Mit der Corona-Pandemie hat sich die Hardcore-/Punkszene Kölns ein weiteres Mal neu erfunden. Ein Rückblick auf 40 Jahre Szene-Geschichte – letzter Teil: Die Jahre 2015 - 2025.
Punk in Köln Teil III„Ich bin straight edge und alles, was Köln ausmacht, ist Karneval und saufen“

Die Hardcore-Band Echo Chamber bei einer Show.
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Deutschland war Birne und Bonn war sein Baum. In dem Jahr bevor ich geboren wurde, leitete ein Misstrauensvotum die Ära des Dicken aus Oggersheim ein, der fortan für mich Synonym für Politik war, nein, vielmehr, für Deutschland: Von meinem ersten Schiss in die Windel bis zum ersten Bier gab es nur ihn. In Bonn drehte sich bis zum Ende der Kanzlerschaft Kohls alles um Politik, Beethoven, Telekom, die Post und Haribo – und so viel hat sich daran bis heute nicht geändert.
„Wie ich als Individuum in der Szene agiere, bin ich schon stabil connectet - würde ich sagen. Aber als Teil von ‚Passed Out‘, bin ich enttäuscht von der ganzen Düsseldorfer- / Kölner- / Bonner-Szene.“

Die Bonner Hardcore-Band ‚Passed Out ‘bei einer Show.
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Briegel, der neben Ana eine der Gitarren bei der Hardcore-Band ‚Passed Out‘ spielt, Sängerin Aleks, Bassist Fabian und ich haben uns in Bonn getroffen, um über die Punk-/Hardcore-Szene des Rheinlands und deren Entwicklung in den vergangenen Jahren zu reden. Den Jahren also, in denen Covid ganz besonders auch der Kulturszene zu schaffen gemacht und die sich bis heute nicht von den Auswirkungen der globalen Pandemie erholt hat. Covid als Zäsur für ganze Branchen und einige Generationen junger Menschen, denen die Pandemie wichtige Jahre genommen hat. Für viele gibt es eine Zeit vor und eine nach Covid.
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„Ich habe auch das Gefühl, dass gerade vor allem nach Corona Leute Interesse an Punk/Hardcore entwickelt haben, die vielleicht sonst in einer anderen Subkultur unterwegs gewesen sind. So war das bei mir auch. Ich habe kurz nach Corona in einem Kollektiv angefangen und bin einfach noch mal mehr aktiv gewesen, als vor Corona“, erzählt Sängerin Aleks. Sie wohnt wie drei der fünf Bandmitglieder in Bonn, einer Stadt, deren kulturelles Erbe sich auf Beethoven und vielleicht noch den Komponisten Robert Schumann und den expressionistischen Maler August Macke, der wenigstens ein paar Jahre in der ehemaligen Hauptstadt gewirkt hat und in dessen damaligem Wohnhaus, das heute Macke-Museum beheimatet ist, bezieht.
„Es ging in die ‚Live Music Hall‘ zu ‚Rock Garden‘, danach ins ‚Underground‘. Das war der klassische Samstag“
Mit Punk- und Rockmusik im Allgemeinen ist Aleks, die in Bonn aufgewachsen ist, vor allem im Umland, später dann in Köln gekommen. „Bei mir war das eher so Hürth und Brühl, wo Freundesbands ihre Proberäume hatten. Die haben dann zwei Stunden geprobt und danach hieß es, kommt mal vorbei und dann hat man noch drei, vier Sets mit anderen Bands gespielt bevor es in die ‚Live Music Hall‘ zu ‚Rock Garden‘ ging, wo du dann für 6 Euro Eintritt von 22 bis 0 Uhr Freibier hattest und danach noch ins ‚Underground‘. Das war so der klassische Samstag“, erzählt die ‚Passed Out‘-Frontfrau.
Als vorletztes Mitglied stößt Aleks zu ‚Passed Out‘, der Band, die sich in den vergangenen Monaten von einem lockeren Projekt zu einer Gruppe mit ernsthaften Ambitionen Musik zu machen entwickelt hat. Seit Anfang 2024 spielt die Band Shows und probt im Kölner AZ.
Er schätzt an der Szene, sagt Briegel, dass sie so aktiv sei, so unglaublich viel passieren würde. „Es werden krasse Shows aus dem Nichts hochgezogen, die sind alle so energetisch, das ist unglaublich cool“, ein Zutritt, führt er weiter aus, sei für die ersten Schritte „niedrigschwellig. Man kann aus dem Nichts kommen und einfach anfangen. Vielleicht ein Fanzine machen, vielleicht Konzerte veranstalten. Das ist halt einmalig, ich liebe das.“
Trotzdem hat er das Gefühl, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht, es gebe „zwei, drei Szenen aus diesem Rheinland-Kontext, von denen werden wir halt nicht eingeladen. Wir haben einmal eine Show im Tsunami gespielt, ansonsten sind viele Shows von uns in Bonn und Köln durch unser eigenes Mitwirken entstanden.“
Über Nürnberg und Mannheim ins Rheinland
Südstadt, ‚Cöllner‘, irgendwann im August. Einige Jahre vor der Pandemie ist Fabian nach Köln gezogen, aufgewachsen im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg, wo es nichts gegeben habe, aber „das ist nur ’ne halbe Stunde von Nürnberg entfernt“, ging es über Nürnberg und Mannheim und weiter ins Rheinland.
„Mit 17, 18 habe ich angefangen in den Zug zu steigen und Konzerte in Nürnberg zu besuchen, später bin ich hingezogen und habe dort mit Freunden Shows gemacht. Das waren meine ersten Berührungspunkte mit der DIY-Szene.“
In Mannheim wächst die Zahl der organisierten Shows im dortigen JUZ, das von den Bands aus Fabians Freundeskreis auch zum Proben genutzt wird. Man beginnt zu touren und sich zu vernetzen. „Viele Verbindungen, die jetzt wichtig sind, haben wir damals aufgebaut, nach Deutschland, Europa, teilweise in die USA und nach UK.“
„Die beste Zeit für Hardcore/Punk, die es gab“
Für Fabian ist 2025 die beste Zeit für Hardcore/Punk. „Das habe ich letztes Jahr gesagt, davor das Jahr gesagt, und daran hat sich nichts geändert. Die Anzahl der Kreativen, die nicht nur machen, was immer gemacht wird, sondern die auf Leute zugehen, die Sachen ausprobieren, die ist so hoch wie nie.“
Fabian und sein Umfeld haben mit dem ‚Down but not out‘-Fanzine, dem dazugehörigen Label und als Veranstalter von Shows wichtige Infrastruktur für die Szene geschaffen. Er selbst singt außerdem als Frontmann der Hardcore-Band ‚Echo Chamber.‘
„Wir haben sogar einen Begriff für unsere Szene, ‚Rhineline‘, die zieht sich von Düsseldorf über Köln, Bonn bis nach Frankfurt. Das sind alles unsere Bands, unsere Labels, die Leute hängen miteinander ab, fahren zusammen auf Konzerte.“
„Das ist ein ganz anderer Support, den wir dort erfahren, als hier“
Auch der ‚Passed Out‘-Gitarrist liebt die Umtriebigkeit der Szene, hat in den letzten Jahren jedoch das Gefühl gewonnen, „dass sich immer deutlicher eine Hegemonie abzeichnet, dass Räum gegatekeept werden, sich Codes festigen, die Szene zersplittert“, so Briegel.
Support für ihre Musik erfährt die Hardcore-Band vor allem außerhalb der Region. „Wir hauen den Release raus“, gemeint ist das Tape ‚Web of Lifes‘, das im Frühjahr erschienen ist, „alle wissen das, das teilen Leute, aber das sind die in ganz Deutschland – und nicht die hier“, ergänzt Aleks.
„Guck dir einfach an, wo wir die Shows spielen – am liebsten würde ich unsere Band nehmen und in den Osten gehen. Nicht, weil es dort so geil, so viel besser als hier wäre. Aber die Leute dort sind so krass aufgeschlossen, was Passed Out angeht, die haben so Bock auf uns. Das ist ein ganz anderer Support, den wir dort erfahren, als hier.“
Im Oktober hat die Band ihre erste zusammenhängende Tour gespielt. Die führte sie unter anderem nach Prag, Budapest, Novi Sad und Österreich.
„Im Osten braucht man teilweise Stunden, um auf 'ne geile Show zu kommen. Da ist es kein Problem für die Leute ein, zwei Stunden irgendwo hinzufahren. Hier ist die Szene wirklich groß und aktiv und hat man wirklich viel, vielleicht denken sich deswegen die Leute hier in Köln ‚Ich habe hier genug Shows, ich brauche nichts mit Düsseldorf zu tun zu haben, obwohl es gar nicht mal so weit ist“, versucht sich Aleks an einer Erklärung für die ihrer Erfahrung nach fehlende Vernetzung der Szene.
Shows veranstalten ist kein Hexenwerk
Die Shows sind selbst organisiert, für Aleks mit ein Grund, für die nach Corona wieder aufblühende Szene. Man merke halt, dass es „wirklich kein Hexenwerk ist sich ein paar Leute zusammen zu suchen, zu gucken, was es an Locations gibt und dann eine Show mit lokalen Bands aufzuziehen. Das ist alles Non-Profit, das heißt auch, dass man nicht mal riesige Kosten hat.“ Bezahlt werden die Bands, die Person am Sound, das Essen, vielleicht noch der Laden.
Läden wie die Kneipe ‚Namenlos‘ in Bonn, seien „purer Luxus, denn du zahlst halt nichts an Miete. Die wollen das, dass Subkultur wachsen kann, deswegen bieten die das an. Die können ihre Getränke verkaufen, das ist ein Geben und Nehmen.“ Doch das ‚Namenlos‘ bleibt vor allem in Bonn eine Ausnahme, obwohl fast die gesamte Band in der Stadt wohnt, seien sie da kaum vernetzt. Dass sie in Köln proben würden, sei bezeichnend, erzählen sie.
Schon vor seinem Umzug 2018 fährt Fabian bereits jedes Wochenende nach Köln. Zu der Zeit gab es in der Stadt viele, coole Konzerte, erzählt er. Die ersten eigenen Shows spielt seine Band ein, zwei Jahre früher – „im AZ, auch mal im ‚Club Scheisze‘.“ Wie René vom ‚Forced Narrative‘-Fanzine und Mac und Nils von ‚Domcore‘-Radio beobachtet auch Fabian die gestiegene Wichtigkeit von Läden für die aktuelle Entwicklung der Szene, die nicht klassischerweise dem Punk-/Hardcore-Umfeld zuzuordnen sind.
„Der ‚Tsunami Club‘ ist super wichtig, für das, was hier entstanden ist. Wir haben dort einige Hardcore-Shows gemacht. Die sagen immer, dass es vor uns dort keine Hardcore-Konzerte gegeben hat und jetzt würden sie ständig Anfragen von Leuten bekommen, die dort Hardcore-Shows machen wollen“, verrät Fabian. Zwar zahlen Fremd-Veranstalter Geld, wenn sie den Club in der Kölner Südstadt für Konzerte buchen wollen, wichtig sei aber am Ende nicht der Preis alleine, sondern das Gesamtpaket. Und dazu gehört vor allem die höchstmögliche Gestaltungsfreiheit bei den Veranstaltungen, erläutert der Szene-Aktivist. Die haben Fabian und seine Leute etwa ‚Quattro Cultura‘ oder in den ‚Abenteuerhallen Kalk‘.
Vergessen dürfe man in Köln auch nicht den Einfluss der BMX-Szene, sagt Fabian, der sich als Getriebenen des Scene Building-Gedankens bezeichnet.
„Ich bin straight edge und alles, was Köln ausmacht, ist saufen“
„Ich bin straight edge und alles, was Köln ausmacht, ist Karneval und saufen. Das wird dann als Kultur vermarktet – für mich gehört da ein bisschen mehr zu.“
Irgendwann, dass ist sein Ziel, möchte er das Gefühl haben, dass um ihn herum so viele qualitativ gute Bands und andere Projekte existieren, dass er, wie andere ältere, die jetzt Fanzines machen, Label machen, für die Infrastruktur sorgen, sich zurückziehen können. Das Baby soll, wenn man so will, in gute Hände übergeben werden.
„Ich setze mich gerade mit Männlichkeiten im Hardcore auseinander und ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass so eine Romantik befördert wird, wie etwa im Film ‚Fight Club‘. Das Hardcore als Ventil verwendet wird, wenn es einem schlecht geht. Das viele am Wochenende in den Mosh-Pit gingen und da alles rauslassen würden. Dort, eine neue Stärke performen, in dem sie nach ganz vorne stehen, um sich schlagen, aber auch einstecken – und dabei geht es ihnen gut“, hat Briegel beobachtet.
The Scene is to be told, not to be sold
Auch vor der Vereinnahmung szenefremder Akteure und der damit einhergehenden Kommerzialisierung müsse man sich schützen – etwa die Handlungshoheit über die eigenen Aktivitäten.
„Du hast immer ein paar Einfalltore, Booker zum Beispiel oder Agenturen, die sich versuchen da so reinzuschleichen. Dann buchst du plötzlich ausländische Bands über Agenturen und hast auf einmal mit Mittelsmännern oder Mittelsfrauen zu tun, das wollen wir nicht. Die wollen dann Garantien, an die du dich zu halten hast. Das macht erstens keinen Spaß und vor allem musst du dann auch die Preise hochschrauben.“
In den USA versuchen sich Firmen an die DIY-Hardcore-Szene dranzuhängen, irgendwelche Softdrink- oder Alkohol-Marken zum Beispiel. Und alles, was in den USA passiert, kommt irgendwann hier rüber, mahnt Fabian. „Du wirst auch irgendwann Red Bull haben, die anklopfen, wenn du ein Festival machst.“
Ein Problem damit, Geld mit der Musik zu verdienen, hat der Echo Chamber-Shouter nicht. „Aber, dann ist das nichts mehr für mich, dann ist das auch nicht mehr DIY. Sobald du Geld verdienen willst, musst du dich ja gewissen Zwängen unterwerfen. Für mich muss der Hardcore nicht irgendwohin gehen, der muss sich nicht weiterentwickeln, keine neuen Gruppen erreichen. Für mich kann Hardcore bleiben, wie er ist.“



