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„Bei der Performance darf es nicht bleiben“Warum dauern Kölner Bauprojekte so oft länger und kosten mehr?

Lesezeit 6 Minuten
Die Bühnen-Baustelle am Offenbachplatz.

Die Bühnen-Baustelle am Offenbachplatz

Die Kostenexplosion bei der Sanierung der Mülheimer Brücke hat viel Aufregung verursacht. Aber warum werden städtische Bauprojekte so oft teurer?

Die Menschen sind viel gewohnt in einer Stadt, in der die Sanierung der vier städtischen Bühnen statt 253 Millionen Euro nun 798,6 Millionen Euro kosten soll. Stand jetzt. Und dabei handelt es sich nur um die reinen Planungs- und Baukosten, inklusive der Kosten für die Ausweichspielstätten und die Finanzierung sind es rund 1,5 Milliarden Euro.

Trotz dieser horrenden Summen hat Mitte Juni die Nachricht von der nächsten Kostensteigerung für die Sanierung der Mülheimer Brücke Aufsehen verursacht. Statt 301,5 Millionen Euros soll die Reparatur 498,2 Millionen Euro kosten – doch schon jetzt ist laut Verwaltung klar, dass dieser 200-Millionen-Euro-Aufschlag nicht ausreicht. Als der Rat den sogenannten Baubeschluss verabschiedete, ging die Stadt sogar nur von 116,3 Millionen Euro aus. 2029 soll die Sanierung nach elf Jahren beendet sein.

Reker-Kritik an Bauprojekten

Und es bleibt angesichts dieser wiederkehrenden Nachrichten die Frage: Kann diese Stadt es nicht besser? Warum passiert das immer wieder, wie unsere Auswahl von fünf der größten Kölner Bauprojekte zeigt? Und warum in diesem Ausmaß?

Alles zum Thema Henriette Reker

Die Baustelle der Mülheimer Brücke.

Die Baustelle der Mülheimer Brücke

Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) hatte schon 2017 gesagt: „Die größte Herausforderung derzeit ist das Bauen – bei der Performance der Stadtverwaltung in diesem Zusammenhang darf es nicht bleiben.“ Und in Richtung Stadtrat: „Ich habe Verständnis dafür, dass Sie der Verwaltung bei Bauprojekten keinen Vertrauensvorschuss mehr geben.“

Was heißt das für das Vertrauen der Bürger?

Damals ging es um die Sanierung des Römisch-Germanischen Museums. Eine Sanierung übrigens, die nach aktuellem Stand 2029 beendet sein soll. Nach der Schließung Ende 2018 hatte es lange Jahre gedauert, bis die Sanierung überhaupt begann. Erstens war das Interim im rund ein Kilometer entfernten Belgischen Haus nach der Schließung nicht direkt fertig. Und zweitens war kein Depot für all die Exponate gefunden – obwohl seit Jahren klar war, dass das RGM saniert wird.

Seitdem hat sich nicht viel geändert: Viele Bauprojekte dauern länger und kosten mehr, nachdem der Stadtrat ihren Bau beschlossen hat. Und das hat Folgen. Das bestätigt die Verwaltung selbst.

Auf die Frage, was Kostensteigerungen für das Vertrauen der Bürger in die Stadtverwaltung bedeuten, antwortet sie: „Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Staat zu Recht Verlässlichkeit. Dazu gehört auch, dass die Kommune Bauvorhaben planmäßig umsetzt.“

Reker setzt Begleitgremium ein

Deshalb will Reker laut Stadt ein Begleitgremium einsetzen, weil es nicht wie erwünscht läuft: „Um hierbei Optimierungspotenziale zu heben und einen noch stärkeren Fokus auf ein professionelles Projektmanagement zu legen, hat Oberbürgermeisterin Henriette Reker beauftragt, das bereits bestehende gesamtstädtische Bauinvestitionscontrolling durch ein verwaltungsinternes Begleitgremium zu verstärken, das sich insbesondere intensiv vor Projektbeginn, aber auch während der Laufzeit mit den Lebenszykluskosten und der Zeitplanung beschäftigt.“ Ob es an den Problemen tatsächlich etwas ändert, bleibt abzuwarten.

Der Neubau der Heliosschule.

Der Neubau der Heliosschule in Ehrenfeld

Schon vor drei Jahren hatte die Verwaltung zur denkmalgeschützten Mülheimer Brücke mitgeteilt: „Das Beispiel zeigt, dass bereits im Zuge der Planung noch umfangreichere Bestandsanalysen als bisher durchgeführt werden müssen, um realistischere Baukosten und Bauzeiten angeben zu können. Dieses Prinzip wird die Verwaltung in Zukunft verfolgen.“

Kein Problem der Stadt Köln alleine

Die neue Kostenexplosion auf knapp eine halbe Milliarde Euro stützt diese Aussage. Die Verwaltung wird sich bei den nächsten Sanierungen der Brücken und weiteren Bauvorhaben angesichts dieser Aussage daran messen lassen müssen.

Die Stadt selbst weist häufig darauf hin, dass Bauprojekte je nach Planungsfortschritt logischerweise mehr kosten: Zunächst verabschiedet der Stadtrat auf Vorschlag der Verwaltung eine vergleichsweise kleine Summe, damit ein Team ein Bauvorhaben erstmal planen darf. Die zugrunde liegende Gesamtsumme für das komplette Projekt ist in diesem Moment eine reine Schätzung. Erst mit weitergehender Planung nähert sich die Verwaltung einem aussagekräftigeren Wert über die Gesamtkosten.

Wichtig ist der Tag des Baubeschlusses durch den Stadtrat: Dann ist fix, dass das Projekt umgesetzt wird – inklusive neuer Kostenberechnung, die keine Schätzung mehr ist. Und die Stadt betont, dass danach noch Gerichte eine Erhöhung um plus/minus 20 Prozent anerkennen. Allerdings: Nicht wenige Kölner Bauprojekte liegen weit darüber.

Die Baustelle der Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof.

Die Baustelle der Zentralbibliothek am Josef-Haubrich-Hof.

Dass Bauprojekte der öffentlichen Hand länger dauern und mehr kosten, ist kein alleiniges Problem der Stadt Köln. Das betont sie auch, sie spricht von „systemischen Herausforderungen“. Man denke nur an den Berliner Flughafen oder den Stuttgarter Hauptbahnhof.

Experte: Gute Planung ist wichtig

„Baupreissteigerungen von bis zu 35 Prozent, Insolvenzen und dadurch verzögerte zeitabhängige Kosten sowie die erschwerten öffentlichen Vergabeverfahren tragen ebenso dazu bei, wie externe Ursachen durch Krisen wie die Corona-Pandemie oder den russischen Angriffskrieg“, begründet die Stadt jetzt. Und sie nennt immer wieder „die nicht vorhersehbaren Schäden“ wie etwa bei der Mülheimer Brücke als Ursache.

Thomas Sindermann, von der Kölner Industrie- und Handelskammer vereidigter Sachverständiger für Baupreisermittlung sowie Bauablaufstörungen, kennt all diese Argumente, sagte aber in der Vergangenheit: „Bei Bauprojektabwicklungen spielen eine Reihe von anderen Faktoren eine Rolle, die sich insbesondere durch eine gründliche Planung und vorausschauende Projektvorbereitung weitgehend beherrschen lassen.“

Reformkommission empfiehlt Verbesserungen

Auch die Reformkommission Großbauprojekte der Bundesregierung listete 2015 mehrere Empfehlungen auf, eine davon: Erst planen, dann bauen.

Weitere: Die Vergabe von Arbeiten an den wirtschaftlichsten Anbieter, nicht den billigsten – denn der könnte während des Baus versuchen, über Nachträge doch mehr Geld für sich herauszuholen. Noch ein Punkt der Kommission ist die „partnerschaftliche Projektzusammenarbeit“ und „außergerichtliche Streitbeilegung“. Prozesse kosten Zeit und Geld und behindern den Fortschritt auf der Baustelle.

Stadt legte Liste mit Großbauprojekten vor

Ein Beispiel dafür ist der Bau des Museums im Quartier (Miqua) vor dem Rathaus. Die Stadt kündigte 2021 dem Stahlbauer, weil sie unzufrieden mit ihm war. Erst zwei Jahre später übernahm der Nachfolger. Die Verwaltung betont, dass sie die Gründe für Verzögerungen und Verteuerungen transparent darstellt. Tatsächlich informiert sie die zuständigen Gremien des Stadtrates häufig mit monatlichen Berichten über die Baustellen.

Die Baustelle des Jüdischen Museums mit der unterirdischen Archäologischen Zone (Museum im Quartier).

Die Baustelle des Jüdischen Museums mit der unterirdischen Archäologischen Zone (Museum im Quartier).

Doch für die Politikerinnen und Politiker ergibt sich ein Problem: Haben sie ein Bauprojekt beschlossen und ist es begonnen, lässt es sich schlecht stoppen, weil das ausgegebene Geld verloren ist und eine halb sanierte Brücke wenig Nutzen hat.

Reker priorisiert selbst

Angesichts der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und den höheren Baupreisen hatte die Verwaltung vor drei Jahren dem Rat eine Liste der Großbauprojekte vorgelegt. Darin notierte sie Vorhaben ab zehn Millionen Euro, es ging um rund acht Milliarden Euro. Viel Geld. Und deshalb bleibt die Frage akut, wie die Stadt es schafft, termingerechter und weniger teuer als bisher zu bauen.

Die Verwaltung erhoffte sich mit der Liste von der Politik Entscheidungen, wie es weitergeht. Doch am Ende tat sich ziemlich wenig. Und da die Stadt in den Jahren danach in eine laut Reker „desolate“ Haushaltslage geriet, priorisierte die OB selbst und verschob unter anderem die Erweiterung der Hohenzollernbrücke für Radler und Fußgänger.

Nun tritt Reker in wenigen Wochen nach der Kommunalwahl ab: Die von ihr 2017 monierten Probleme beim Bauen sind Köln im Wesentlichen geblieben.

Reker wollte das Milliarden-Projekt Oper unbedingt in ihrer letzten Amtszeit noch eröffnen. Das hat nicht geklappt, es ist wohl erst 2026 so weit. Aus drei Jahren werden – Stand jetzt – vierzehn. Es dauert länger – und kostet mehr. Wie so oft.

Die Baukosten im Überblick

Sanierung Mülheimer Brücke

116,3 Millionen Euro (Baubeschluss 2016)

498,2 Millionen Euro (aktueller Kostenstand)

+ 266,8 Prozent

Neubau Museum im Quartier

51,8 Millionen Euro (Baubeschluss 2011)

190,0 Millionen Euro (aktueller Kostenstand)

+ 135,4 Prozent

Sanierung Zentralbibliothek

59,4 Millionen Euro (Baubeschluss 2018)

139,8 Millionen Euro (aktueller Kostenstand)

+ 70,7 Prozent

Neubau Heliosschule

91,7 Millionen Euro (Baubeschluss 2019)

156,5 Millionen Euro (aktueller Kostenstand)

+ 215,7 Prozent

Sanierung Bühnen

253,0 Millionen Euro (Baubeschluss 2011)

798,6 Millionen Euro (aktueller Kostenstand)

+ 328,4 Prozent