Dass CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag eine „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“ ausrufen, könnte bei der Finanzierung des Krisenzentrums in Merheim helfen.
40 Millionen Euro benötigtKölner Krisenzentrum soll Platz für 600 Betten bieten

Auf dieser Wiese vor dem Krankenhaus Merheim sollen die neuen Gebäude der Kliniken Köln entstehen – und darunter eine Tiefgarage, die im Notfall schnell in ein Krisenzentrum umgewandelt werden kann.
Copyright: Alexander Schwaiger
Für das, was Katja Scholtes beschreibt, gibt es aktuell filmisches Anschauungsmaterial. Im Staffelfinale der Krankenhausserie Krank Berlin bei Apple TV fordert ein Massenanfall von Verletzten – so nennen es Mediziner, wenn viele Verletzte auf einmal kommen – durch einen Großbrand das Personal einer Klinik aufs Äußerste. Die Notaufnahme ist restlos überfüllt. Eine Patientin stirbt in dem Tumult, ohne dass es jemand mitbekommt. Chaos, Blut und Panik bestimmen die Szenerie.
Eine solche Situation hat die Kölner Notfallmedizinerin Scholtes vor Augen, wenn sie über das in Merheim geplante Krisenzentrum in einer Tiefgarage spricht. Die Klinik-Geschäftsführer Axel Goßmann und Daniel Dellmann hatten diese Pläne im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ publik gemacht. Wo im Alltag auf zwei unterirdischen Etagen Autos stehen, soll im Fall der Fälle Platz für rund 600 zusätzliche Patienten sein. 1000 Betten soll es am neuen Gesundheitscampus Merheim regulär geben. 40 Millionen Euro bräuchten die Kliniken der Stadt Köln für das Projekt. Bis Ende des Jahres müsste die Finanzierung stehen, denn im Sommer 2026 sollen die ersten Bagger anrollen.
Auf zwei unterirdischen Etagen soll Platz für 600 zusätzliche Betten sein
Katja Scholtes hat in ihrer langen Karriere mehr als 8000 Einsätze im Notarzteinsatzfahrzeug absolviert und als Chefärztin mehrere Notaufnahmen in Deutschland aufgebaut. Die Sorge vor Krisensituationen treibt sie schon lange um – und aktuell mehr denn je. Deshalb plant sie jetzt als medizinische Projektleiterin gemeinsam mit dem Architekten Christian Förster und zehn Mitarbeitenden den neuen Merheimer Gesundheitscampus. Hier sollen bis 2031 die drei Kliniken der Stadt, die Krankenhäuser Merheim und Holweide sowie die Kinderklinik Amsterdamer Straße, zusammengelegt werden. Das Land NRW fördert diese Konzentration der Kräfte mit 250 Millionen Euro.
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Um alles am Standort Merheim unterbringen zu können, wird neben dem jetzigen großen Klinik-Haupthaus ein Neubau entstehen. Und Scholtes großer Traum ist es, dort auch eine Tiefgarage nach israelischem Vorbild zu bauen, die im Notfall innerhalb kurzer Zeit in ein Krisenzentrum umgewandelt werden kann. Damit ein Massenanfall an Verletzten das Krankenhaus nicht wie bei Krank Berlin ins totale Chaos stürzt, sondern genug Platz, medizinische Kapazitäten und Knowhow für die geordnete Rettung von Menschenleben zur Verfügung stehen.

Katja Scholtes von den Kliniken der Stadt Köln erklärt im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger ihr Herzensprojekt: Eine Kliniktiefgarage, die in ein Notfallzentrum umgewandelt werden kann.
Copyright: Alexander Schwaiger
Solche Krisen seien wahrscheinlicher geworden, auch in Deutschland, sagen viele Experten. Sie drohen uns in Form neuer Gesundheitsgefahren wie der Corona-Pandemie, durch Terroranschläge, durch Naturkatastrophen wie an der Ahr, die der Klimawandel vermehrt mit sich bringt. Dazu kommt eine neue Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen auf Nato-Gebiet, wie wir sie bis zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lange nicht mehr kannten.
„Wir sind 80 Jahre ohne Krieg ausgekommen, aber die Bedrohungslage wird leider immer größer“, sagt Scholtes: „Wir müssen uns der Sache stellen, wir können nicht einfach die Augen zu machen und den Kopf in den Sand stecken.“ Natürlich müsse das jeder Einzelne erstmal begreifen, „wir sind ja in Friedenszeiten aufgewachsen, wir waren immer so sicher, dass uns Krieg nie passieren wird“. Das hat sich geändert. Und deshalb müsse die Kritische Infrastruktur im Land, kurz Kritis genannt, entsprechend angepasst werden.
CDU und SPD nehmen sich eine Stärkung des Zivilschutzes vor
Im neuen Koalitionsvertrag von CDU und SPD hat man sich auf eine Stärkung des Zivilschutzes geeinigt. So heißt es an einer Stelle des 146 Seiten starken Vertrags: „Wir begegnen den multiplen Bedrohungen von außen und im Innern mit einer Zeitenwende in der Inneren Sicherheit. Mit gestärkten Sicherheits-, Zivil- und Katastrophenschutzbehörden, zeitgemäßen digitalen Befugnissen, neuen Fähigkeiten und ausreichend Personal starten wir eine Sicherheitsoffensive und nutzen dabei auch die neuen Finanzierungsinstrumente zugunsten von Bund und Ländern.“
Katja Scholtes hat schon 2014 mit einigen Mitstreitern die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung (Dakep) mit Sitz in Köln gegründet. „Wir hier in Merheim sind die Keimzelle dieser Fachgesellschaft und wir arbeiten eng mit dem BBK zusammen, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz“, sagt sie nicht ohne Stolz. Für sie ist es daher eine logische Entwicklung, dass in Merheim nun möglicherweise eine medizinische Notfall-Infrastruktur entsteht, wie es sie deutschlandweit noch nicht gibt.
Scholtes arbeitete im Klinikum in Aachen als Anästhesistin, als es dort 1991 im Rahmen von Sanierungsarbeiten zu einem schweren Brand kam. „Aus einem der Aufzüge in den Türmen schoss das Feuer, wir standen im OP, der Strom fiel aus und es gab mehr oder weniger keinen Plan“, erzählt sie. Am Ende ging alles gut aus, aber Scholtes war nachhaltig beeindruckt und begann ein berufsbegleitendes Katastrophenmanagement-Studium. In Merheim leitete sie von 2016 bis 2019 die Notaufnahme und baute anschließend die neue Abteilung Krankenhaus Alarm- und Einsatzplanung auf.
Kölner Lungenspezialist fordert ein Gesundheitssicherstellungsgesetz
Für das geplante Krisenzentrum in der Tiefgarage in Merheim gebe es noch keinen Architektenplan, sagt Scholtes. Erst müsse die Finanzierung geklärt sein: „Es wird aktuell viel über einen verbesserten Bevölkerungsschutz geredet, dass wir uns vorbereiten müssen, etwa auf einen Nato-Bündnisfall, aber es gibt noch keinen Topf mit Geld.“ Aus dem NRW-Gesundheits- und Innenministerium waren auch auf Nachfrage keine Stellungnahmen zu dem geplanten Projekt zu bekommen. Bevor der neue Koalitionsvertrag nicht endgültig steht, wagt sich offenbar niemand aus der Deckung.
Christian Karagiannidis, in Merheim Leiter der Lungenintensivstation, hat die letzte Bundesregierung in Gesundheitsfragen beraten. Er sagt in Richtung der neuen Regierung: „Wir bräuchten jetzt schnell ein Gesundheitssicherstellungsgesetz, dass in Zeiten von Krisen und Krieg große Notfallkrankenhäuser zum Teil des Zivilschutzes werden lässt.“ Deutschland müsse im Bündnisfall viele Verletzte versorgen können, das sei eine Forderung der Nato: „Die dazu erforderlichen Um- und Ausbauten, Alarmpläne und Übungen sollten dann entsprechend finanziert werden. Hierzu gehört auch so etwas wie neue unterirdische Krankenhausteile in Merheim.“
Katja Scholtes würde gern nach Israel reisen, dort gibt es unterirdische Krisenzentren, wie sie sich das vorstellt. Aber die aktuelle Lage vor Ort lässt das im Moment nicht zu. Dafür war sie in Zürich, dort gibt es neben dem Universitätsspital ein unterirdisches Areal, das zum Klinikbereich umfunktioniert werden kann. Ein Bunker sei das nicht, soll es auch in Merheim nicht werden, das würde den Kostenrahmen nochmal deutlich erhöhen. „Wir wollen einen Bereich zur Behandlung von vielen, vielen Patienten schaffen“, sagt Scholtes. Denn bei einem Massenanfall von Verletzten kämen ja nicht nur Intensivpatienten, sondern auch Menschen mit Knochenbrüchen und leichteren Verletzungen. „Man braucht auch ein Riesenareal, in dem Menschen untergebracht werden können, die zwar verletzt, aber von der Priorität her nachrangig sind“, sagt Scholtes.
Im Kriegsfall, wenn die Stadt bombardiert würde, bräuchte man auch Platz für Patienten aus dem oberirdischen Teil des Krankenhauses. „Das Schlimme ist ja, dass heute bei der Kriegsführung das humanitäre Völkerrecht oft nicht mehr beachtet wird“, sagt Scholtes. „Die aktuellen kriegerischen Ereignisse zeigen, dass zunehmend gezielt Krankenhäuser angegriffen werden.“ Auf eine große weiße Plane mit einem roten Kreuz darauf auf dem Dach würde sie daher verzichten. Lieber wäre der Notärztin ein Krisenzentrum unter der Erde.