Knapp 17 Prozent aller Straftaten bei Fußballspielen von Vereinen der ersten bis vierten Liga passieren an Bahnhöfen und in den Zügen. Dass unbeteiligte Mitreisende sich unwohl fühlen, kommt häufiger vor.
Fußballfans im ZugDie Stimmung kann sehr schnell kippen

Ein Sonderzug mit Fußballfans aus Mönchengladbach wird am Bahnhof Köln-Ehrenfeld von Polizisten in Empfang genommen.
Copyright: Martina Goyert
Auf zwei Millionen Euro schätzt die Deutsche Bahn die Schäden, die jedes Jahr auflaufen, wenn Fußballfans bei der An- und Abreise zu den Spielen ihres Vereins kreuz und quer durch die Republik reisen. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Anhänger verhalte sich dabei gesittet, bei den Schäden handelt es sich vorwiegend um Schmierereien, zerstörte Sitze und eingetretene Scheiben, heißt es bei der Bahn.
Die subjektive Wahrnehmung von Reisenden, die auf dem Bahnsteig oder im Zug plötzlich damit konfrontiert sind, sieht anders aus. Vor allem an einem Spieltag zum Ende der Saison, wenn es um den Aufstieg geht und 15.000 Fans, viele davon mit dem Zug, den 1. FC Köln zum Auswärtsspiel nach Hannover begleiten.
Um es vorwegzunehmen: Im ICE 546, der von Berlin über Hannover am späten Sonntagnachmittag Richtung Köln fährt, kommt es zu keiner Randale. Wenn man von Grölereien, Pöbeleien und Verbalinjurien der untersten Kategorie mal absieht. Der Zug ist nur voll, übervoll mit enttäuschten FC-Fans, größtenteils alkoholisiert, um nicht zu sagen sturzbetrunken, deren Verhalten sich aus der Sicht von Reisenden, die aus dem Osterurlaub kommen, grenzwertig ist und eine Stimmung erzeugt, die jederzeit zu kippen droht. Einige empfinden die Lage als bedrohlich.
Alles zum Thema Polizei Köln
- „Ich hoffe, du hast gebetet“ Geiselopfer aus Kölner Villa schildert vor Gericht sein Martyrium
- Große Übersicht Hier können Sie im Rhein-Erft-Kreis einen Maibaum kaufen
- Fake-Überweisung per App Kölner (21) spricht von Notlage und zockt mehr als 200 Passanten ab
- Horrorfahrt nach Köln Taxifahrgast attackiert 79-jährigen Fahrer mit Reizgas und raubt ihn aus
- Angriff in Kölner Innenstadt 44-Jähriger nach Stich in den Hals in Lebensgefahr – Polizei sucht Zeugen
- Kölner Drogenkrieg Ermittlungsakte offenbart Rolle des mutmaßlichen Drogenbosses Sermat A.
- „Großes Problem für die Demokratie“ Wie Kölner Politiker mit Beleidigungen und Drohungen umgehen
Polizei nimmt den ICE aus Hannover in Duisburg in Empfang
Eine Zugbegleiterin, ganz offenbar mit ihren Nerven am Ende, ruft die Polizei, die den ICE in Duisburg in Empfang nimmt. Ein Arzt an Bord des Zuges kümmert sich um die Mitarbeiterin in der Bahn, die zwischenzeitlich völlig entkräftet zusammengeklappt ist.
Einsatzkräfte der Bundespolizei, die für die Sicherheit auf den Bahnhöfen zuständig sind, verstärkt durch Kräfte aus Duisburg, gehen durch den Zug, kontrollieren auf dem Bahnsteig und sorgen für ein wenig Beruhigung. Ob es Festnahmen oder Anzeigen gibt, ist nicht bekannt. Das Protokoll des Einsatzes liegt der Redaktion am Montagabend noch nicht vor.
Szenen wie diese gehören zum Alltag im Bahnbetrieb an den Wochenenden in Deutschland. Am Dortmunder Hauptbahnhof fliegt am Sonntag eine Bierflasche aus einem Sonderzug, mit dem Fans des VfL Osnabrück zum Auswärtsspiel bei Alemannia Aachen unterwegs sind. Sie zerbricht auf dem Bahnsteig. Zum Glück wird niemand verletzt. Der Verursacher kann nicht ermittelt werden. Der Zug fährt weiter. Der Dortmunder Polizei ist der Flaschenwurf aus diesem Grund nicht einmal eine Meldung wert. Die Frage stellt sich: An welchem Punkt wird die Schwelle zur Gewalt überschritten?
Knapp 14.000 Fans bundesweit sind laut Polizei gewaltbereit
Die Sicherheitslage im Fußball wird von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) jährlich sowohl bundesweit als auch für die Länder vorgelegt. In der Saison 2023/24 wurden 1150 Spiele von Vereinen der ersten bis dritten Liga und 1531 Partien in den fünf Regionalligen ausgewertet.
Allein zu den Begegnungen in den ersten drei Spielklassen kamen in allen Wettbewerben rund 28,6 Millionen Zuschauer, das ist ein Plus von 8,2 Prozent gegenüber der Saison 2022/23. Das gewaltbereite Potenzial der Anhänger schätzt die ZIS in ihrem Bericht auf 13.812 Personen. Insgesamt wurden bei den Polizeieinsätzen 1338 Menschen verletzt, davon 306 Polizeikräfte, Tendenz steigend.
Bei allen Spielen der Ligen 1 bis 3, im DFB-Pokal und bei internationalen Partien kam es zu 7351 Strafverfahren, die weitaus meisten im Umfeld der Stadien. Lediglich elf Prozent aller Straftaten in der Saison 2023/24 wurden bundesweit in den Bahnhöfen oder deren unmittelbarem Umfeld begangen. Weitere 5,6 Prozent der Vorfälle wurden bei der An- und Abreise in den Zügen gezählt.
Dabei fällt auf, dass die Fußballfans von Vereinen der zweiten und dritten Liga mit 6,7 und 6,8 Prozent während der Bahnfahrt deutlich mehr strafbare Handlungen begingen als Anhänger von Vereinen der Bundesliga. Dort waren es nur 3,7 Prozent. Die Zahlen für die laufende Saison werden erst nach dem letzten Spieltag zusammengefasst und veröffentlicht.
Einige krasse Fälle sind dennoch bekannt, beispielsweise der vom 26. Oktober 2024. An diesem Samstag sind 780 Fans von Rot-Weiß Essen mit einem Sonderzug unterwegs zum Auswärtsspiel in der Dritten Liga bei Hansa Rostock. Auf freier Strecke zwischen Gransee und Neustrelitz in Brandenburg wird der Zug durch eine Notbremsung gestoppt. 200 teilweise vermummte Täter bewerfen die Waggons mit Steinen, mehrere Scheiben gehen zu Bruch. Bei den Ermittlungen der Polizei werden fünf Monate nach dem Angriff Strafverfahren gegen 31 Verdächtige eingeleitet, bei Durchsuchungen zwei Kugelbomben und eine Übungsgranate sichergestellt. Nach dem Überfall hatten fünf Aufsichtsräte von Hansa Rostock ihren Rücktritt erklärt. Mit dem Angriff sei eine „rote Linie“ überschritten worden. Der Verein beteuerte, sich von den Vorfällen zu distanzieren. In der Vergangenheit waren Fans schon mehrfach negativ in die Schlagzeilen geraten.
Im Februar 2024 wurde für einen Lokführer die Fahrt mit dem RE1 der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH von Berlin nach Magdeburg zum Albtraum. Zwischen Potsdam und Werder an der Havel setzten aggressive Fahrgäste unentwegt Notrufe über die Notsprechanlage ab, die er nicht beantworten konnte, um die Zugfahrt nicht zu gefährden. Erst in Werder konnte die Bundespolizei einschreiten. Was von der Fahrt blieb: ein vollkommen demolierter Zug, mit Graffiti besprüht, Massen an Müll sowie Urin- und Bierlachen.