Pianist Lukas Sternath nutzte beim Meisterkonzert mit den Wiener Symphonikern in der Kölner Philharmonie jede Gelegenheit zur pianistischen Prahlerei. Zurecht?
Lukas Sternath in der Kölner PhilharmonieEin junger Klavierlöwe zeigt, was er kann

Der 24-jährige Wiener Pianist Lukas Sternath gastierte in der Kölner Philharmonie.
Copyright: Thomas Rabsch
Im 19. Jahrhundert war es anders, aber heutzutage gilt es tendenziell als unfein, wenn ein Klavierlöwe ostentativ zeigt, was er so alles kann. Die inneren Werte der Interpretation werden bevorzugt, dass jemand manuell den Herausforderungen gewachsen ist, gilt mehr oder weniger als selbstverständlich. Da erregt es dann doch schon Aufsehen, wenn sich jemand wie der 24-jährige Wiener Shootingstar und Levit-Schüler Lukas Sternath – so jetzt im Meisterkonzert mit den Wiener Symphonikern in Kölns Philharmonie – einigermaßen offensiv zur Schule der Virtuosen bekennt. Nicht nur die Zugabe, Liszts Bearbeitung von Schumanns „Widmung“, war in diesem Sinne bezeichnend. Vielmehr wählte Sternath für den ersten Satz von Beethovens erstem Klavierkonzert unter mehreren Optionen ausgerechnet die Monsterkadenz des Komponisten, die zwar allein von ihren Dimensionen her am schlechtesten passt, dem Spieler aber zweifellos die besten Chancen zu ungebremstem pianistischem „Showing-off“ einräumt.
Sternath wählt ausgerechnet die Monsterkadenz des Komponisten
Nach Maßgabe einer asketisch-hehren Kunstauffassung kann man die Wahl also kritisieren – was aber nicht die Erkenntnis zu blockieren vermag, dass Sternath auch musikalisch ein weit überdurchschnittlicher Sachwalter seines Metiers ist. Klar, dass die lässig-spontane Freude am eigenen Tun, die bereits die ganze äußere Erscheinung ausstrahlt, dafür eine gute Voraussetzung ist. Sie reicht aber nicht, man kann auch mit entspannter Nonchalance schlecht spielen.
Davon konnte hier allerdings keine Rede sein: Sternath stellte, in großartiger dialogischer Verzahnung mit den Orchesterinstrumenten, einen im besten Sinne klassischen Beethoven hin, mit einem zupackend fokussierten Ton, ohne jede romantische Morbidezza oder Verweichlichung. Laufwerk, Arpeggien und Verzierungen kamen mit gestochen-energischer Brillanz, all das aber keineswegs als routinierte Abwicklung. Sternath spann, nicht nur im langsamen Satz, auch dichte, intensive, kantable Phrasen, und der das Spiel durchwaltende große Atem integrierte mühelos Verlangsamungen und Beschleunigungen. Der Wiener pointiert auch mit Witz und Humor, und wenn das Marschthema des ersten Satzes in besagter Kadenz mit einem Kinderlied-Staccato kommt, dann mag man sogar eine Spur ironischer Distanz für möglich halten. Beethoven klassisch, aber ganz und gar ohne Marmor.
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Beethoven klassisch, aber ganz und gar ohne Marmor
Das illustre Gastorchester unter seinem Chefdirigenten Petr Popelka grundierte das Geschehen hellwach und klangschön. Popelka, von Haus aus Kontrabassist, ist kein Mann des kapellmeisterlichen Taktschlagens, verfügt aber offensichtlich über eine starke Vorstellung von Klang und Formdramaturgie (einschließlich spannungsgeladener Pausen), die er suggestiv vermittelt. Das konnte man vor allem in Mozarts abschließender Jupitersinfonie erleben, wo die Polyphonie bereits im ersten Satz nahezu szenisch-dramatisch entfaltet wurde. Die Kommunikation zwischen den Streichern und den sehr kernig aufspielenden Bläsern – immer wieder ein Anlass zu großem Hörvergnügen. Eher verzichtenswert waren demgegenüber die etwas manierierten und auch rhythmisch nicht ganz sattelfesten Stauungen im Menuett-Trio.
Eine Enttäuschung, die auch das Orchester noch nicht auf seiner anschließenden Höhe zeigte, hielt die Konzerteröffnung bereit. Wagners frühe „Faust“-Ouvertüre kommt irgendwie nicht so richtig aus den Puschen: Die musikalischen Gedanken werden nicht konsequent und nachhaltig verfolgt, brechen immer wieder ab, das Ganze wirkt zerfahren, findet kaum zu Sitz und Kontur. Immerhin war es interessant, einmal zu erleben, dass auch ein Genie nicht vom Himmel fällt.

