Das Planungsrecht dürfe nicht zum Nadelöhr für Infrastruktur-Investitionen werden, warnt die Industrie- und Handelskammer.
„Stau kostet uns Zeit und Geld“Unternehmer aus Rhein-Sieg beklagen marode Straßen und Baustellen

Das Areal des Chemieparks Lülsdorf in Niederkassel bietet sich nach Ansicht von Rainer Bohnet, Vorsitzender der EVG Bonn/Rhein-Sieg, für ein Logistik-Hub Wasser/Schiene/Straße an.
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Der alte Bundestag genehmigt der kommenden Regierung schon einmal ein hunderte Milliarden schweres Finanzpaket, das war ein Novum in der Geschichte der BRD. Doch auf ungetrübte Jubelstimmung trifft es nicht in der Wirtschaft der Region, wo die Nachrichten mit der Veröffentlichung des Nachhaltigkeitsreports Logistikwirtschaft der IHK Bonn/Rhein-Sieg zusammenfielen.
„Das Planungsrecht darf nicht zum Nadelöhr für Infrastruktur-Milliarden werden“, warnt die Kammer angesichts „maroder Brücken, überlasteter Trassen und schleppender Genehmigungsverfahren“ und sieht einen fortschreitenden Standortnachteil. Ausreichend Mittel aus dem geplanten Sondervermögen Infrastruktur müssten in der Region investiert werden, auch „um den CO₂-Fußabdruck im Verkehrssektor zu reduzieren“.
Logistikbranche spürt marode Infrastruktur am stärksten
„Die Logistikbranche spürt die marode Infrastruktur am stärksten, betroffen ist aber jeder, der auf verlässliche Lieferketten und gute Erreichbarkeit angewiesen ist“, sagt IHK-Vizepräsidentin Sabine Baumann-Duvenbeck. „Ein leistungsfähiges Verkehrsnetz ist eine Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Industriestandort und mehr Nachhaltigkeit im Verkehr.“
Um den Gütertransport nachhaltiger zu gestalten, müsse weit mehr auf der Schiene transportiert werden. „Pro Tonnenkilometer emittieren Güterbahnen durchschnittlich nur ein Achtel der Treibhausgase konventionell betriebener Lkw“, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Politik dürfe den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur dabei nicht als reine Geldfrage betrachten, mahnt Prof. Dr. Stephan Wimmers, IHK-Geschäftsführer für Standortpolitik. „Ohne schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren drohen viele Vorhaben im Papierstau zu ersticken.“
Die Branche ist besonders beschäftigungswirksam
477 Unternehmen der Güter- und Warenlogistik sind laut IHK der Logistikbranche zuzuordnen, rund ein Prozent der Firmen im Kammerbezirk. Das geht aus Zahlen für das Jahr 2020 hervor. Dabei seien die Logistikunternehmen „besonders beschäftigungswirksam“, mit 11.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den IHK-zugehörigen Unternehmen.
Der Rhein-Alp-Korridor führt der IHK zufolge als „einer der zentralen europäischen Verkehrswege für den Gütertransport“ durch die Region. Das Schienennetz verbinde die Nordsee und insbesondere die niederländischen Häfen über Belgien, Deutschland und die Schweiz mit dem Mittelmeer im Norden Italiens. Auf den Hauptverkehrsachsen durch Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis in Nord-Süd-Richtung verkehrten pro Jahr rechtsrheinisch rund 53.000 und linksrheinisch 37.000 Güterzüge.

Stimmen zum Logistik-Nachhaltigkeitsreport der IHK, Muhammed Türker, Geschäftsleiter bei der Spedition Hoss in Siegburg.
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Stau gleich vor der Firmentür in Siegburg
Aus Sicht von Muhammed Türker, Geschäftsleiter und Prokurist der Siegburger Spedition Hoss, beginnen die notorischen Infrastrukturprobleme gleich vor der eigenen Firmentür: „Egal, wo sie hin wollen, auf der B56, auf der A3, der A4 oder der A59 stehen sie jeden Morgen im Stau, das kostet uns Zeit und Geld“, schildert er aus der Erfahrung seiner rund 20 Stückgutfahrer.
Die Investitionen aus dem Milliardenpaket könnten Transportzeiten verkürzen, Staus reduzieren und insgesamt effizientere Lieferketten ermöglichen, wenn Straßen modernisiert würden. In der Region sei lange zu wenig passiert, jetzt werde zu viel auf einmal gemacht.
Längere Routen führen zu Stress und Unsicherheit
Es brauche mehr Park- und Rastplätze für Lastwagen mit angemessener Ausstattung und die Verbesserung von Brücken und Tunnel für höhere Traglasten. Baustellen müssten schneller abgewickelt werden. „Wenn unsere Fahrer ständig neue, längere Routen nehmen müssen, führt das zu Stress und Unsicherheit.“ Die Branche müsse dringend entlastet werden, leide ohnehin unter höheren Transportkosten durch teuren Diesel und Mautgebühren.
Noch nicht umsetzbar seien für die Spedition alternative Antriebe, etwa durch Elektromotoren. „Die Anschaffungskosten sind trotz Subvention zu hoch“, bemängelt Türker. Die Reichweite sei zu gering und die Ladeinfrastruktur zu schlecht. Schwere Batterien führten zu niedrigeren Nutzlasten, die Wirtschaftlichkeit sei angesichts von Restwerten der Fahrzeuge und Wartungskosten unklar.
Hoss setze auf GPS-Tracking, um Routen und Fahrverhalten zu optimieren, und auf automatisierte Wartungspläne zur Reduzierung von Emissionen und Verschleiß. „Wir haben einen modernen Fuhrpark, der fortlaufend erneuert wird und höchste Umweltstandards erfüllt.“ Den Schienengüterverkehr sieht er nicht als Mitbewerber, sondern als „alternative Möglichkeit, Waren zu verladen“. Beim Stückgut würden die Anforderungen durch die Bahn derzeit nicht erfüllt.
Langfristige Planung ist ein Muss, wenn Staus drohen
Dass die Branche „beschäftigungswirksam“ ist, zeigt sich auch bei Baustoff Faßbender Tenten in Bonn: 400 Beschäftigte würden dort im Großhandel, 380 im Einzelhandel gezählt, berichtet Geschäftsführer Christian Faßbender. „Alle gehen davon aus, dass die Ware zu den Baustellen kommt“, schildert Faßbender, daher bedeute Baustoffhandel immer auch Logistik. Und geliefert werden müsse ebenso in hohe Stockwerke wie in tiefe Baugruben. Angesichts des Milliardenpakets, das Aufwind bei den Aufträgen bringen könne, rechnet Faßbender angesichts schlechter Infrastruktur mit Problemen: „Langfristige Planung ist absolut notwendig.“

Christian Faßbender von Baustoff Faßbender Tenten in Bonn.
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Faßbender verzeichnet für sein Unternehmen eine deutlich geringere Effektivität. Habe früher im Schnitt ein Lkw vier bis fünf Anfuhren am Tag geschafft, seien es heute nur noch drei bis vier. „Wir verlieren mit jeder Anfuhr Geld“, schildert Faßbender, besonders schlimm sei die Situation in der Bundesstadt: „Die Bonner Innenstadt ist eine Katstrophe. Zu bestimmten Zeiten kann man gar nicht hineinfahren.“ Lange Umwege über die A3 mache auch der Bau der Tunnel im Siebengebirge erforderlich. Das Unternehmen hat 14 Standorte, in Ahrweiler, Alfter, Blankenheim, Bonn, Düsseldorf, Bad Godesberg, Köln, Königswinter, Rheinbach und Zülpich.
In der Vergangenheit hat er insbesondere Reparaturen von Straßen und an Brücken vermisst und hofft jetzt auf Besserung. „Da gibt es viel zu tun.“ Für 2027 rechnet er mit einer Erholung seiner Branche. Elektrolastwagen finden sich noch nicht im Fuhrpark, doch Faßbender geht davon aus, dass sich das ändern wird, und geht in Vorleistung: „Wir investieren eine Million Euro in Ladesäulen“, sagt er, und baut für die Zukunft auf eine verlässliche Förderung. Vor allem 25-Tonner sollen dann abgasfrei unterwegs sein.

Gleisanschluss in einem Industriegebiet in Troisdorf.
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Enormer Nachholbedarf auf der Schiene
„Die Schiene hat bundesweit enormen Nachholbedarf“, befindet Rainer Bohnet, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Bonn/Rhein-Sieg. Um das Bahn-Netz instand zu setzen, werde es binnen der kommenden fünf Jahre allein 100 Milliarden Euro brauchen, wobei besonders wichtige Strecken durch die Region führen.
Ein konkretes Projekt in der Region wäre für ihn auf dem Gelände des Chemieparks Lülsdorf in Niederkassel denkbar, um Wasser, Schiene und Straße zusammenzubringen. „Da könnte ich mir einen Logistik-Hub vorstellen.“ Eine wichtige Aufgabe sieht er darin, wieder Gleisanschlüsse für Unternehmen in Betrieb zu nehmen oder neu zu schaffen. Troisdorf sei dafür prädestiniert, aber auch das ZF-Gelände: Dort könne ein Anschluss gar zum Standortvorteil für ein neu angesiedeltes Unternehmen werden. „Die Schiene liegt dort zum Greifen nahe, das sollte man als Chance begreifen.“

Rainer Bohnet, Vorsitzender der EVG Bonn/Rhein-Sieg
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Es gehe aber bei weitem nicht nur um Geld, sagt Bohnet mit Blick auf den Fachkräftemangel: „Wir brauchen eine Einstellungs-, Qualifizierungs- und Integrationsoffensive.“ Auch in anderen Teilen der Welt müsse man angesichts der Herausforderung Personal rekrutieren.
Ein limitierender Faktor sind nach Bohnets Ansicht auch Planungsverfahren, die in Deutschland so kompliziert seien, „dass die ganze Welt über uns lacht“. Bei Einsprüchen gegen Projekte sollten weniger gerichtliche Instanzen befasst werden, das könne Zeit und Geld sparen. Und schließlich brauche es in Deutschland eine Aufbruchstimmung, um die Milliarden wirklich erfolgreich einzusetzen.