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Lahav Shani in der PhilharmonieAnti-Israel-Proteste überschatten Konzert

6 min
Lahav Shani (Israelischer Dirigent) leitet das Israel Philharmonic Orchestra und den Amerikanisch-israelischer Pianist Yefim Bronfman (* 10. April 1958 in Taschkent, Usbekistan) bei der Aufführung der Werke von Ludwig van Beethoven 1770 – 1827, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73 (1808–10)
I. Allegro
II. Adagio un poco moto
III. Rondo. Allegro, ma non troppo
am 05. November 2025
in der Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstraße 1, 50667 Köln

Lahav Shani (Israelischer Dirigent), das Israel Philharmonic Orchestra und der amerikanisch-israelischer Pianist Yefim Bronfman in der Philharmonie.

Ein Konzert mit dem Dirigenten Lahav Shani in der Kölner Philharmonie fand unter massivem Sicherheitsaufgebot und mit Störungen statt

Beethoven und Tschaikowsky standen am Mittwochabend auf dem Programm der Kölner Philharmonie. Zunächst wurde das Publikum allerdings von einer Hundertschaft der Polizei empfangen. Vor der Philharmonie hatten sich etwa 50 pro-palästinensische Protestierende gegen den Auftritt des israelischen Dirigenten Lahav Shani versammelt. Auch einem Aufruf der Kölner Synagogengemeinde zu einer Mahnwache vor der Philharmonie waren ebenfalls rund 50 Menschen gefolgt. Laut einer Polizeisprecherin verliefen die Kundgebungen weitgehend störungsfrei, lediglich eine Anzeige wegen Beleidigung wurde aufgenommen.

Im Konzertsaal sorgten dann ebenfalls viele Polizisten und Polizistinnen für Sicherheit. Als zwei Protestierende mit Zwischenrufen das Konzert störten, wurden sie sofort des Saales verwiesen: „Wir haben ihre Personalien aufgenommen und ihnen einen Platzverweis ausgesprochen“, sagte die Polizeisprecherin. Zu der pro-palästinensischen Demonstration hatte unter anderem die Gruppe „BDS Bonn“ aufgerufen. BDS steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“. Die internationale Bewegung wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Schon im September hatte ein geplanter Auftritt von Lahav Shani in Gent für Schlagzeilen gesorgt. Das dortige Musikfestival hatte ein Konzert mit den Münchner Philharmonikern unter Lahav Shanis Leitung kurzfristig abgesagt. Der israelische Musiker, so die Begründung, hätte sich nicht deutlich genug von der Kriegspolitik seines Heimatlandes distanziert. Daraufhin schlug dem Musikfestival von Flandern eine Welle der Empörung entgegen. Die Stadt Berlin lud das Orchester spontan zu einem Konzert ein, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Und der belgische Premierminister besuchte ein Konzert Shanis in Essen, um seine Solidarität auszudrücken.

Proteste bei Philharmonie-Konzert

Proteste bei Philharmonie-Konzert

Der 36-Jährige ist seit 2020 Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra, mit dem er gerade durch Europa tourt. Mit Blick auf das Gastspiel in Paris am gestrigen Donnerstag hatte jetzt auch die französische Gewerkschaft CGT vom Veranstalter eine politische „Kontextualisierung“ vor dem Konzert verlangt – eine Forderung, gegen die wiederum zahlreiche internationale Klassik-Größen Sturm liefen.

„Ich weiß nicht, ob die Musik selbst Versöhnung bringen kann, aber wir können die Versöhnung zelebrieren. Mindestens.“ Diesen Satz des israelischen Dirigenten zitierte die Kölner Philharmonie im Vorfeld von Lahav Shanis Auftritt auf ihrer Homepage. Und Intendantin Ewa Bogusz-Moore sagte dazu: „Diesen Ansatz verfolgen auch wir in der Kölner Philharmonie, schon unter meinem Vorgänger Louwrens Langevoort, der diese Saison noch geplant hat.“ Nach der Ausladung Lahav Shanis mit den Münchner Philharmonikern in Gent sei schon so viel gesagt und debattiert worden – „ich bin weiter dafür, dass Musiker:innen nicht politisch stigmatisiert werden, es sei denn, sie beziehen eine eindeutige politische Haltung.“ Der Kölner Kulturdezernent Stefan Charles wollte sich auf Anfrage zu den Vorgängen nicht äußern.

Vor dem Hintergrund der aufgeheizten Debatte wird niemand ernsthaft die massive Polizeipräsenz während des Konzerts beklagen wollen. Trotzdem legten sich die Sicherheitsmaßnahmen wie Mehltau auf die Stimmung: Die Situation war beruhigend und bedrückend zugleich. Orchester und Dirigent wurden im ausverkauften Saal mit stehenden Ovationen gefeiert, was künstlerisch absolut berechtigt, aber natürlich auch eine demonstrative Geste der Solidarität war. Den Musikern dürfte das klar sein; es wird sie hoffentlich freuen. Schließlich müssen sie trotz allem gegen Ablehnung und Anfeindung spielen, mit dem Gefühl, bei vielen Menschen an den Tourneestationen nicht willkommen zu sein.

Eines der größten Talente

Die friedensstiftende und völkerverbindende Kraft der Musik wird ja immer wieder beschworen, aber Musik ist vieldeutig – das wurde auch bei der Zugabe des Orchesters erkennbar. „Nimrod“ aus Edward Elgars „Enigma-Variationen“ ist ein bewegendes, hochemotionales Stück, als Huldigung an einen langjährigen deutschen Freund komponiert. Nimrod heißt aber auch eine mittelalterliche Festung auf den Golan-Höhen. Wenn das kein Zufall ist – soll die Wahl des Stückes dann territoriale Besitzansprüche ausdrücken oder die Hand zur Versöhnung reichen?

An den Pulten des Orchesters kann eine solche Frage kaum beantwortet werden. Und doch: So sanft pulsierend, so organisch in seinem immer stärker werdenden Wellengang, so wenig beladen mit äußerem Pathos hört man das berühmte Stück höchst selten. Man mochte Friedenshoffnung aus der Interpretation heraushören. Aber das ist natürlich auch schon wieder eine Interpretation. Lahav Shani, der fraglos zu den größten Talenten der jüngeren Dirigentengeneration zählt, ist ein kompromissloser, jedes Detail besessen formender Temperamentsmusiker, aber er ist alles andere als ein Machtmensch. Da gibt es keine Herrschaftspose, keine gefallsüchtige Musikmalerei, keine Selbstinszenierung. Sogar den Taktstock verschmäht er.

Beethovens fünftes Klavierkonzert war unter seinen Händen eindeutig ein Werk des 19. Jahrhunderts. Das Tor zur Romantik wurde weit geöffnet, das starke Orchesterpedal trug einen voluminösen, in den Akzenten üppig federnden, im Streicher-Pizzicato weit ausholenden Klangaufbau. Der kritisch-rationale Geist des 18. Jahrhunderts, der ja auch beim „mittleren“ Beethoven keineswegs abgeschafft ist, trat dabei merklich zurück. Das galt auch für den israelisch-amerikanischen Pianisten Yefim Bronfman. Sein beeindruckend souveränes Spiel lebte von überlegenem Kraftumsatz und flächiger Disposition; es suchte eher die große, stabile Linie als die klangrednerische Abstufung. Der aus Usbekistan stammende Hüne ist aber auch ein Meister der scheuen, zurückgenommenen Poesie, wofür der ausgesprochen bedachtsam entfaltete Mittelsatz natürlich das ideale Objekt war.

Auch die Zugabe, Robert Schumanns Arabeske op. 18, gestaltete Bronfman als stille, private, fast intime Reflexion. In Peter Tschaikowskys fünfter Sinfonie konnte das Israel Philharmonic Orchestra nach der Pause seine Eigenart noch plastischer präsentieren als bei Beethoven. Im weit aufgezogenen Klangraum zwischen machtvollem Bassfundament und gleißend brillantem Höhenregister fühlte man sich immer wieder an russische Spitzenorchester erinnert. Dazu passten auch die mit markanter Eigenfarbe aus dem Tutti strahlenden Solo-Bläser.

An Lahav Shanis Darstellung war nichts spektakulär, aber alles stimmig, leuchtend, erfüllt. Es war ein ungewöhnlich immersives Musizieren, das den Hörer in einen unablässigen Strom von Klang und melodischer Verdichtung einhüllte. Man mochte aus diesem Erlebnis gar nicht aussteigen; man musste es auch bis zum Schluss nicht, weil der Dirigent die vier Sätze nahtlos miteinander verband. Am Ende waren Beglückung und Erschöpfung gleichermaßen erkennbar – und das auf beiden Seiten der Podiumskante.


Synagogengemeinde fordert klare Linie

Bettina Levy vom Vorstand der Kölner Synagogengemeinde saß bei Lahav Shanis Konzert am Mittwochabend im Publikum. Sie war beeindruckt, dass „das Orchester sein Spiel trotz des sehr lautstarken und aggressiven Protests nicht unterbrochen hat“. An diesem Abend habe „die poetische, wunderbare und friedliche Musik gesiegt gegen Hetze und Geschrei“. In der Türkei war im September auch ein Konzert des französisch-jüdischen Sängers Enrico Macias nach Protesten abgesagt worden.

Im vergangenen Jahr war in Amsterdam ein Konzert des Jerusalem String Quartets abgesagt worden – bevor internationaler Protest dazu führte, dass das Ensemble doch spielte. „Wenn israelische Künstlerinnen und Künstler mit Verweis auf die Politik Israels ausgeladen und Konzerte abgesagt werden, erinnert mich das an die 1930er Jahre in Deutschland“, sagte Levy. In Deutschland gebe es Gesetze gegen Antisemitismus. „Diese müssen mit klarer Linie durchgesetzt werden.“ In Köln seien die Behörden auf den Protest vorbereitet gewesen. „Die Polizei war rund um die Philharmonie sehr präsent. Sie hat gut und richtig reagiert“, so Levy. (uk)