Das Stegreif Orchester gastierte mit einem ungewöhnlichen Konzert im Rhein-Sieg-Forum, bei dem die Grenze zwischen Publikum und Künstlern fiel.
BeethovenfestBruckner barfuß und für ein junges Publikum im Rhein-Sieg-Forum

Das Stegreif Orchester hinterließ bei seinem Konzert im Rhein-Sieg-Forum beim Publikum einen tiefen Eindruck.
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Ein Konzert zu geben muss nicht unbedingt eine sitzende Tätigkeit sein. Die gut 30 jungen Musikerinnen und Musiker des Berliner Stegreif-Orchesters wuselten bei ihrem Gastspiel im Siegburger Rhein-Sieg-Forum jedenfalls reichlich auf der Bühne herum, die meisten von ihnen barfuß. Für ihre „freebruckner“ genannte Rekomposition von Anton Bruckners Sinfonie Nr. 7 in E-Dur war die gewohnte Bestuhlung des Konzertsaals einer Art Arena gewichen, mittendrin eine verhüllte Konstruktion, die im Laufe des Abends mal als Tisch, mal als Laufsteg dienen sollte. Hier sorgte das Stegreif-Orchester beim Beethovenfest Bonn für ein Musikerlebnis zwischen Konzert und Performance, das man in dieser Form nicht allzu oft zu sehen bekommt.
Das vorwiegend aus jungen Instrumentalisten bestehende Ensemble, das seit 2015 existiert, stellt sich gegen den konventionellen hierarchischen Klassikbetrieb, es erarbeitet seine Produktionen im Kollektiv. Und diese Produktionen haben es in sich, sie verzichten auf eine statische Sitzordnung, sondern sind sorgfältig choreografiert, wobei die Musiker in Gruppen quer durch den Bühnenraum und auch in die Zuschauerränge geschickt werden.
Verfolgungsjagd mit Taschenlampen
So war es auch in Siegburg, mal wandte das Ensemble einem Teil des Publikums den Rücken zu, mal lieferte es sich mit Taschenlampen in dem spärlich beleuchteten Saal eine irrlichternde Verfolgungsjagd. Nahezu einzige Deko war reichlich schwarzer Tüll, der für Bruckners große Themen wie Verlust und Trauer stand.
Die Sinfonie Nr. 7 kann man wohl als einen seiner größten Hits bezeichnen, und das Stegreif Orchester näherte sich ihr mit Respekt, aber ohne Berührungsängste. Das wehmütig düstere Leitmotiv wurde gleich mehrfach aufgegriffen – und auch gebrochen. Denn neben der Neuauslegung der klassischen Orchesterliteratur zählt die Improvisation zu den Leidenschaften des Stegreif Ensembles. Dafür wird die klassische Symphoniker-Besetzung um Schlagzeug, E-Gitarre und Drums sowie dem Gesang des Ensembles ergänzt. Prompt rutscht der altehrwürdige Bruckner minutenlang in den Free Jazz oder wird als Milonga durchgeschüttelt.
Bei all dem beeindruckte die Ernsthaftigkeit, mit der sich das Ensemble mit dem Werk auseinandergesetzt hat und die Virtuosität, mit der diese umgesetzt wurde – und das alles ohne Dirigent und Noten. In den Zwischentönen schimmerten die eher problematischen Seiten Bruckners durch, der auch in der Zeit des Nationalsozialismus sehr beliebt war. Prompt war es ausgerechnet diese 7. Sinfonie, zu deren Klängen der Großdeutsche Rundfunk die Nachricht von Tod Adolf Hitlers ausstrahlte.
Mit dem unkonventionellen Ruf des Stegreif-Orchesters wollte das Beethovenfest offenbar gezielt junge Besucher ansprechen; eine Rechnung, die aufging, denn es saßen deutlich mehr jüngere Gäste in dem leider nur halb gefüllten Saal, als man in Symphoniekonzerten gewohnt ist. Und diese Zuschauer waren nach anderthalb intensiven Stunden zu Recht hingerissen.