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Eingesperrt im HausWie eine 91-jährige Bergisch Gladbacherin um ihre Autonomie kämpft

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Zu sehen sind die Absperrungen.

Abgesperrt mit Gittern, Schlössern und einem Trecker: Die Hausbesitzerin aus Bergisch Gladbach kommt nicht mehr von ihrem Grundstück runter.

Der Nachbar lässt sich nicht erweichen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und die Barrikaden vor Irmintraut Fuchs Haustür abzubauen.

Grüne Wiesen, die Sonne blitzt durch Tannen und mittendrin steht ein kleines Haus. Doch die Besitzerin aus Bergisch Gladbach kann sich zurzeit nicht über die winterliche Idylle freuen. Irmintraut Fuchs ist eingesperrt auf ihrem Grundstück: „Gerade jetzt in der Weihnachtszeit ist das schwer auszuhalten.“ Über den Kampf einer alten Dame um Selbstbestimmung.

Seit vier Monaten sitzt die 91-Jährige auf der Bergkuppe im Vollbachtal am äußersten östlichen Zipfel des Stadtteils Moitzfelds fest: „Ich bin eingesperrt, als wäre ich ein wildes Tier“, ihre Verzweiflung und Wut sind spürbar. Sie kommt von ihrem eigenen Grundstück nicht mehr runter. Der Weg vor ihrer Haustür, seit Jahrzehnten von ihr und ihrer Familie genutzt, ist blockiert.

Das Szenario wird mit einer Videokamera überwacht

Der eskalierte Nachbarschaftsstreit aus dem Bergischen Land sorgt deutschlandweit für Aufsehen. Der Nachbar hat ein kleines Stück der Strecke, das auf seinem Grundstück liegt, mit Ketten, Schlössern, Gittern und einem Traktor abgeriegelt. Überwacht wird das Szenario von einer Videokamera. Es sind nur zwei, drei Meter, aber sie trennen die Seniorin vom Leben ab. Die Barrikade ist höchstrichterlich abgesegnet.

Das Haus, in dem Irmintraut Fuchs wohnt, ist ein Schwarzbau aus dem Jahr 1933 ohne Baugenehmigung. Ein eingetragenes Wegerecht gibt es nicht. In seinem Urteil vom vergangenen August bestätigte das Oberlandesgericht Köln die Entscheidung aus der ersten Instanz vollumfänglich.

Der Nachbar hat das Recht dazu, Durchgang und Durchfahrt auf seinem eigenen Grundstück zu sperren. Es ist sein Eigentum, damit kann er verfahren, wie er möchte. Bei einem Schwarzbau ohne Baugenehmigung kann er nicht dazu gezwungen werden, sein Grundstück für eine Erschließung zur Verfügung zu stellen. Da hilft es auch nicht, dass die Stadt Bergisch Gladbach den Bau ausdrücklich duldet.

Frau Fuchs sitzt im Wohnzimmer auf ihrem Sessel.

Traute Fuchs will nicht aufgeben, aber gerade zu Weihnachten fällt es ihr schwer.

Ihr Alter sieht und merkt man Traute Fuchs, wie sie genannt wird, nicht an. Aber den steilen, holprigen Trampelpfad durch den Wald als einzige Alternative zur öffentlichen Straße Juck unten im Tal kann sie nicht schaffen.

„Weihnachten war für mich immer ein schönes Familienfest. Jetzt sind die Feiertage für mich ein Albtraum“, sagt die 91-Jährige. Aufgrund der schlimmen Situation sei ihr dieses Fest egal: „Ich möchte nicht gute Miene zum bösen Spiel machen.“

Das Angebot ihrer Tochter Nina Effenberg, wenigstens in der tristen Winterzeit zu ihr und den beiden Enkeln nach Berlin zu kommen, hat sie kategorisch abgelehnt. „Das Haus zu verlassen, bedeutet für meine Mutter, aufzugeben“, deutet Effenberg die Absage. Deshalb könne sie da einfach nicht weg.

Noch nicht einmal Pflegepersonen haben Zugang zum Haus

Um etwas für ihre Mutter zu tun, schrieb die Tochter vor einigen Wochen einen kurzen Brief an den Nachbarn. Sie stellt ihm zwei Fragen: „Ist es erforderlich, dieses Recht, das Sie in allen Instanzen bekommen haben, in härtester Form durchzusetzen? Können Sie einer alten Dame nicht für den Rest ihres Lebens den Zugang zu ihrem Grundstück gewähren, auch wenn es Ihnen rechtlich möglich ist, dies zu verwehren?“ Dabei gehe es ausschließlich um den Zugang für ihre Mutter und ihrer Pflegepersonen, um ihrer Gesundheit nicht weiteren Schaden zuzufügen: „Lassen Sie Gnade vor Recht ergehen“, lautet der Schlusssatz.

„In schwierigen Situationen kommt man oft mit ganz normalen Worten weiter“, weiß Effenberg aus ihrer Erfahrung als Psychoonkologin und Gesundheitspädagogin. Aber in diesem Fall scheint es nicht zu funktionieren. Der Nachbar antwortete nicht.

Das einstöckige Haus ist zum Teil mit Holz verkleidet.

Das Haus aus dem Jahr 1933 ist ein Schwarzbau ohne Wegerecht.

„Ich finde es unverständlich“, sagt die Tochter. Ihre Mutter beschädige doch sein Wegstück in keiner Weise: „Für mich ist dieser Ort vergiftet. Er hat meiner Mutter nichts Gutes gebracht.“ Gerne hätte die Redaktion mit dem Nachbarn darüber gesprochen. Aber es gab keine Reaktion auf Anruf und E-Mail.

„Ich habe doch niemandem etwas getan“, sagt die Seniorin, „ich will einfach nur meinen Lebensabend genießen.“ Mal nach Moitzfeld fahren und Geschäfte ansehen. Sich mit den Freundinnen treffen, die noch leben. Aber da muss es jetzt beim Telefonat bleiben: „Den Berg zu Fuß schafft von ihnen keiner mehr.“ Auch ihre Pflege- und Haushaltshilfe kann nicht mehr kommen. Der Medizinische Dienst, der Schornsteinfeger, der Paketdienst, der Kaminholzlieferant, zählt sie auf, sie alle stranden ebenfalls vor der Sperre, „nicht mal der Leichenwagen würde bis hierhin kommen.“

Das Gefühl von Ohnmacht kann Traute Fuchs nicht aushalten. Sie erzählt, wie sie vor kurzem doch allein den Weg zur Straße gegangen ist, ausrutschte und hinfiel. Sie lacht. Weil alles so absurd ist. Wie sie da im Schlamm lag. Weil man Unangenehmes vielleicht manchmal weglachen kann. Zum Glück ist ihr nichts passiert. Sonst hätte sie dagelegen und keiner hätte sie gefunden.

Ehepaar Bethe kündigt an, zu helfen

So abhängig zu sein, macht der Gladbacherin zu schaffen, nach einem sehr ereignisreichen Leben: Sie lebte in Mexiko und dann in Stuttgart, von wo sie nach dem Tod ihres Mannes 1998 wieder in das elterliche Haus zurückzog.

Mental über Wasser hält sich Traute Fuchs, indem sie durch ihre Geschichten und Gedichte blättert, die sie schreibt, seit sie jung war. Sie führt auch Tagebuch: „Aber da steht jetzt nur noch der Wetterbericht drin. Ich sitze ja nur noch in meinem Sessel und komme nicht mehr raus.“ Sie seufzt, strafft ihre Schultern und sagt: „Klein beigeben kommt aber auch nicht infrage.“

Denn es gibt einen Lichtblick. Die beiden Ehrenbürger Roswitha und Erich Bethe melden sich zu Wort. „Wir finden das Vorgehen des Nachbarn so unmenschlich. Das lässt mir einfach keine Ruhe“, sagt Erich Bethe am Telefon. Er kündigt an, sich mit seiner Stiftung finanziell einbringen zu wollen, etwa im Rahmen einer Spendenaktion. Die Redaktion wird im neuen Jahr über das Projekt berichten.

Laut Expertise einer Baufirma ist es nämlich möglich, den steilen Weg durch den Wald zu schottern, sodass er befahrbar ist, berichtet Sohn Robin Fuchs. Er wohnt mit in dem Haus und kümmert sich um seine Mutter und alle anderen Belange. 40.000 Euro würde das kosten.„Mir ist es wichtig, das Kleinod für meine Familie zu bewahren“, sagt er.

Und natürlich lasse er sich nicht abhalten, einen kleinen Weihnachtsbaum aufzustellen, um den Heiligen Abend zusammen mit seiner Mutter, seiner Freundin und seinem Sohn zu feiern. Alle in der Familie haben wohl nur einen einzigen Wunsch: Dass in der kleinen Siedlung endlich Frieden einkehrt.