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Amtsgericht LeverkusenDer Angeklagte, seine Mutter und die Freundin waren „voll wie die Haubitzen“

4 min
Die Kolonie II. Foto: Ralf Krieger

Die Straftaten des Angeklagten fanden unter anderem in einer Koloniewohnung statt.

Eine Richterin setzte pantomimisches Talent ein, um Zeugenaussagen zu klären, während Angeklagter Adriano L. Bewährung erhielt.

Es kommt selten genug vor, dass eine Amtsrichterin ihr pantomimisches Talent einsetzt, um etwas von einem Zeugen zu erfahren, der nicht perfekt Deutsch spricht.

Das Amtsgericht Leverkusen in Opladen. Foto: Ralf Krieger

Das Amtsgericht Leverkusen in Opladen.

Ein Opladener Vietnamese hatte den angeklagten Leverkusener nämlich nach einem Ladendiebstahl in einem Geschäft in Opladen von hinten umklammert, um ihn am Weglaufen zu hindern. Um sich zu befreien, hatte sich der Angeklagte ruckartig nach vorne gebeugt, woraufhin der leichte Vietnamese einen unfreiwilligen Salto gemacht hatte und so schwer auf den Hinterkopf gefallen war, dass er ins Krankenhaus musste. Mit der kurzen turnerischen Einlage der Richterin Anika Menger in Robe versteht der Zeuge gut genug, welche Frage für die Richterin noch offen ist.

Diese Salto-Tat ist nur eine von mehreren, die dem Leverkusener Adriano L. (Name geändert) vorgeworfen wurde. Dem 27-Jährigen, der sich im Gerichtssaal äußerst freundlich gibt, ist sein Lebenswandel weitgehend außer Kontrolle geraten. Der Manforter, der öfter auch obdachlos ist, soll regelmäßig anderen Menschen mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben - nicht nur innerhalb der Obdachlosen-Szene. Einmal soll er einem Sozialarbeiter in der Caritas-Schlafstelle im Bunker an der Schießbergstraße aus unbedeutendem Anlass eine so heftige Ohrfeige verpasst haben, dass dem das Trommelfell riss. Selbst seiner Mutter und seiner Freundin soll er mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben oder getreten haben, sodass sie die Polizei holten.

Im Gerichtssaal waren beide Frauen allerdings keine ergiebigen Zeuginnen. Die Mutter wurde schnell als Zeugin entlassen, weil sie dabei war, sich „um Kopf und Kragen zu reden“, wie Anwalt Bayer es formuliert. Die Mutter kann die Freundin offenbar gar nicht leiden. Sie sagt, sie sei kein guter Umgang für ihren Sohn.

Alkohol und Drogen waren oft im Spiel

Allerdings könnte das wenigstens einmal genauso auf die Mutter zutreffen: Am Tag, als sie der Sohn in einer Wohnung in der Kolonie II ins Gesicht geschlagen hatte, seien alle Anwesenden „voll wie die Haubitzen“ gewesen, sagt die 48-jährige Mutter. Die Freundin (43) erinnert sich nicht oder nur dunkel an den Tag in der Wiesdorfer Wohnung, sie weiß aber noch, dass „auch Hochprozentiges“ getrunken wurde. Mehrfach hatten die Frauen die Polizei gerufen, heute will allerdings niemand den Sohn und Freund belasten.

Alkohol spielt bei Adriano L. immer eine Rolle, auch andere Drogen. Gekifft habe der Angeklagte täglich, heißt es; ab und zu kommen Aufputschmittel wie Speed oder Kokain hinzu.

Das sieht total asozial aus! Ich schäme mich jetzt voll.
der Angeklagte beim Betrachten eines Überwachungsvideos

Am Tag des Prozesses ist Adriano L. offenbar nüchtern. Als ihm ein Überwachungsvideo von seinem versuchten Ladendiebstahl in dem Oberbekleidungsgeschäft in Opladen vorgehalten wird, bei dem er den Inhaber heftig schubst und flüchtet, zeigt er Reue: „Das sieht total asozial aus! Ich schäme mich jetzt voll.“ Die 1,3 Promille, die bei ihm nach der Salto-Einlage gemessen wurde, sieht man ihm nicht an: Er schubst und läuft geschickt zwischen den Kleiderständern aus dem Laden.

Im Zuschauerraum sitzen drei Bekannte des Angeklagten, man kniept sich mit dem Auge zu, alle sind aber auch „alte Bekannte“ der Staatsanwältin, der Richterin oder sie hatten Kontakt zum Strafverteidiger Frank Bayer. Adriano L. wird am Donnerstag aus dem Gerichtskeller in den Saal geführt, das heißt, dass er schon vor der Verhandlung in Haft saß: 18 Tage hat er im Gefängnis gesessen, weil er eine Geldstrafe aus einem früheren Verfahren nicht gezahlt hatte. Im Gefängnis gilt der Leverkusener als Sonderling, denn er ist Schweizer Staatsbürger. So einen hätten sie dort noch nie gehabt, soll es dort geheißen haben, erzählen die Kumpels nach der Verhandlung.

Vor Gericht reicht es für den Schweizer für eine Bewährungsstrafe. Acht Monate muss Adriano L. in Haft, falls er sich in den nächsten zwei Jahren auch nur die geringste Verfehlung leistet.

Einer der Kumpels im Zuschauerraum lächelt erleichtert. Er greift in seine Bauchtasche und zieht 30 Euro für seinen Freund heraus. Damit kann der sich die letzten zwei Tage aus seiner Haft freikaufen. Die Bewährung beginnt sofort am Nachmittag, mit dem Schritt durchs Ossendorfer Gefängnistor.