Eine Nachfolge ist bereits in Sicht. Am Donnerstag hat die Kneipe den Geburtstag mit einem Konzert von Kempes Finest gefeiert.
„Das hat den Karneval hier kaputt gemacht“Wirt gibt Kultkneipe im Kwartier Latäng nach 50 Jahren ab

Lutz Nagrotzki in der Piranha Bar an der Kyffhäuser Straße. Der Wirt übergibt das Lokal zum 1. Januar 2026.
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Man könnte meinen, es sei richtig und gut, sich mit 65 Jahren zur Ruhe zu setzen. Lutz Nagrotzki kann über diese Feststellung aber nur laut lachen, schließlich hat der Wirt Anfang des Jahres zusätzlich zu seiner Kultkneipe „Piranha Bar“ an der Kyffhäuser Straße das Brauhaus „Zimmermanns“ in Bickendorf übernommen. Seitdem managt er zwei Läden, die Rente scheint damit weit weg. „Man muss ehrlich sein, Corona hat viel kaputt gemacht und viele Ersparnisse sind draufgegangen, sonst hätte es vielleicht funktioniert“, sagt Nagrotzki und holt ein Fotoalbum mit historischen Bildern der Kneipe hervor.
Aber was auch stimme: „Als ich während Corona nichts machen durfte, hat mich das gequält. Es war schwierig.“ Zu viel ist ihm das Hin und Her zwischen beiden Lokalen dennoch geworden. Zum Jahresende gibt er das Lokal ab. Er sei im Reinen mit sich, wirkt gelöst, „es fällt mir leichter als ich dachte“, so der Wirt. Vielleicht, weil die Kneipe anders als mit dem Eigentümerwechsel zunächst befürchtet, als eine der wenigen Bastionen kölscher Live-Musik erhalten bleiben soll. Die Bar wird ab dem 1. Januar unter demselben Namen weitergeführt. Einige Mitglieder und Mitstreiter von „Loss mer Singe“ wollen die Kneipe übernehmen. Derzeit wird mit dem Hauseigentümer über den Mietvertrag verhandelt. Das Piranha könnte so zu einem Stammlokal von Fans der Mitsinginitiative werden.

Die Piranha Bar soll auch nach Betreiberwechsel so heißen, aber erstmal ein wenig renoviert werden.
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Nagrotzki fing mit 20 Jahren als Kellner in der Piranha Bar an
Nagrotzki war 45 Jahre Teil der Piranha-Ära, 12 Jahre als Kellner, drei als Partner und 30 als Chef. Kontakt zu den ehemaligen Besitzern Wolfgang Papperitz und seiner Frau, der ehemaligen Sportschau-Moderatorin Doris, hat er immer noch. Der Wirt zeigt auf die Bilder: der Laden als Baustelle im Jahr 1975. Später ein Banner entlang der Fensterfront: „Jazz. Traditional Dixieland, Piranha-Pub.“ Auf den Markisen vor dem Laden prangt „Ganser Alt“. „Das war früher normal, dass Kölschbrauereien auch Pils und Alt produziert haben.“ Auch heute fließt vor allem Bier in die Gläser. Schnickschnack bietet die Karte nicht. Der selbstgemachte Mexikaner laufe noch gut, doch ansonsten „gehen die Schnäpse den Bach runter“.
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Nächstes Foto: ein Klavier in der Ecke, ein Holzpodest, wo auch heute noch die Bühne für Konzerte aufgebaut wird. Ein junger Mann mit Gitarre. Live-Musik ist die DNA des Ladens. Die jungen Bläck Fööss spielten hier regelmäßig. In den 90ern kamen Brings dazu. Heute kleben die Konterfeis von Brings, Kasalla und Miljö an den Fenstern, mit den Bands ist Nagrotzki zum Teil befreundet. Die Paveier geben seit über 15 Jahren jährlich ein Konzert. „Damals noch mit Micky Brühl und der sagte zum Schluss immer: Egal, wie lange du das hier machst oder wo, wir kommen wieder.“

Hier spielten Mitglieder der Wilhelm Brause Dixieband. Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahren waren auch die Bläck Fööss öfters zu Gast, erzählt Nagrotzki.
Copyright: Nagrotzki
Nagrotzki war 18 Jahre alt, als er das Piranha erstmals betrat. Er fing zunächst als Kellner in der Nachbarschaft an, wechselte später hierhin. Die Sorgen hatten ihn dazu getrieben, denn er musste sein Azubi-Gehalt aufbessern. Gelernt hat er Garten- und Landschaftsbau. Seine Mutter war gerade gestorben. „Mein Vater war schon seit Jahren tot, ich wurde also Vollwaise.“ Noch bis zur Übernahme hatte er zwei Jobs, tagsüber das Grüne, abends die Theke. Nagrotzki erinnert sich an ein quirliges Studentenviertel, das auch damals schon in Verruf geriet. Es gab eine Zeit, da hatten die Drogendealer die Kyffhäuser eingenommen, Läden mussten schließen und ständig sei man angequatscht worden. Das verschreckte die Gäste.
Derweil reihte sich auf der Zülpicher Straße Kneipe an Kneipe, die zunächst den Cocktailbars und die mittlerweile größtenteils den Imbissen gewichen sind. Im Kwartier Latäng herrschte schon morgens Betrieb, im Piranha konnte man ab zehn Uhr frühstücken. Das lohne sich aber schon lang nicht mehr. „Der Laden lief vor allem in der Woche gut. Hier war das einzige Viertel für junge Leute, in Ehrenfeld gab es damals nur Veedelskneipen mit Rentnern. Tatsächlich war es am Wochenende dann leerer als heute, weil die Studenten nach Hause fuhren“, so Nagrotzki.
Im Laden lösten kölsche Musik und Rock den Jazz ab. Die CDs, die hinter der Theke gestapelt sind, versprühen Retro-Charme. „Ich nutze die immer noch. Zwischen ‚Highway to hell‘ und anderen Rocksongs lief auch immer ‚En unserem Veedel‘“. Nächstes Foto: kostümierte Menschen, darunter ein Weihnachtsmann, ein Cowboy und ein Mönch. Nagrotzki ist Vollblut-Karnevalist. Zwischen Theke, Bühne und Verein bewegt er sich bis heute nonchalant. An den tollen Tagen selbst ist seit Jahren allerdings tote Hose im Ecklokal. Das städtische Absperrkonzept, das die Massen am Sessionsauftakt und an Weiberfastnacht in Schach halten soll, lässt die Kyffhäuser Straße außen vor.

Fußballverrückt und jeck: Lutz Nagrotzki verkörpert das kölsche Jeföhl.
Copyright: Michael Bause
Als eine Kolonne Mannschaftswagen mal zur Piranha Bar kam
Stammgäste kommen trotz Absprachen mit der Stadt nicht durch und versuchen es mittlerweile gar nicht mehr. „Das hat den Karneval hier kaputt gemacht.“ Wer das kölsche Jeföhl dennoch erleben will, kommt, wenn der FC spielt. Der Wirt ist fußballverrückt und eingefleischter Fan, seine Brille hat ein FC-Köln-Gestell. Als der Sky-Vorgänger Premiere sein Abogeschäft Anfang der 90er-Jahre startete, machte Nagrotzki direkt mit. Bis heute übernimmt er die Thekenschicht selbst, wenn der FC spielt. Das schätzen die Stammgäste und kommen extra für ihren Lieblingswirt.
Der hat das Lokal in den Jahrzehnten so erhalten, wie es war. Dass hier mal der Schweiß die Wand herunterlief und bis in die Nacht geraucht wurde, kann man noch förmlich erahnen. Eine meterdicke Dämmung an der Decke hat ihm eine friedliche Koexistenz mit den Nachbarn im Gebäude ermöglicht. Einmal wurde es aber doch so laut, dass plötzlich eine Kolonne Mannschaftswagen der Polizei vor der Tür stand. „Die fuhren bis hier auf die Terrasse. Kripo-Leute, die hier als Gäste waren, haben geschlichtet, da ich aufgebracht war“, so Nagrotzki. Sonst sei es immer friedlich verlaufen. „Highlights gab es sehr viele. Dass das so eingeschlagen hat mit der ganzen Musik in diesem kleinen Pissladen, dass hier so viele gerne gespielt haben und immer noch tun, ist großartig.“
Die Piranha Bar feiert mit einem Konzert von Kempes Finest am Donnerstag, 11. September um 20 Uhr, Karten kosten 20 Euro. Am Sonntag, 21. September findet das kölsche Konzert von Drei Ahle, ne Kerk und en Baend im Rahmen des 9. Krätzjer-Fests statt, Karten für 18 Euro unter krätzjefest.ticket.io