Im Süden von Wales baut Microsoft ein Rechenzentrum. Es ist ein Blick in die Zukunft des Rheinischen Reviers – mit erstaunlich vielen Parallelen.
Rechenzentren von MicrosoftZu Besuch in Wales – in der Zukunft des Rheinischen Reviers

So ähnlich wie derzeit auf der Microsoft-Baustelle in Newport sieht es in zwei Jahren im Rheinischen Revier auch aus.
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Der Weg in die Zukunft des Rheinischen Reviers führt vorbei an einer Herde Schafe. „Wo möchten Sie hin?“, fragt der Busfahrer. Er weiß nicht so recht, wo der „Imperial Business Park“ sein soll, doch auf der Zielgeraden wird es ihm klar: „Die alte Heizkörperfabrik! Sagen Sie das doch gleich. Dort hat schon mein Vater gearbeitet.“ Man kennt die Fabrik im Ort, Straßenschilder weisen noch immer den Weg zur „Old Radiator Factory“, und das, obwohl hier schon seit 2019 nichts mehr vom Band läuft. Damals wurden fast alle der 300 Mitarbeiter entlassen, nun gehört das Gelände Microsoft.
Es ist eine Geschichte, wie sie gerade in vielen Weltregionen geschrieben wird – auch in Bergheim, Bedburg und Elsdorf im Rheinischen Revier. In diesen Orten im Rhein-Erft-Kreis plant Microsoft in den kommenden Jahren Rechenzentren zu errichten. Die Grundidee: Eine einst wirtschaftlich florierende Gegend befindet sich mitten im Strukturwandel, weil die alten Industrien wie Kohle, Eisen und Stahl einem veränderten Markt zum Opfer gefallen sind. Ihren Platz nehmen neue Technologien ein, allen voran KI-Anwendungen und Cloud-Services. Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass allein Anwendungen mit künstlicher Intelligenz bis 2040 einen weltweiten Umsatz von 4,6 Billionen US-Dollar kreieren. Ein vielversprechender Markt für Konzerne wie Microsoft.
Hoffen auf den Aufschwung
Und so entsteht in der Stadt Newport eins von hunderten Rechenzentren, die der US-Konzern aktuell aus dem Boden stampft. Sie sorgen mit ihrer Computerleistung überhaupt erst dafür, dass Anwendungen mit künstlicher Intelligenz in großem Stil genutzt werden können. Für abgehängte Regionen wie Süd-Wales versprechen sie wirtschaftlichen Aufschwung. Newport liegt zwischen Cardiff und Bristol, blickt auf eine lange Industriehistorie zurück. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde hier Stahl produziert, zu Spitzenzeiten arbeiteten zehntausend Menschen in der Schwerindustrie. Newport war das Zentrum des südwalisischen „Steel Belt“, der inzwischen durch Deindustrialisierung und wirtschaftlichen Abschwung seine einstige Stärke eingebüßt hat.
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Zwar ist Wales seit jeher als Armenhaus Großbritanniens bekannt, doch die Gegend um Newport trifft es besonders hart. Als „Stadt der Abgehängten“ wird sie in Berichten immer öfter betitelt, Geschäfte stehen leer, Fenster sind mit Brettern vernagelt. Im Handelshafen werden schon längst weder Kohle noch Stahl in die Welt geschickt.

Dimitri Batrouni ist seit eineinhalb Jahren Vorsitzender des Stadtrats von Newport.
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Der Stadtratsvorsitzende Dimitri Batrouni, Anfang 40 und Mitglied der Labour-Partei, spricht stolz über die Underground-Musikszene seiner Stadt. Anfang der 1990er sei sogar Nirvana-Frontmann Kurt Cobain hier hergekommen. Regelrecht euphorisch wird Batrouni aber, wenn er von Microsoft und dem neuen Rechenzentrum redet. „Was für eine großartige Leistung und wirklich gute Nachricht für Newport. Fantastisch für die Stadt.“ Für Städte wie Newport sei es von entscheidender Bedeutung, dass große Unternehmen investieren und den Menschen vor Ort zukunftsfähige Arbeitsplätze böten.
Seltener Einblick in Microsoft-Rechenzentrum
Es ist selten, dass Microsoft Besucher in eines seiner Rechenzentren lässt. Sie sollen als Teil der kritischen Infrastruktur vor fremden Blicken geschützt bleiben. Mehr als 400 betreibt der Konzern inzwischen in Europa, von Madrid über Wien bis nach Stockholm. Und so kommt es, dass einige wenige Journalisten aus ganz Europa nach Wales reisen, um sich etwas anzusehen, das es theoretisch auch bei ihnen vor der Haustür gibt. Auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist als eines von zwei deutschen Medien dabei.
Wie in Wales kaum anders zu erwarten, regnet es an diesem Tag Ende Oktober. In neongelber Warnweste, Arbeitsschuhen, Helm und Handschuhen geht es durch Pfützen und Matsch in den Rohbau des Gebäudes. Im Inneren sieht es aus wie in einer großen Lagerhalle, im Grunde genommen sind Rechenzentren nichts anderes: Sie lagern Server, die Daten verarbeiten, speichern und übertragen. Das Rechenzentrum steht auf einem 40 Hektar großen Grundstück, die genaue Leistung will Microsoft aus Wettbewerbsgründen nicht preisgeben.
„Das, was wir hier sehen, wird in etwa zwei Jahren im Rheinischen Revier stehen“, sagt ein Microsoft-Vertreter. Mit zwei gewaltigen Unterschieden: Das Rechenzentrum in Newport ist eingeschossig, es soll so schnell und kostengünstig wie möglich ans Netz gehen. Im Rheinischen Revier kommt noch eine Etage obendrauf. Und: Während das walisische Rechenzentrum in Microsofts Dimensionen eher im mittleren Bereich liegt, zählt das Vorhaben vor den Toren Kölns zu den Großprojekten. Insgesamt 3,2 Milliarden Euro will Microsoft allein in den Jahren 2024 und 2025 in Deutschland investieren, ein Großteil davon fließt in die Region um Bergheim, Bedburg und Elsdorf.
Stromversorgung als entscheidendes Kriterium
Im Vereinigten Königreich lässt Microsoft bis 2028 rund 30 Milliarden Euro springen, die Hälfte davon soll in den Bau neuer Rechenzentren fließen. „Rechenleistung ist die Zukunft und die nächste Welle für Städte wie Newport. Wir bekommen immer mehr Investitionen, immer mehr Anfragen“, sagt Stadtrat Batrouni. Tatsächlich ziehen die Großinvestitionen vor Ort weitere nach sich. So haben neben Microsofts Rechenzentrum in Newport auch weitere Rechenzentren-Betreiber sowie Halbleiter- und Mikrochip-Firmen Standorte errichtet.
Auf diesen Effekt und damit möglichst viele neue Arbeitsplätze setzen auch die Menschen im Rheinischen Revier. Denn jedes der drei gigantischen Microsoft-Rechenzentren wird nur jeweils rund 150 neue Jobs schaffen.
Direkte Subventionen für den Bau von Rechenzentren fließen nicht. Die Regierung weist beispielsweise zwar spezielle KI-Wachstumsflächen aus, aber die millionenschweren Investitionen stemmen Konzerne wie Microsoft in der Regel allein.
Ohnehin sind Subventionen kein entscheidendes Kriterium für den Bau eines neuen Rechenzentrums, sondern einer der wichtigsten Punkte ist die Energieversorgung. Schon heute stoßen die Netze an ihre Grenze – sowohl in Deutschland und UK als auch im Rest Europas. „Früher hat man vielleicht drei, vier Jahre gewartet, ans Netz angeschlossen zu werden, jetzt sind sieben bis zwölf Jahre normal“, sagt Christoph Mazur, der bei Microsoft für die Energieversorgung der Rechenzentren in Europa und dem Nahen Osten verantwortlich ist. Datencenter konkurrieren mit Elektroautos und Solaranlagen um den Zugang zum Stromnetz.
Energiemarkt ist attraktiv für Spekulanten
Allein in Großbritannien haben Unternehmen laut dem nationalen Energiekonzern National Grid bis zum Jahr 2039 mehr als 60 Gigawatt an Leistung vorgemerkt. Die britischen Behörden gehen zwar davon aus, dass dieser Bedarf auch aufgrund von Spekulationen so hoch ist und am Ende bei weitem nicht alle angekündigten Projekte realisiert werden, aber die Zahl illustriert ein grundlegendes Problem: Energie ist knapp.
Die Deutschen stehen deshalb laut einer aktuellen Umfrage der Meinungsforscher von Savanta einem weiteren Ausbau von Rechenzentren zunehmend kritisch gegenüber. Sorgen bereitet den Menschen vor allem der hohe Strombedarf – aber auch andere Umweltthemen wie der Wasserverbrauch für die Kühlungsanlagen der Rechenzentren. Über zwei Drittel sind überzeugt, dass neue Rechenzentren nur dann gebaut werden sollten, wenn sie ihren Strom aus erneuerbaren Energien beziehen.

Noch sieht das Microsoft-Rechenzentrum in Newport aus wie eine Lagerhalle.
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Energiemanager Mazur versteht das Problem, kennt aber auch die Herausforderungen: „Wir können über nachhaltige Energie sprechen, über die Optimierung der Netznutzung, aber wenn die Leitungen einfach nicht für diese Art von Nachfrage ausgerüstet sind, kann man nichts tun.“ Microsoft arbeitet daran, den Betrieb der Datencenter so effizient wie möglich zu gestalten. In Newport hat sich der US-Konzern dafür unter anderem mit dem Start-up Linevision zusammengetan, das anhand von Luftzirkulation und Sonneneinstrahlung berechnet, wie Stromleitungen die Energie effizienter transportieren können.
Umweltschutz auch in Wales ein Streitthema
Regionale Umweltschützer sehen das Vorhaben kritisch, denn direkt neben der Baustelle verläuft ein Naturschutzgebiet. Stadtrat Batrouni sagt, Microsoft habe auf die Bedenken der Gemeinde hinsichtlich Lärm, Landschaftsgestaltung und Umweltauswirkungen gesprächsbereit reagiert, pflanze Bäume und Büsche, um beispielsweise Wildkorridore zu schaffen. Rund zehn Prozent des verbauten Stahls stammt zudem aus der alten Heizkörperfabrik, die mit Stahlträgern eingerahmt war.
Auch im Rheinischen Revier haben sich Umweltschützer zusammengetan und eine Petition unterzeichnet. Darin kritisieren sie den geplanten Bau von Groß-Rechenzentren auf der „grünen Wiese“. Dies führe zu zusätzlicher Flächenversiegelung und schade der Umwelt. In Bergheim haben die vorbereitenden Bauarbeiten indes schon begonnen, auch eine Teilbaugenehmigung liegt vor. Wenn alles gut geht, gibt es in den kommenden Monaten den ersten Spatenstich – ein weiterer Schritt auf dem Weg zur KI-Region.

