Der mutmaßliche Kopf der Kalker Drogenbande soll die Suche nach den geraubten Drogen von Dubai aus gelenkt haben.
Kölner DrogenkriegErmittlungsakte offenbart Rolle des mutmaßlichen Drogenbosses Sermat A.

Im Zusammenhang mit dem Kölner Drogenkrieg wurden mehrere Sprengstoffanschläge verübt. (Archivbild)
Copyright: Arton Krasniqi
In einer Kölner Diskothek auf den Ringen laufen in der Nacht des 23. Juni 2024 die Handys heiß. Kurz zuvor haben Männer mit Maschinenpistolen eine Lagerhalle in Hürth gestürmt. Die Wächter in dem Lagerraum sind gefesselt worden. Die Hälfte der gebunkerten 700 Kilogramm Cannabis verfrachten die Räuber in einen Transporter und rasen davon. Der mutmaßliche Drogenboss Sermet A., 22, wird in der Diskothek über den Diebstahl seiner Rauschmittel informiert. Umgehend weist er führende Männer seiner Bande an, den Rest der Ware woanders hinzubringen.
Zudem beordert der mutmaßliche Bandenchef einen Helfer in die Disko. Er soll den Server mit den Aufnahmen aus der Überwachungskamera der Lagerhalle mitbringen. Anhand der Bilder suchen die Drogendealer nach Hinweisen auf die maskierten Täter. Sermet. A. ist sauer. Der Deutsch-Iraker will die Wachleute aus der Lagerhalle zur Rechenschaft ziehen, weil diese den Überfall nicht abgewehrt haben. Zudem machen die Lieferanten aus den Niederlanden Druck. Schließlich geht es um den Verlust von Cannabis in Höhe von 1,5 Millionen Euro. So steht es in den Ermittlungsakten, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte.
Es kam zu Sprengstoffanschlägen, Mordversuchen und Geiselnahmen
Was folgt, ist ein brutaler Drogenkrieg zur Wiederbeschaffung der gestohlenen Cannabis-Pakete. Sprengstoffanschläge, Mordversuche, Geiselnahmen in Köln und anderen Städten in NRW verursachen Chaos. Nach fast einjährigen Ermittlungen können die Strafverfolger detailliert den Hergang des Bandenkrieges rekonstruieren. Dabei hilft auch ein Geständnis eines der Kidnapper. Und immer mittendrin soll den Ermittlungen zufolge der Hauptakteur Sermet A. aus Köln-Kalk stehen. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft drei Anklagen gegen mutmaßliche Handlanger des Deutsch-Irakers erhoben. Die Prozesse gegen insgesamt sieben Angeklagte haben Anfang April begonnen, weitere Verfahren sollen in den kommenden Monaten folgen.
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Auch jenes gegen die Hauptfigur Sermet A.. Er soll die Lieferungen harter wie weicher Drogen aus Marokko, Spanien und den Niederlanden organisiert haben. Nach dem Cannabis-Raub machen insbesondere holländische Lieferanten Ärger. Am 27. Juni kommt es zu einem Schlichtungstreffen in Kalk. Laut Zeugenaussage soll der Vater des mutmaßlichen Drogenbosses die Zusammenkunft moderiert haben. Etwa 16 Personen nehmen daran teil, darunter auch die niederländische Fraktion.
Sermet A. soll die Suche nach den Drogen von Dubai aus gelenkt haben
Sermet A. ist zu jener Zeit abgetaucht. Er will zunächst einmal die Lage checken. Über einen Mittelsmann lässt er sich Klamotten zu seinem Versteck in Düsseldorf bringen. Anschließend fährt er nach Brüssel. Am 28. Juni besteigt A. einen Flieger nach Dubai. Von dort aus soll er die Suchaktion nach den geraubten Drogen gelenkt haben. In Chats firmiert er laut Staatsanwaltschaft unter dem Pseudonym „White Rocket“. Zunächst kümmern sich drei angeheuerte Männer aus den Niederlanden um jene Wächter, denen in der Lagerhalle in Hürth die Drogen gestohlen worden ist. Die Männer werden gefesselt und gefoltert. Nach einem Hinweis nimmt die Polizei die drei Holländer fest.
Doch es geht weiter. Sermet A. soll seine Bandenmitglieder angewiesen haben, die Cannabis-Räuber zu suchen. Hinweise verdichten sich, dass es sich um Rauschgifthändler aus dem Ruhrgebiet handeln könnte. Führende Gangster aus der Kalker Crew loben 100.000 Euro aus, um an die Drogendealer heranzukommen. Ein Angehöriger eines libanesischen Clans, der im Ranking des Landeskriminalamts NRW zu den führenden zehn kriminellen Großfamilien zählt, soll gegen das üppige Honorar den Lockvogel spielen, um die Verdächtigen in einen Keller zu lotsen.
Drogengang arrangiert vorgetäuschten Deal und nimmt Geiseln
Die Clan-Größe kennt Mehmet D. und seine Freundin Farah S. (beide Namen geändert). Das Paar gehört zu einer libanesischen Familie, die Drogen im großen Stil verkauft. Ein Treffen wird arrangiert. Das Clan-Mitglied gibt vor, einen enormen Deal zu organisieren. Dazu brauche er aber eine Kostprobe. Das libanesische Pärchen übergibt ihm laut Staatsanwaltschaft 50 Gramm Gras.
Die Verpackung erinnert die Drogengang aus Kalk an ihren geklauten Stoff. Der Lockvogel lotst auf Geheiß der Bande das Paar auf einen Parkplatz in Bochum. Dort warten die Handlanger des Kölner Bandenchefs Sermet A.. Mann und Frau werden am 4. Juli in den Transporter geknüppelt. Dann geht es zu einer Villa nach Rodenkirchen, um den Bruder des Entführten zu erpressen. 1,5 Millionen Euro oder die Drogen im Austausch gegen die Geiseln, lautet die Forderung per Chatnachrichten. Dabei soll „White Rocket“, alias Sermet A., eine führende Rolle gespielt haben. Zudem gibt es offenbar die Anweisung, Foltervideos an die Familie der Geiseln weiterzuleiten, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Offenbar wird dem Lockvogel die Sache zu heiß. Der Mann aus dem Clan-Milieu setzt sich ins Ruhrgebiet ab. In Dortmund offenbart er der Polizei das Geiselversteck. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) kann die Entführer stellen und die Gefangenen befreien. Die Geiseln schildern in ihren Vernehmungen in drastischen Worten ihre Qualen. Da ist etwa der Kidnapper Malik M. (Name geändert) aus der Kalker Gang. Mit der Pistole in der Hand soll der vorbestrafte Mann seiner männlichen Geisel im Keller der Villa in Rodenkirchen mit dem Tod gedroht haben. Bald werde er Gott sehen, soll der Entführer gebrüllt haben.
Kriminalität als Dienstleistung
Während die Frau des Opfers im Nebenraum ebenfalls beschimpft und geschlagen wird, soll Malik M. dem gefangenen Libanesen den Lauf seiner Pistole in den Mund geschoben und abgedrückt haben. Ein lautes Klacken ist zu hören. Der Schuss bleibt aus. Der Schreck fährt dem Gefangenen in die Glieder. Anschließend wird die Geisel wieder gefesselt und auf einen Stuhl gesetzt. Die männliche Geisel wird später in seiner Vernehmung berichten, dass der Folterer der Schlimmste von allen gewesen sei.
Die drei Niederländer, die ebenfalls bei der Geiselnahme dabei sind, können sich rechtzeitig vor dem SEK-Zugriff in ihre Heimat absetzen. Auch sie sollen durch die Kölner Drogengang angeheuert worden sein. Michael Esser, Kölns Kripochef, prägt in dem Kontext das Wort vom „Crime as a service“ – Kriminalität als Dienstleistung. Ein System, das auch die niederländische „Mocro-Mafia“ (Slangname für Rauschgiftbanden) nutzt.
Bis heute ist nicht klar, wo der gestohlene Stoff geblieben ist. Bandenboss Sermet A. hält es nach den gescheiterten Geiselnahmen nicht mehr lange an seinem Rückzugsraum in Dubai. Ein Zeuge behauptet, dass A. trotz internationaler Fahndung in Sorge um das Wohlergehen seiner Mutter zurückgeflogen sei. Am Flughafen Charles De Gaulle in Paris wandert er Anfang Oktober 2024 in Haft. Nach einigen Monaten überstellen die französischen Behörden den Deutsch-Iraker an die Kölner Justiz. Bald muss er sich vor Gericht verantworten. Sein Verteidiger wollte sich auf Anfrage nicht äußern.