Zahlreiche Leserinnen und Leser sind unserem Aufruf gefolgt, uns in ihre Erinnerungen an Köln in der Nachkriegszeit mitzunehmen. Wir veröffentlichen eine Auwahl.
Alltag zwischen TrümmernKölner erinnern sich an ihre Kindheit in der Nachkriegszeit

Die Aufnahme von 1945 zeigt den Blick auf den Kölner Dom, der als einziges Bauwerk aus den Trümmern der Stadt hervorragt. Vorn im Bild: die zerstörte Hohenzollernbrücke
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Friedrich Koch, Köln (Jahrgang 1940)
Ich lebte als circa Achtjähriger mit meiner Mutter, die Kriegsitwe war, und mit einem Teil der Familie in der Heinsbergstraße. An der Ecke zum Rathenau-Platz gab es eine große Ruine.Es stand damals ein Teil der Fassade und Reste von Zimmern zum Nebenhaus. Das Interessante für uns waren die noch vorhandenen Wasserrohre, die noch von ganz unten bis zur 4. Etage reichten. Kräftigere Jungs hangelten sich bis ganz nach oben, ich als sehr schmächtiges Kerlchen war stolz, wenn ich es bis zur 1. Etage schaffte. Diese Ruine war ein wahrer Abenteuer-Spielplatz für uns. Eines Nachts ist diese Ruine in sich zusammen gebrochen. Wäre es am Tag passiert, hätte es wahrscheinlich vielen Kindern das Leben gekostet. Nach einer kurzen Schreckenszeit ging es in einer anderen Ruine weiter. Heute nicht mehr vorstellbar, aber damals ziemlich normal.
Alle reden vom alten Opernhaus am Rudolfplatz. Wenn man vor dem Opernhaus stand, gab es auf der linken Seite, Richard-Wagnerstraße, ein kleiner Lebensmittelladen (oder ein kleines Feinkostgeschäft.) In diesem Geschäft gab es zwei Frauen, vermutlich Mutter und Tochter. Dort haben mein Freund und ich einmal Martinslieder gesungen, ich glaube sehr zur Freude der beiden Damen. Zum Dank bekam jeder von uns eine große Tüte mit Leckereien. Als ich mich später mal bei den Damen bedanken wollte, war das Opernhaus schon abgerissen worden. Immer wieder denke ich an diese Episode und frage mich, was mag aus den Damen geworden sein. Wie heißt es, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
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Ruinen waren ein Bestandteil meiner Kindheit. Wir durchstreiften diese, um etwas Neues zu entdecken. So fand ich einmal in der Beethovenstraße einen ungeöffneten Kellerraum. Welch ein Wunder zu der damaligen Zeit. Ein Onkel und zwei Cousins hatten daran großes Interesse und haben diesen Raum in der nächsten Nacht geöffnet und durchgestöbert. Mir haben sie nur gesagt, dass sie Konserven gefunden hätten. Kann man glauben oder auch nicht. Aber wir hatten einige Zeit wieder ausreichend Essen.
Margot Hagmann, Wiehl (Jahrgang 1946)

Margot Hagmanns Eltern und Schwester
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Ich habe mal eine wenig in meiner Erinnerungskiste gekramt und ein Bild gefunden mit meinen Eltern und Schwester auf Wohnungssuche 1946 in Köln. Sie waren zu diesem Zeitpunkt noch im Odenwald evakuiert, mich (geboren 1946 in Amorbach) hatten sie dort bei der Oma gelassen. Zu diesem Bild sagte meine Mutter: „Man machte sich immer fein, wenn man in die Stadt ging. Der Hut wurde aus zwei Hüten genäht. Außerdem gingen wir nur in die Stadt, wenn wir etwas brauchten.“

Margot Hagmann mit ihrer Schwester Ellen (re.) bei einem Besuch der Tante. Die Kleider, die die Mädchen trugen, hatte die Mutter genäht.
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Es dauerte bis Dezember 1949, bis wir alle wieder in Köln waren, da meine Eltern eine Zwei-Zimmer- Trümmer-Wohnung im Souterrain eines Hinterhauses in der Bismarckstr. 9 ausbauen konnten. Meine Mutter bekam direkt eine Anstellung am 28.01.1950 bei einer Krankenkasse mit einer Woche Urlaub und war glücklich. Wir gingen in den Kindergarten am Westbahnhof.
Der Weg in die Stadt führte immer bis zu C&A, wo die Schwester meiner Mutter als Schneiderin beschäftigt war, die auch in den Jahren davor für unsere Kleidung sorgte. Die ersten Wochen wohnten wir bei der Schwester und Vater meiner Mutter in der Gabelsberger Straße. Dort war die Küche warm. Durch die Nähe des Südbahnhofes hatte meine Tante ausreichend Briketts – fringsen - im Keller. Sogar ein warmer Backstein wurde uns ins Bett gelegt!
Ab 1953 haben wir in einer 50-Quadratmeter-Neubauwohnung in Buchforst gewohnt.
Helmut Rupsch, Köln (Jahrgang 1944)

Das Geschäft von Helmut Rupschs Vater in Niehl
Copyright: Helmut Rupsch
Bereits im August 1945 konnte mein Vater sein Geschäft „Willi Rupsch, Milch-Molkereiprodukte-Lebensmittel, Köln-Nippes, Niehler Straße 58“, neu eröffnen. Das Vorgängergeschäft, Niehler Straße 69, war im Krieg zerstört worden. Das Geschäft war täglich, einschließlich Samstag und Sonntag geöffnet. Auch am 24. Dezember und am ersten Weihnachtstag. Es gab in den Haushalten keine Kühlschränke und somit musste immer frische Ware, insbesondere Milch und Milchprodukte, eingekauft werden können. Neben dem Verkaufen der Ware kamen Arbeiten wie Milchkannen und -geräte zu säubern, den Laden zu reinigen und natürlich den Einkauf zu tätigen, und nicht zu vergessen die Buchführung.
Um die umfangreiche Arbeit bewältigen zu können, stellte mein Vater im März 1946 Frau Annemie Vaas, die heute noch lebt, als Verkäuferin ein. Neben den zuvor geschilderten Aufgaben kam eine weitere hinzu, die als recht aufwendig beschrieben wurde: die Verarbeitung der Lebensmittelkarten. Bürger erhielten diese Karten für verschiedene Warengruppen wie: Brot, Fett, Milchprodukte, Fleisch, Zucker usw. Beim Kauf musste der Kunde die entsprechende Marke abgeben. Der Händler durfte nur gegen Vorlage einer gültigen Karte verkaufen. Der Händler war verpflichtet, die eingetauschten Marken nach Produktgruppen sortiert zu sammeln und regelmäßig abzuliefern. In Köln war hierfür das städtische Ernährungsamt verantwortlich. Im Wert der abgegebenen Marken konnte der Händler dann neue Waren kaufen.
Nach einem sehr anstrengenden Arbeitstag mussten die gesammelten Lebensmittelmarken, nach Produktgruppen sortiert, auf Karten aufgeklebt werden. Jeden Wochentag geschah dies bis abends um 23 Uhr. Jeder war abgearbeitet, müde und hatte eigentlich keine Lust mehr hierfür. „Mit Speck fängt man Mäuse“ dachte sich meine Mutter. Sie offerierte zur Stärkung Kakao und Butterbrote mit Mainzer. Nach anfänglicher Skepsis wurde dieses ungewöhnliche Gedeck sehr beliebt.
Die Karten mussten dann nur noch einmal wöchentlich zur Bezirksregierung Köln in der Merlowstraße gebracht werden. Unsere Verkäuferin Annemie Vaas sagte meinem Vater, sie könne nicht Radfahren. Das war kein Argument, was zählte. „Dann musst du es eben lernen“. Es gab ja kaum Autoverkehr. Somit war der Weg von der Niehler Straße, rechts ab über die Kuenstraße und dann wieder rechts ab in die Verlängerung des Beuelsweges, der damals genau so hieß, verkehrstechnisch kein Problem. Weiter durch das Wäldchen am Fort X und vorbei am Eis- und Schwimmstadion und schon war man am Ziel, Merlostraße 1-3.
Mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 verloren viele Lebensmittelkarten ihre Gültigkeit. Die Warengruppen wurden nach und nach freigegeben. So die für Milchprodukte im Oktober 1948. Endlich, so mögen die Eltern und unsere Verkäuferin Annemie Vaas gedacht haben. Offiziell wurde die Lebensmittelkartenpflicht in Köln im Mai 1950 vollständig aufgehoben. Zeit für das kommende Wirtschaftswunder.
Herbert Meissner, Köln (Jahrgang 1948)

Einschulung in die Volksschule Weimarer Straße in Köln Höhenberg.
Copyright: Herbert Meissner
Einschulung März 1951 in die Volksschule Weimarer Straße in Köln Höhenberg. Wir sehen trotz der Häuser in Trümmern im Veedel eigentlich ganz hoffnungsvoll in Erwartung der Schulzeit aus. Die Ruinen im Hintergrund sind die Erfurter Straße. Wir sind um die vier bis acht Jahre alt auf den Fotos.

Straßen-Karneval in Höhenberg
Copyright: Herbert Meissner
Straßen-Karneval in Höhenberg auf der Olpener Straße 1953 mit einem sogenannten Zöchelche. So nannte man privat organisierte Musiktrupps mit zufällig gewürfelten „Jecken “, die fröhliche Lieder für alle anstimmten. Kinder marschieren begeistert mit.

Sonntagssspiel in Höhenberg
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Spielen am Sonntag auf der Fußball- „Tribüne" von Vingst 05 in Höhenberg an der Schwarzburger Straße um 1952. Der Platz ist trotz Zerstörung ein wunderbares Turnparadies. Spielplätze gab's ja noch nicht.
Dieter Paulus, Köln (Jahrgang 1940)
Meine Eltern hatten Ende 1945 eine Wohnung in Sülz/Klettenberg, in der Erpelerstraße 28 gefunden. Das Haus, Teil einer Häuserreihe, war weitgehend unbeschädigt, nur die Dachbedeckung, die Dachziegel, fehlten. Wir wohnten im ersten Stock, nur wenige der anderen Wohnungen waren zu dieser Zeit bewohnt. Mein Vetter Jürgen, fast gleichaltrig, der damals bei uns wohnte, und ich hatten schnell Anschluss gefunden an andere Kinder in der Straße und tobten durch Straßen, Gärten, unbeaufsichtigt und taten Dinge, die „Gott verboten hat“...
So zum Beispiel ging ich mit mehreren Spielkameraden in „unserem" Haus in das Dachgeschoss. Da die Dachziegel fehlten, konnten wir zwischen den Dachbalken nach außen, auf einen schmalen Vorsprung zwischen Dachbalken und Traufe gelangen und ohne jede Absicherung, zum Nachbarhaus und auch weiter, in andere Nachbarhäuser. Die Wohnungen in diesen Häusern waren unbewohnt, die Flurtüren zum Teil offen, so kamen wir in fremde Wohnungen. Staunend gingen wir durch die voll eingerichteten Zimmer Da kam uns eine Idee: Wir packten uns einige kleine Möbel und warfen sie vom Balkon in den Garten, wo sie krachend zersprangen. Was für ein Erlebnis! Niemand hielt uns auf, keine mahnende Stimme erhob sich. Nur eines Tages kam für mich der jähe Schock! Ich hatte in der Wohnung meiner Eltern, ohne nachzudenken, den Nähkasten vom Balkon geworfen! Ein gewaltiges Donnerwetter folgte.
Ein anderes Erlebnis führte bei mir zu schlaflosen Nächten und entsetzlichen Alpträumen: Wir Kinder fanden in der Häuserreihe eine offene Kellerluke und zwängten uns in den dahinterliegenden Kellerraum. Es war ein ehemaliges Büro der NSDAP, voller Möbel und voller Berge alter Propaganda-Schriften. Die warfen wir dann lustvoll durch den Raum, lärmten und tobten. Das lockte wohl einen Wachmann an, der sich der verschlossenen Eisentür mit schwerem, schlurfenden Schritt laut schimpfend von draußen näherte. Einen Moment waren wir Kinder starr vor Schrecken, dann begannen meine Kumpane, sich in fliegender Hast durch die Luke nach draußen zu drängen. Ich war der schwächste und damit der letzte in der kleinen Gruppe. Als ich dann durch die Luke drängte, stießen die anderen mich mit einem Holzbrett zurück. Vor Wut biss ich in das Brett, während sich der Schlüssel des Wachmanns schon quietschend im Schloss drehte... Mir sträubten sich die Haare vor Schreck! Dann kam der Mann, ein älterer Grauhaariger, laut schimpfend in den Raum, aber, oh Wunder, er tat mir nichts und ließ mich, ärgerlich brummend, davonrennen.
Ein skurriles Erlebnis war, wie ich einmal zum „Fringsen" kam: Wegen der allgemeinen Mangelsituation waren die Menschen ständig auf der Suche nach brauchbaren Gegenständen. In dem Zusammenhang waren einige Menschen gewaltsam in eine verschlossene Tiefgarage, ca. 100 Meter von „unserem" Haus entfernt, eingedrungen und hatten dort gelagerte Vorräte „gefringst". Als ich dazukam, war schon weitgehend alles abtransportiert. Ich konnte gerade eben noch zwei Papptafeln, sogenannte Aussteller, bestückt mit Päckchen von Trockenspiritus (Herdanzünder) ergattern und davontragen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was meine Eltern dazu gesagt haben.
Ein merkwürdiges Erlebnis war eines Tages der „Genuss" von Maisbrot: Die Versorgung mit Lebensmitteln hing zu der Zeit stark ab von Hilfslieferungen der amerikanischen Regierung. Die hatten wohl die Deutschen gefragt, was das so gemeinhin übliche Essen war, „Brot" war die Antwort. „Woraus gebacken?" – „Korn" (Weizenkorn), war die Antwort. Nun ist aber im Amerikanischen „corn" der Name für Mais! Also lieferten sie Mais. In der Not wurde das Brot dann aus grob gemahlenem Mais gebacken. Wir empfanden den Geschmack als äußerst seltsam, essbar, aber kaum genießbar.
Kürzlich kam ich auf die Idee, aus Nostalgie noch einmal in die Erpelerstraße zu gehen. Versunken stand ich vor dem Haus Nummer 28. Der Anblick war für mich bewegend, da die Fassade und der Vorgarten noch genauso wie früher aussahen. Ich ging dann zur Haustür, um die Klingelschilder zu lesen. Als ich dann vornüber geneigt vor der Tür stand, öffnete sie sich plötzlich, und eine ältere Frau erschien. Ich grüßte, sie blickte mich nachdenklich an und sagte dann: „Sie kenne ich!" Ich erstarrte, das kann doch nicht sein, mein Wohnen in dem Haus liegt 79 Jahre zurück!! Ich fragte verblüfft: „Woher kennen Sie mich denn?" Sie daraufhin: „Ihr Bild war mal im Stadt-Anzeiger (Rubrik unverlangt eingesandt). Sie war also nicht eine frühere Spielgefährtin von vor fast 80 Jahren...

