Das Gürzenich-Sonderkonzert „Amazônia“ fand begleitend zur Sebastião-Salgado-Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum statt.
Kölner PhilharmonieSo klingen Sebastião Salgados Urwald-Visionen

Zum „Amazônia“-Konzert wurde die Kölner Philharmonie abgedunkelt.
Copyright: Ralf Jürgens
Das Publikum wartet womöglich auf Bilder der fortschreitenden Zerstörung, die der fotografischen Feier des Amazonas-Urwalds und der Lebenswelt seiner indigenen Bevölkerung immerhin mit guten Gründen folgen könnten – Fotos von Brandrodungen und großflächiger Abholzung der Urwaldriesen.
Solche kommen allerdings nicht auf die Leinwand, die über dem Podium der abgedunkelten Kölner Philharmonie aufgespannt ist; der in diesem Jahr verstorbene brasilianische Fotograf Sebastião Salgado belässt es in der Sequenz seiner dort aufgespielten Schwarz/Weiß-Aufnahmen bei der eindrucksstark-sensiblen Vergegenwärtigung einer auf den ersten Blick intakten Natur und der im Einklang mit ihr lebenden Menschen – aus der Höhe und der Ferne, aus der Tiefe und der Nähe.
Eine Welt, die vom Verschwinden bedroht ist
Dass diese Welt von der Furie des Verschwindens bedroht ist, dürfte freilich nicht nur dem Publikum des denkwürdigen Gürzenich-Sonderkonzerts „Amazônia“ in der Kölner Philharmonie mitlaufend bewusst gewesen sein. Vielmehr hat sich Salgado, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels von 2019, über Jahrzehnte hinweg für die Erhaltung des Lebensraums Amazonas eingesetzt – immer auch unter Hinweis auf die Folgen für das globale Klima im Fall, dass der Urwald weiter zerstört wird. Beharrlich fängt seine Kamera in diesem Sinne Wetterphänomene über dem Amazonas ein – Sonne, Wolken, Regen – ein Hinweis auf Zusammenhänge, die mit naiver Naturromantik nichts mehr zu tun haben.
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Nicht mit Zerstörung, sondern gleichfalls mit der faszinierenden Vorhandenheit der Urwälder hat die Suite aus der 1958 entstandenen Komposition „Floresta do Amazonas“ des brasilianischen Nationalkomponisten Heitor Villa-Lobos zu tun. Jene ist ein mehr als einstündiger und überwältigend positiver Hymnus an die Amazonas-Welt, den das Gürzenich-Orchester unter der italienisch-brasilianischen Dirigentin Simone Menezes und mit Beteiligung der ausgezeichneten Sopranistin Camila Provenzale als Soundtrack der Folge aus 255 Fotos aufführte. Die Zuordnung von Bild und Musik funktioniert freilich nicht durchweg: Oft genug auch kontrastiert die üppig-impulsive Klangdramatik mit der ruhigen Statik der Fotos.
„Meine Musik erlaubt mir“, so hatte Villa-Lobos erläutert, „die Flüsse und Meere dieses großen Brasilien singen zu lassen. Ich mache die tropische Überfülle unserer Wälder und unseres Himmels nicht mundtot, denn instinktiv trage ich sie immer mit mir bei allem, was ich schreibe.“ Dem Orchester, das – noch ohne Bilder – mit Villa-Lobos' viertem Stück aus seinen legendären „Bachianas Brasileiras“ und der „Metamorphosis“ aus Philip Glass' minimalistischer Impression „Àguas da Amazônia“ begonnen hatte, gelang es unter der expressiv-eindringlichen Anleitung der Gastdirigentin ausgezeichnet, diese Idee in die Konzertrealität umzusetzen.
Die glühende, so energiegeladene wie schwüle Opulenz und Farbigkeit der Musik, der ekstatische Klangrausch dieses Hybrids aus Belcanto, Jazz und viel brasilianischer Folklore – all das stellt sich ja nicht von selbst ein, die Interpreten müssen den entsprechenden Zugang schon finden. Das geschah hier offenkundig – was insofern eine Leistung genannt werden darf, als dieses Repertoire ja nicht täglich auf den Pulten der Gürzenich-Musiker liegt.
Parallel zum Konzert zeigt das Rautenstrauch-Joest-Museum bis zum 15. März die Deutschlandpremiere von Salgados Ausstellung „Amazônia“. Konzipiert und kuratiert wurde sie von seiner künstlerischen Partnerin und Ehefrau Lélia Wanick-Salgado. Das umfangreiche Begleitprogramm „Die Zukunft ist indigen“ rückt Stimmen und Perspektiven, die in globalen Klimadebatten oft überhört werden, in den Mittelpunkt.

