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Reue, Stimmen und ein WendepunktAcht Jahre Haft nach drei Raubüberfällen auf Juwelier in Weidenpesch

Lesezeit 4 Minuten
Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Lars Leininger beim Prozessauftakt im Landgericht Köln

Der Angeklagte mit seinem Verteidiger Lars Leininger beim Prozessauftakt Anfang Juli im Landgericht Köln

Der Angeklagte, der zwischen 2007 und 2011 drei Raubüberfälle beging, legte ein umfassendes Geständnis ab. Aber: „Vieles bleibt im Dunklen.“

Wegen Raubüberfällen auf ein Juweliergeschäft in Weidenpesch hat das Kölner Landgericht am Mittwoch einen 52-jährigen Mann aus den Niederlanden zu acht Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Ohne das umfassende Geständnis des Angeklagten wäre es selbst dann nicht möglich gewesen, die lange zurückliegenden Taten aufzuklären, wenn die Fälle in der Fahndungssendung „Aktenzeichen XY … Ungelöst“ thematisiert worden wären, sagte Alexander Linke, Vorsitzender der 10. Großen Strafkammer.

Das Gericht geht von folgenden Feststellungen aus: Unter dem Druck finanzieller Probleme entschloss sich der Mann 2007 zum ersten Überfall. Nachdem er die Örtlichkeit ausgekundschaftet hatte, parkte er am Abend des 29. November seinen Wagen, an dem er gestohlenen Kennzeichen angebracht hatte, in der Nähe des Geschäfts. Bevor er dort klingelte, vergewisserte er sich, dass keine Kunden anwesend waren. Als er eingelassen wurde, blockierte er die Tür, damit der Fluchtweg offen blieb. Eine Mitarbeiterin kam aus der Werkstatt. Um sie einzuschüchtern, gab er mit einer Pistole in Richtung der Verkaufstheke einen Schuss in die Decke ab. Die Frau wich zurück und versteckte sich mit Kollegen. Der Täter schoss die Schaufenstervitrinen auf und erbeutete Uhren im Gesamtwert von rund 50.000 Euro. Unerkannt flüchtete er zurück in die Niederlande. Im belgischen Antwerpen verkaufte er die Uhren für 30 Prozent ihres Werts.

Angeschossene Zeugin behält große Narbe

Etwa drei Jahre später, am 27. Dezember 2010, überfiel er das Geschäft erneut und ging dabei wie beim ersten Mal vor. Die Pistole setzte er aber nur dazu ein, die Vitrine aufzuschießen. Eine Mitarbeiterin, die er nicht bemerkte, kam mit dem Schrecken davon. Er brachte wertvolle Uhren an sich, die zusammen rund 44.000 Euro kosteten. Der dritte Überfall ereignete sich am Vormittag des 13. Mai 2011. Diesmal hatte sich der Mann maskiert, trug eine orangefarbene Warnweste und einen weißen Helm, um den Eindruck zu erwecken, er sei ein Bauarbeiter. Eine Mitarbeiterin, die in den Verkaufsraum wollte, sah seine Pistole und zog sich sofort zurück. Mit Schüssen öffnete er die Schaufenstervitrinen und erbeutete Uhren und Schmuckanhänger, die zusammen etwa 35.000 Euro wert waren.

Die Tat verfolgt sie bis zum heutigen Tag
Vorsitzender über Opfer

Kaum hatte er das Geschäft verlassen, stellte sich ihm eine Passantin in den Weg und hielt ihn fest. Er schoss ihr in den linken Oberschenkel. Zwei weitere Zeugen verfolgten ihn und warfen ihm Metallgegenstände hinterher, doch er entkam. Wie bei den vorherigen Taten veräußerte er die Beute in Antwerpen und bekam 30 Prozent des Werts. Die angeschossene Zeugin wurde zwar nicht lebensgefährlich verletzt, behielt nach der Operation aber eine große Narbe zurück. „Die Tat verfolgt sie bis zum heutigen Tag“, betonte der Vorsitzende.

Im zweiten Fall stellte das Gericht das Verfahren ein. Dass der Angeklagte eine Pistole bei sich hatte, reiche nicht aus für die Annahme, er habe sie als „Drohmittel“ eingesetzt, sagte Linke. Die Tat sei als „Diebstahl mit Waffen“ einzustufen und deshalb verjährt.

Wendepunkt mit Geständnis bei niederländischer Polizei

Zur Person des Angeklagten merkte der Vorsitzende Richter an, er sei „ein Mann mit vielen Geheimnissen“ und habe in der Verhandlung nur einen Teil von sich preisgegeben. „Vieles bleibt im Dunklen.“ In Estland geboren und vaterlos aufgewachsen, habe der 52-Jährige keinen Beruf erlernt. „Illegale Tätigkeiten“ hätten sich „wie ein roter Faden“ durch sein gesamtes Leben gezogen. Treffen dessen Angaben zu, kam er 1997 in die Bundesrepublik, wo er sich seinen Lebensunterhalt als Schuldeneintreiber verdiente. 1999 verließ er das Land; zuletzt lebte er an der niederländischen Küste. Er hat eine Frau und eine erwachsene Tochter.

2018 kam der Angeklagte nach den Worten von Linke an einen „Wendepunkt“: Er habe beschlossen, sein Leben zu ändern, und es darauf angelegt, festgenommen zu werden. So geschah es. Bei der Polizei gestand er, Anfang der 2000er Jahre jemanden getötet zu haben. Dafür wurde er in den Niederlanden zu einer 16-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Gefängnis will er, so gab es der Vorsitzende wieder,  „Stimmen im Kopf“ gehört haben, Stimmen, die ihn dazu gedrängt hätten, auch die Überfälle in Deutschland zu gestehen. Vor allem habe ihn die Reue darüber getrieben, bei der dritten Tat auf die Passantin geschossen zu haben.