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Schlimme ZuständeProzess um Kölner Problemplatz – Mann an KVB-Zugang fast verblutet

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Die Polizei kontrolliert mehrfach täglich mutmaßliche Mitglieder der Kölner Drogenszene im Bereich des Neumarkts.

Die Polizei kontrolliert mehrfach täglich mutmaßliche Mitglieder der Kölner Drogenszene im Bereich des Neumarkts.

Mit den Auswirkungen der Drogenszene am Neumarkt muss sich nun erneut das Kölner Landgericht beschäftigen. Anwohner und Geschäftsleute sind verzweifelt.

Ein Streit unter Drogenabhängigen am Josef-Haubrich-Hof endete beinahe tödlich: Ein Mann wurde mit einem Messer schwer am Hals verletzt, nur durch Zufall überlebte er. Der Fall, der derzeit vor dem Kölner Landgericht verhandelt wird, wirft erneut ein Schlaglicht auf die Zustände an einem der Brennpunkte der Kölner Drogenszene – in unmittelbarer Nähe zum Neumarkt. Der Richter nannte den Platz hinter der Volkshochschule „einen der bekanntesten Hotspots für Heroin und Kokain in Köln“.

Köln: Mann auf Josef-Haubrich-Hof in den Hals gestochen

Im aktuellen Fall wirft die Kölner Staatsanwaltschaft dem 32-jährigen Angeklagten versuchten Totschlag vor. Er soll sich im vergangenen Mai in ein Streitgespräch zweier Männer über ein Drogengeschäft eingemischt haben. Im Verlauf der Auseinandersetzung soll der Beschuldigte ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von fünfeinhalb Zentimetern gezogen und seinem Kontrahenten in den Hals gestochen haben. Das Blut schoss aus einer Vene, heißt es in der Anklageschrift.

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Mario Geuenich beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Mario Geuenich beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Das Opfer habe sich noch bis zum Treppenabgang zur Neumarkt-Passage an der Cäcilienstraße geschleppt, sei dort zusammengebrochen. Der Messerangreifer habe erkannt, dass sein Opfer ohne Rettungsmaßnahmen sterben würde. „Doch es war ihm gleichgültig, ob er überlebt“, so die Staatsanwältin. Der Schwerverletzte kam in die Uniklinik, überlebte nach einer Not-Operation. Wenige Tage später wurde der Angreifer von der Polizei aufgespürt und verhaftet.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

Der Angeklagte schilderte, vor dem Krieg in Syrien in die Türkei geflüchtet zu sein. Dort habe er eine Familie gegründet, sein Sohn ist heute acht, seine Tochter neun Jahre alt. Er habe in Ankara als Automechaniker gearbeitet. Und schon lange ein Problem mit Drogen gehabt. Dann sei er in der Türkei verhaftet worden – angeblich auch, weil die Behörden ihn für einen „PKK-Terroristen“ gehalten hätten. Nach mehreren Jahren Haft sei er entlassen worden und allein nach Deutschland geflüchtet.

Köln: Opfer konnte sich im Zeugenstand nicht mehr erinnern

Zunächst habe er noch Kontakt zu seinem Bruder in Soest gehabt – zuletzt aber auf der Straße in Köln gelebt. „Ich habe 24 Stunden am Neumarkt rumgehangen“, sagte der 32-Jährige. Von einem Großdealer habe er immer etwa 20 Gramm Kokain bekommen: „15 Gramm habe ich verkauft, den Rest durfte ich behalten.“ Ähnlich sei es mit Heroin gelaufen. Zu den Tatvorwürfen ließ er über seinen Verteidiger Mario Geuenich erklären, er habe sich lediglich gewehrt und niemanden töten wollen.

Das Opfer konnte zur Aufklärung des Falls keinen Beitrag leisten. „Ich erinnere mich nicht“, sagte der 45-Jährige. Auch nicht daran, warum er sich als langjähriger Drogenabhängiger am Tattag in dem Bereich aufgehalten habe. „Wenn ich höre, dass sie dann zum Neumarkt gehen, dann könnte man annehmen, dass sie da Drogen kaufen wollen, gerade am Josef-Haubrich-Hof“, sagte der Vorsitzende Richter Peter Koerfers. „Kann sein“, räumte der Mann später ein und zuckte dazu mit den Schultern. Der Prozess wird mit weiteren Zeugen fortgesetzt.

Der Josef-Haubrich-Hof gilt bereits seit längerer Zeit als Kölner Problemplatz. Dealer und Kunden versammeln sich hier in Scharen, Junkies setzen sich vor den Augen von Passanten ihre Spritzen und rauchen Crack – etwa auf dem Treppenabgang zur U-Bahn. Erst kürzlich hatte ein Polizist bei einem anderen Verfahren im Landgericht ausgesagt, Personengruppen auf dem berüchtigten Platz mit seinen Kollegen mehrfach täglich zu kontrollieren. Oft stellten sie kleine Mengen Drogen sicher.

Köln: Betreiber der Puszta Hütte zeigten sich verzweifelt

Anwohner und Geschäftsleute zeigen sich ob der Zustände in diesem Bereich verzweifelt. Jüngst äußerten die Betreiber der bekannten Puszta Hütte, fast jeden Tag die Polizei rufen zu müssen, da aggressive und unberechenbare Junkies sie belästigten. Es sei im Laufe der Zeit immer schlimmer geworden. Früher hätten Drogenabhängige noch Respekt gezeigt und seien auf Aufforderung auch gegangen. Eine Mitarbeiterin habe bereits gekündigt – aus Angst, abends nach Hause zu gehen.

Die Politik diskutiert seit Jahren, wie man die Situation am Neumarkt verbessern kann. Im September beschloss der Rat, eine Brachfläche am Polizeipräsidium in Kalk als möglichen Standort für ein neues Drogenhilfszentrum prüfen zu lassen. Dafür sprach sich auch Polizeipräsident Johannes Hermanns aus und warnte davor, ein neues Angebot in der Innenstadt anzusiedeln. Der Neumarkt sei bundesweit als Drogenumschlagplatz bekannt, und ein Hilfszentrum dort würde die Szene weiter verfestigen.

CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau sprach vom Ziel, den Drogenhotspot am Neumarkt komplett aufzulösen und das Zürcher Modell in Kalk umzusetzen. Das steht für eine pragmatische Drogenpolitik. In Hilfszentren in Zürich erhalten Abhängige medizinische und soziale Betreuung und können unter sicheren Bedingungen konsumieren. In den Einrichtungen wird auch der kontrollierte Kleinhandel toleriert, um die Szene von der Straße zu holen und den Schwarzmarkt einzudämmen.