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GewerbeDas Steuerparadies Leverkusen muss etwas weniger paradiesisch werden

Lesezeit 5 Minuten
An der Fuchskuhl: Headrooms – 100 Firmen in einem kleinen Gebäude

Die Headrooms an der Fuchskuhl beherbergen jede Menge Unternehmen auf sehr kleinem Raum. 

Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD vereinbart, dass der Mindest-Hebesatz von 200 auf 280 Punkte steigen soll. Also 30 mehr, als in Leverkusen derzeit gelten.

Für den Oberbürgermeister ist es durchaus ein Schlag ins Kontor, was da im Kapitel „Wirkungsvolle Entlastungen, stabile Finanzen, leistungsfähiger Staat“ des Koalitionsvertrags steht: nämlich eine Absage ans Gewerbesteuer-Dumping, das seit ein paar Jahren zum Leverkusener Selbstverständnis gehört. „Kommunen können ihre Gewerbesteuer-Hebesätze im Rahmen der rechtlichen Vorgaben selbst festlegen, was aufgrund des niedrigen Mindesthebesatzes zu kommunalen Steuersatzgefällen führt“, haben CDU und SPD formuliert.

„Dies kann für Unternehmen Anreize bieten, lediglich vorzugeben, dass sie ihre Geschäftstätigkeit in einer Kommune mit einem niedrigen Gewerbesteuerhebesatz ausüben. Wir werden alle zur Verfügung stehenden administrativen Maßnahmen ergreifen, um derartigen Scheinsitzverlegungen in Gewerbesteuer-Oasen wirksam zu begegnen.“ Schließlich, um mal eine Marke zu setzen: „Der Gewerbesteuer-Mindesthebesatz wird von 200 auf 280 Prozent erhöht.“ Das sind 30 Punkte mehr, als die Stadt Leverkusen erhebt.

Im Verhältnis zu anderen Städten sind wir weiterhin ganz weit unten.
Uwe Richrath, Oberbürgermeister

Uwe Richrath (SPD) gibt sich allerdings gelassen. Es sei „gut, wenn es einheitliche Regelungen gibt“, sagte der Oberbürgermeister am Donnerstag auf Anfrage. Wenn die zwangsweise Erhöhung um 30 Hebesatz-Punkte komme, „hat das für uns nicht den Effekt, dass Unternehmen wegziehen“, glaubt der OB. Denn „im Verhältnis zu anderen Städten sind wir weiterhin ganz weit unten“.

Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 435 Prozentpunkten, bis Ende 2019 nahm Leverkusen 475. Mit Blick darauf, dass es hier und da bisher sogar nur einen Gewerbesteuer-Hebesatz von 200 Punkten gibt, könnte Leverkusens Attraktivität sogar relativ größer werden, denkt der OB. Klar ist: Billiger als mit 280 Punkten Gewerbesteuer kommen Unternehmen in Deutschland in Zukunft nirgends weg.  

Briefkastenfirmen sind ein Thema

Dass ein weit unterdurchschnittlicher Hebesatz auch Briefkastenfirmen anzieht, haben die Verhandler des Koalitionsvertrags ausdrücklich betont. Mit Blick auf das eine oder andere Büro-Haus in Leverkusen mit erstaunlich vielen Klingelschildern ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Projekt 250 Punkte auch Unternehmen in die Stadt gelockt hat, die zwar hier ihren Firmensitz haben, sonst aber nicht viel machen. Offerten, wie sie zum Beispiel Holger und Nicklas-Florian Dahl für ihre „Headquarters 24“ in der Gerhard-Hauptmann-Straße machen, bestätigen diesen Eindruck: Sie stellen die Steuerersparnis in Leverkusen in Höhe von 42 Prozent gegenüber dem Durchschnitt in den Mittelpunkt. Sie ist das entscheidende Lockmittel, sich in dem Opladener Coworking-Gebäude einzumieten.

An solchen Firmen „habe ich kein Interesse“, betonte Richrath am Donnerstag erneut. „Sie sind steuerlich auch nicht relevant für uns.“ Vielmehr seien Briefkastenfirmen „schlecht für das Image der Stadt“. Echte Wertschöpfung brächten sie nicht nach Leverkusen. Vor allem kaum Angestellte, die herziehen könnten und Einkommensteuer bezahlen. Auch davon bekommt die Stadt einen Anteil, diese Abgabe sei „immer wichtiger“ für den Haushalt, so der OB. „Deshalb investieren wir ja in Kitas, Schulen und Infrastruktur. Damit Leverkusen attraktiv ist.“ 

Der geringe Hebesatz habe vor allem auf die chemische Industrie gezielt, daran erinnert der Oberbürgermeister. Zu viel Steueraufkommen sei zuvor abgewandert. Dass Leverkusen ins von Monheim eröffnete Rennen um niedrige Steuern eingestiegen ist, habe sich bewährt – zumindest „bis 2023“, so Richrath in Anspielung auf den großen Einbruch, der im vorigen Spätsommer eine Haushaltssperre auslöste und nun in ein Haushaltssicherungskonzept gemündet ist. 

44 Firmensitze auf dem Schild vor einem Gebäude am Moosweg

44 Firmensitze, eine Adresse am Moosweg: Auch das gibt es in Leverkusen, seit der Gewerbesteuer-Hebesatz bei 250 Punkten liegt.

Mit den darin getroffenen Annahmen über das Gewerbesteuer-Aufkommen in der kommenden Dekade habe die Kämmerei kalkuliert, was die erzwungene Hebesatz-Erhöhung um 30 auf 280 Punkte bringt: „300 Millionen Euro“, so der Oberbürgermeister, wohlgemerkt in zehn Jahren. Das sei schon eine durchaus willkommene Entlastung.

Stefan Hebbel sieht auch Vorteile

Uwe Richraths größter Konkurrent bei der Oberbürgermeister-Wahl im September findet den im schwarz-roten Koalitionsvertrag verabredeten Gewerbesteuer-Eingriff „für uns natürlich nicht so gut“ – jedenfalls auf den ersten Blick. Stefan Hebbel (CDU) sieht in dem neuen Mindest-Hebesatz von 280 Punkten aber auch einen Vorteil: „Keine Kommune um uns herum kann weniger verlangen als 280 Punkte.“ Für Hebbel steht außer Frage, dass Leverkusen nicht über das neue Minimum hinausgehen wird, jedenfalls nicht freiwillig. „Die 250 Punkte waren richtig“, das darauf basierende Werben um die Ansiedlung neuer Unternehmen habe sich bewährt. Daran ändere auch der beispiellose Einbruch im vorigen Jahr nichts. 

Dass die Niedrigsteuer-Politik auch Briefkastenfirmen anlockt, ist aus Sicht des Christdemokraten ein unvermeidlicher Nebeneffekt. Deren Zuzug bringe nur Gewerbesteuer. „Das ist ja ganz nett“, aber das sei nicht das Ziel. Es gehe darum, Leverkusen als attraktiven Arbeits- und Wohnstandort weiter zu etablieren.

Bei der FDP sieht man den schwarz-roten Eingriff kritischer. „Der Gewerbesteuersatz von 250 Punkten ist ein wichtiger Anreiz für Unternehmen, sich hier anzusiedeln“, sagt die Kreisvorsitzende Petra Franke. Die geplante Anhebung des Mindestsatzes auf 280 Punkte „könnte jedoch diese Attraktivität gefährden und die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt bremsen“. 


Wichtiger als die Gewerbesteuer-Regel im Koalitionsvertrag ist aus Sicht von Oberbürgermeister Uwe Richrath die Abmachung, die Industrie von Stromkosten zu entlasten. Dass die hohen Energiekosten ein Wettbewerbsnachteil ist, höre man schließlich nicht nur aus dem Chempark – „das sagen auch Mittelständler“. Leider komme der Industriestrompreis „zwei Jahre zu spät“. Auf dem Höhepunkt der Debatte „wäre das ein gutes Signal gewesen“. Die Bundesregierung hätte zeigen können, dass sie handlungsfähig ist und akute Probleme lösen kann, so der Sozialdemokrat. Leverkusens OB hatte sich von Anfang an für eine Entlastung energieintensiver Unternehmen ausgesprochen.