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ProzessauftaktGeiselnahme im „Kölner Drogenkrieg“ – Geständnisse vor dem Landgericht

Lesezeit 4 Minuten
Die drei Angeklagten warten mit ihren Anwälten auf den Beginn des Prozesses im Landgericht.

Die drei Angeklagten warten mit ihren Anwälten auf den Beginn des Prozesses im Landgericht.

Im vierten Prozess rund um den „Kölner Drogenkrieg“ geht es um Geiselnahme und Körperverletzung. Die Angeklagten gestehen – zum Teil.

Im Komplex „Kölner Drogenkrieg“ hat am Dienstag der vierte Prozess vor dem Kölner Landgericht begonnen. Zwei der drei Angeklagten, ein syrischer und ein niederländischer Staatsangehöriger, sind 20 Jahre alt, der dritte, ein Deutscher, ist 21. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gemeinschaftlich begangene Geiselnahme, gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz vor. Zur Tatzeit, im Juli 2024, waren die Männer Heranwachsende, deshalb wird ihnen nach Jugendstrafrecht der Prozess gemacht. Über ihre Verteidiger legten sie Geständnisse ab, mit manchen Abweichungen von der Anklage.

Der „Krieg“ brach aus, weil eine Kalker Bande um den mutmaßlichen Drogenboss Sermet A. die 350 Kilogramm Marihuana wiederbeschaffen wollte, die aus einer Lagerhalle in Hürth gestohlen worden waren. Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft zufolge war dies der Anlass für den Plan, eine Frau und einen Mann aus Bochum zu entführen, um den Bruder dieses Mannes dazu zu bringen, das Marihuana zurückzugeben oder 1,5 Millionen Euro zu zahlen. Die Angeklagten hätten im Juli 2024 in unterschiedlicher Tatbeteiligung an der Umsetzung des Plans mitgewirkt.

Mehrere Stunden festgehalten, entkleidet, misshandelt, befragt und bedroht

So habe der heute 21 Jahre alte Beschuldigte mit Komplizen in einem Baumarkt Kabelbinder und Klebeband besorgt. Alle drei Angeklagte seien dabei gewesen, als man sich auf einem Autobahnrastplatz besprochen und von dort mit mehreren Fahrzeugen nach Bochum in ein Industriegebiet gefahren sei. Das unter einem Vorwand dorthin gelockte Paar sei mit Gewalt in den Laderaum eines Transporters gezwungen, gefesselt, getreten und geschlagen worden.

Weiter heißt es in der Anklage, die eine schwer überschaubare Vielzahl von Beteiligten nennt, die folgende Fahrt habe zu einer Villa in Rodenkirchen geführt. Dort hätten die Täter ihre Opfer mehrere Stunden festgehalten, entkleidet, misshandelt, zum Raub des Marihuanas befragt und ihnen mit dem Tod gedroht. Die beiden heute 20 Jahre alten Angeklagten hätten scharfe Schusswaffen und eine Eisenstange als „Schlagwerkzeug“ eingesetzt. Eine solche Stange habe auch der Älteste der drei Beschuldigten benutzt.

Laut Staatsanwaltschaft stellten die Täter Videos von dem folterartigen Geschehen ins Netz und sandten sie zudem an den Bruder des misshandelten Mannes, um den Druck auf ihn zu erhöhen. In den frühen Morgenstunden des 5. Juli soll der heute 21 Jahre alte Angeklagte mit Mann, gegen den separat ermittelt wird, die Villa unter einem Vorwand verlassen haben. Die anderen Täter seien zur Bewachung der Geiseln zurückgeblieben.

Lebensgefährliche Verletzungen an Köpfen der Misshandelten

Jener von der Justiz gesondert verfolgte Mann wandte sich später an die Polizei und meldete die Geiselnahme. Gegen 17 Uhr stürmte ein Spezialeinsatzkommando die Villa. Das misshandelte Paar wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. In der Anklage ist zu lesen, der Mann und die Frau seien „massiv“ verwundet worden. Vor allem die „stumpfen Gewalteinwirkungen“ gegen die Köpfe hätten zu „lebensgefährlichen Verletzungen innerhalb der Schädelhöhle“ führen können. Der Mann habe noch etliche Monate nach der Tat unter Schmerzen gelitten und Angstzustände gehabt.

Rechtsanwalt Ingo Lindemann sagte, sein Mandant, der syrische Staatsangehörige, sei „in wesentlichen Teilen geständig“, und sprach von einer „schleichenden Entwicklung“: Der Angeklagte habe anfangs nicht gewusst, dass eine Entführung geplant war, „sonst hätte er es sich dreimal überlegt“. Er sei „in die Sache reingerutscht“. „Dem Grunde nach ist er geständig“, war von Burkhard Benecken, dem Verteidiger des 21-jährigen Angeklagten, zu hören. Dieser habe sich in einer „Mitläuferstellung“ an „Gewalthandlungen“ beteiligt und übernehme die volle Verantwortung dafür. Im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs wolle er sich bei den Geschädigten entschuldigen und ihnen zunächst 2500 Euro zahlen; weitere Beträge würden folgen. Weil der Mandant „große Sorgen um sein eigenes Wohlbefinden“ habe, werde er keine Namen von Hintermännern nennen, erklärte der Anwalt.

Angebot in Sozialen Medien: 5000 Euro, um „jemanden zu schlagen“

Die anderen Angeklagten wollen es genauso halten. Verteidigerin Manon Heindorf, die dem Niederländer beisteht, sagte, er sei in seiner Heimat von Kriminellen unter Druck gesetzt worden, Geld zu zahlen. In dieser Situation habe er das über ein soziales Netzwerk an ihn herangetragene Angebot angenommen, für 5000 Euro „jemanden zu schlagen“. Dass eine Entführung bevorstand, habe er nicht geahnt, als er sich mit Landsleuten auf den Weg nach Deutschland machte. Seine Beteiligung an dem Verbrechen bereue er „zutiefst“.

Für den Prozess sind 16 Verhandlungstage vorgesehen. Einer der vier Prozesse, die den „Kölner Drogenkrieg“ zum Gegenstand haben, ist am 9. Juli zu Ende gegangen: Wegen Beihilfe zur Geiselnahme und Waffenbesitzes wurde ein 30-jähriger Iraker zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die zwei anderen Prozesse zum selben Komplex laufen weiter, und demnächst werden zwei neue hinzukommen. Sermet A., der mutmaßliche Drahtzieher, wurde im vorigen Oktober in Paris festgenommen. Die Anklage gegen ihn ist noch nicht fertiggestellt.