard Kallabis, Sonja Schnitzler, Stefan Sauren und Katharina Lange (v.r.)

Niedrigschwellig und auf Augenhöhe: Psychisch Erkrankte werden in Euskirchen zu Ansprechpartnern für Menschen in ähnlichen Lebenslagen.

Seit vielen Jahren steigt die Zahl der Menschen, die psychisch erkranken. Depressionen, Anpassungsstörungen, Ängste, Alkohol- und Medikamentensucht: Fast jeder dritte Deutsche ist im Laufe seines Lebens betroffen. Manch einer vorübergehend, etwa ein Drittel chronisch.

Damit Betroffene selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, ihre Fähigkeiten entwickeln und ihr Selbstvertrauen stärken können, gibt es Anlaufstellen, die bei der Vermittlung passender Angebote helfen. Der Zugang ist niederschwellig. „Bei uns kann man auch erstmal ohne Termin auf einen Kaffee und eine Erstberatung vorbeikommen“, sagt Sebastian Seifert, Bereichsleiter des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) des Caritasverbandes Euskirchen.

Ausgangspunkt für die gemeindenahe Psychiatrie waren die menschenunwürdigen Zustände in sogenannten Nervenheilanstalten früherer Jahre. Daraus entstand ein Reformprozess, der die psychiatrische Versorgung neu dachte. 1975 verabschiedete der Bundestag die Psychiatrie-Enquête, die der Anstaltspsychiatrie ein Ende setzte und Ausgrenzung, Ausschließung und Stigmatisierung entgegenwirken wollte.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

In den Beratungen geht es oftmals um Alltagsbegleitung

Psychisch kranke Menschen sollten nicht mehr aus ihrem Alltag und ihrem gewohnten Lebensraum gerissen werden. Ambulante Dienste, betreutes Wohnen, Tagesstätten und Sozialpsychiatrische Zentren entstanden. „Alltagsbegleitung, darum geht es bei uns in der Beratung sehr konkret“, sagt Seifert. Und um das Angebot noch niedrigschwelliger zu machen, gibt es seit einiger Zeit die Peer-Beratung im Tandemmodell (Pit), eine Beratung auf Augenhöhe, da sie von Betroffenen durchgeführt wird. Zur Seite steht ihnen eine Fachkraft, die bei Bedarf oder komplexeren Fragestellungen hinzugezogen werden kann.

Es ist Mittwochnachmittag, als sich Hildegard Kallabis, Sonja Schnitzler, Stefan Sauren und Katharina Lange an den großen Tisch im Café Workshop setzen. Sie wollen heute mit Sozialarbeiterin Mira Wurbs einen Vortrag planen, in dem sie verschiedene psychische Erkrankungen vorstellen wollen. Kallabis, Schnitzler und Sauren sind Peer-Berater der ersten Stunde. „Und ich bin das Peer-Küken“, sagt Katharina Lange, die ihre Ausbildung im vergangenen Jahr gemacht hat. Wie sie zu der Aufgabe gekommen sind? Alle erzählen, dass man sie gezielt angesprochen, ihnen die Aufgabe einfach zugetraut habe.

Jeder der Peer-Berater hat seine eigenen Schwerpunktthemen

Jeder Berater hat Schwerpunktthemen: die Schaffung von Tagesstruktur, Freizeitgestaltung, Ambulant Betreutes Wohnen, rechtliche Betreuungen, Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit psychischer Behinderung, Suchterkrankungen, der Besuch einer Tagesklinik und einiges mehr. „Ich habe selber im Leben viel Unterstützung bekommen, und es ist schön, etwas davon weitergeben zu können“, so Kollabis.

„Für jemanden, der nach einem Klinikaufenthalt nach Hause kommt und gefühlt vor dem Nichts steht, ist es toll, wenn ihn jemand mit ähnlicher Erfahrung an die Hand nimmt“, sagt Schnitzler. Manche hätten aufgrund ihrer Erkrankung keine Sozialkontakte mehr. In so einem Fall könne man auch begleiten. „Hier im SPZ kommt man schnell ins Gespräch, und auch Freundschaften sind hier schon entstanden.“

Wie schwierig soziale Interaktion sein kann, wenn man etwa an einer Depression erkrankt ist, wissen hier alle. „Allein das zu verstehen, vermittelt dem Gegenüber ein gutes Gefühl“, sagt Sauren. Zu verstehen, dass man sich für die Dinge, die man durchgemacht hat, nicht schämen muss, sei ein wichtiger Schritt: „Dann fällt es leichter, über sich zu reden.“

Ich habe selber im Leben viel Unterstützung bekommen, es ist schön, etwas davon weitergeben zu können. 
Hildegard Kollabis, Peer-Beraterin

Die Beratung findet auch aufsuchend statt. Fachkraft und Peer gehen wöchentlich in die Kliniken, um in den psychiatrischen Stationen über die Angebote zu beraten. Dreimal im Monat komme jeder Peer-Berater zum Einsatz. Wie oft man Kontakt zum Ratsuchenden hat, hängt auch von diesem selber ab. „Wir können auch über einen längeren Zeitraum begleiten“, sagt Schnitzler.

In der Ausbildung der Peer-Berater geht es auch um Abgrenzung und Selbstfürsorge. „Man sollte nicht zu tief in die Geschichte des Ratsuchenden reinrutschen; je nachdem, was man selber erlebt hat, könnte das auch zum Trigger werden“, erklärt Sauren. Wichtig sei auch, sich nicht zu sehr in der Verantwortung zu fühlen.

Abgesehen von dem positiven Feedback wirft die Aufgabe als Peer-Berater auch noch mehr für die Ehrenamtlichen ab: „Ich bin schon lange angebunden an die Caritas, aber habe mich lange nicht getraut, bei manchen Aktivitäten mitzumachen. Mir hätte ein Peer-Berater sicher auch gutgetan“, so Sauren.

Und dann sagt er, es habe sich viel getan in den letzten Jahren in der Gesellschaft. Das Tabu, über psychische Erkrankungen zu sprechen, werde immer häufiger von Prominenten gebrochen, die sich outen. „Das macht Hoffnung, nicht länger automatisch ausgegrenzt zu werden.“


Gute Gespräche, Freizeitgestaltung und Beratung auf Augenhöhe

Hilfe, Beratung und Begleitung für psychisch Erkrankte und Angehörige bietet die Caritas Euskirchen an. Neben einer Tagesstätte, dem Angebot des Betreuten Wohnens und einiger Wohnhäuser gibt es auch das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ). Hier können Betroffene ambulante Hilfen erhalten, mit dem Ziel, „ihnen ein zufriedenstellendes Leben in ihrer eigenen Umgebung zu ermöglichen“, heißt es auf der Homepage des Verbandes.

Integriert ins SPZ ist die Kontakt- und Beratungsstelle Café Workshop in der Kapellenstraße 11 in Euskirchen. Hier findet man Gelegenheit, bei einer Tasse Kaffee Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Das Café Workshop versteht sich als Anlaufstelle für alle, die psychische Probleme, Lebenskrisen oder aufgrund einer psychischen Erkrankung Unterstützung suchen. Hier erhält man auch Informationen über Hilfen wie etwa das Ambulant Betreute Wohnen oder tagesstrukturierende Maßnahmen. Darüber hinaus werden auch Angebote zur Freizeitgestaltung gemacht.

Im SPZ findet man zudem Zugang zur Soziotherapie, einer Leistung der gesetzlichen Krankenkassen für psychisch erkrankte Menschen, die im eigenen sozialen Umfeld stattfindet. Sie soll die Eigenverantwortung stärken, sodass Betroffene ihren Alltag wieder selbstständig meistern und ambulante ärztliche und therapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen.

Die Peer-Beratung des SPZ ist eine Beratung auf Augenhöhe: Betroffene berichten aus ihrer eigenen Lebenserfahrung mit psychischer Erkrankung zu verschiedenen sozialpsychiatrischen Themen. Unterstützt werden sie dabei jeweils von einer Fachkraft.