Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Erdbeben bei KanzlerwahlMerz scheitert im ersten Wahlgang – Zweiter Versuch am Nachmittag

Lesezeit 5 Minuten
06.05.2025, Berlin: Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) reagiert im Bundestag bei der Kanzlerwahl. Im Bundestag findet die Wahl und Vereidigung des Bundeskanzlers und der neuen Bundesregierung statt. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag.

Friedrich Merz erhielt im ersten Wahlgang nur 310 Stimmen und scheiterte damit. Ein zweiter Versuch soll noch am Dienstag folgen.

Friedrich Merz ist am Dienstagmorgen (6. Mai) im ersten Wahlgang nicht zum Bundeskanzler gewählt worden. Auf Merz entfielen in geheimer Abstimmung nur 310 Stimmen, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mitteilte. Der Bundestag hat 630 Abgeordnete. Der Kanzler muss mit einer absoluten Mehrheit gewählt werden, also mindestens 316 Stimmen. Merz fehlten also sechs Stimmen. CDU/CSU (208) und SPD (120) verfügen zusammen über 328 Mandate, also nur über 12 mehr, als sie unbedingt brauchen.

Insgesamt wurden am Montagvormittag 621 Stimmen abgegeben. Mit Ja stimmten 310 Abgeordnete, mit Nein 307. Es gab 3 Enthaltungen und 1 ungültige Stimme. 

Es ist ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert. Das politische Erdbeben ereignete sich auf den Tag genau sechs Monate nach dem Bruch der Ampel.

Danach wurde stundenlang hinter den Kulissen beraten, wann ein zweiter Wahlgang stattfinden kann. Nach Informationen von Jens Spahn (CDU) soll er tatsächlich noch am Dienstagnachmittag um 15.15 Uhr durchgeführt werden.

Unterschiedliche Meldungen aus dem Bundestag

Die Sitzung war nach dem Debakel für Union und SPD unterbrochen worden und es kursierten immer wieder unterschiedliche „Wasserstandsmeldungen“. Eine Wiederaufnahme der Bundestagssitzung zur Verkündung des weiteren Prozedere war eigentlich für Dienstagmittag geplant, dies verzögerte sich jedoch immer weiter.

Noch am Dienstag folgt also ein zweiter Versuch. Journalistinnen und Journalisten vor Ort versuchen, Informationen zu erlangen und müssen insbesondere in der Live-Berichterstattung Zeit überbrücken. „Auch die sogenannten gut informierten Kreise schweigen gerade“, sagte Kerstin Münstermann von der „Rheinischen Post“ gegen 14 Uhr. Münstermann kommentiert für den Sender Phoenix die Geschehnisse rund um den Bundestag. 

Nach dem ersten Wahlgang hatten Merz und die Unionsführung eilig den Plenarsaal verlassen. Die Fraktion kam zu einer Sondersitzung zusammen, ebenso wie die SPD. Merz traf sich zudem mit SPD-Chef Lars Klingbeil in seinem Büro. 

Wer die Abweichler sind, darüber herrschte offenbar Uneinigkeit. Während CDU und CSU die Schuldigen bei der SPD sehen, beteuern die Genossen laut „Spiegel“, sie seien es nicht gewesen. „Wir gehen bei uns von voller Zustimmung aus“, heißt es demnach aus Parteikreisen. Es wird davon ausgegangen, dass die Abweichler ihren Parteiführungen einen „Denkzettel“ verpassen wollten – möglicherweise, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.

Wann findet ein zweiter Anlauf zur Kanzlerwahl statt?

Bei einem zweiten Wahlgang bräuchte Merz erneut 316 Stimmen, in einem dritten Wahlgang wäre eine einfache Mehrheit ausreichend. Laut Gesetz müssen weitere Wahlgänge innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Bis 14 Uhr gab es wechselnde Meldungen über den geplanten Termin, dann verdichtete sich alles auf Dienstag um 15.15 Uhr.

dpatopbilder - 06.05.2025, Berlin: Alexander Hoffmann (l), CSU-Landesgruppenchef, und Jens Spahn (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, geben bei der Kanzlerwahl im Bundestag ein Statement. Nach dem Scheitern des designierten Bundeskanzlers Merz im ersten Anlauf bei der Wahl zum Bundeskanzler soll es noch heute einen zweiten Wahlgang im Bundestag geben. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Alexander Hoffmann (l.), CSU-Landesgruppenchef, und Jens Spahn (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, geben bei der Kanzlerwahl im Bundestag ein Statement. Nach dem Scheitern des designierten Bundeskanzlers Merz im ersten Anlauf bei der Wahl zum Bundeskanzler soll es noch heute einen zweiten Wahlgang im Bundestag geben.

Weiter schrieb der „Spiegel“ unter Berufung auf die Union: Der erste Wahlvorschlag sei vom Bundespräsidenten gekommen. Für einen zweiten Wahlgang könnte der Vorschlag aber aus der Mitte des Bundestags kommen. In diesem Fall gilt eine Ladungsfrist von 48 Stunden. Wenn sich die Fraktionen allerdings auf einen Fristverzicht einigen, könnte der zweite Wahlgang bereits am Mittwoch stattfinden. Der reguläre Termin mit Fristwahrung wäre am Freitag. 

Union würde zweiten Wahlgang am Dienstag bevorzugen

Der Parteienforscher Karl-Heinz Korte sagte bereits am Vormittag bei „Phoenix“, theoretisch sei noch am Dienstag ein zweiter Wahlgang möglich. Allerdings müsse dafür die Tagesordnung im Bundestag geändert werden, und dies sei nur mit der AfD möglich. 

Gegen Mittag verdichteten sich dann tatsächlich die Hinweise, dass es bereits am Dienstag zu einem zweiten Wahlgang kommen könne. Dies würde die Union nach Worten von CDU-Generalsekretär Linnemann bevorzugen. „Ich hoffe, dass wir heute Abend einen neuen Bundeskanzler haben“, so Linnemann beim Sender Phoenix. Er gehe davon aus, dass die Union geschlossen für Merz gestimmt habe. Gegen Mittag liefen im Hintergrund Gespräche innerhalb der Fraktionen, damit in einem zweiten Wahlgang ein anderes Ergebnis zustande komme, so Linnemann.

Linnemann wirkte erwartungsgemäß maximal angestrengt.„Ernsthaftigkeit spüren wir auf den Fluren“, sagt er. Auf die Frage nach der Befindlichkeit von Merz wich der Generalsekretär aus. Grundsätzlich hatten Vertreter der Oppositionsparteien ihre Zustimmung zu einem zweiten Wahlgang am Mittwoch oder sogar am Dienstag gegeben. Für die Fristverkürzung wäre im Plenum eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Kurz nach 14 Uhr scheinen die rechtlichen Bedingungen dann geklärt worden zu sein. 

Es gibt in der deutschen Geschichte keinen Präzedenzfall. Kanzler Scholz bleibt bis auf Weiteres genauso wie die Minister im Amt, es droht also kein Vakuum.

So ginge es nach der Merz-Wahl weiter

Sollte Merz gewählt werden, würde er im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhalten. Anschließend ginge es umgehend zurück in den Bundestag. Dort müsste Merz den Amtseid ablegen.

06.05.2025, Berlin: Fernsehteams stehen anlässlich der geplanten Übergabe der Ernennungsurkunde durch Bundespräsident Steinmeier an den designierten Bundeskanzler Merz vor dem Schloss Bellevue. Nach seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag soll Merz im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Bundeskanzler ernannt und darauf folgend im Bundestag vereidigt werden. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Fernsehteams stehen anlässlich der geplanten Übergabe der Ernennungsurkunde durch Bundespräsident Steinmeier an den designierten Bundeskanzler Merz vor dem Schloss Bellevue. Nach seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag soll Merz im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Bundeskanzler ernannt und darauf folgend im Bundestag vereidigt werden.

Danach käme Merz erneut ins Schloss Bellevue – diesmal zusammen mit seinem Kabinett. Die Ministerinnen und Minister erhielten vom Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunden. Steinmeier würde eine kurze Rede halten. Anschließend würde die Bildung der neuen Bundesregierung im Bundestag bekanntgegeben. Die Ministerinnen und Minister legen dann dort den Amtseid ab. 

Auch Angela Merkel bei Merz-Wahl auf Tribüne

Beim ersten Wahlgang waren neben hochrangigen Politikern auch Familienmitglieder von Merz und Prominente anwesend. Auf der Besuchertribüne im Bundestag zu sehen waren unter anderem Ehefrau Charlotte Merz und die Töchter Carola Clüsener und Constanze Merz.

Zur Eröffnung der Sitzung schickte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner einen besonderen Gruß an die Familienmitglieder. Diejenigen, die sich für den politischen Weg entschieden, übten auch immer Einfluss auf das Leben derer aus, die ganz nah mit ihnen lebten, sagte die CDU-Politikerin.

Klöckner begrüßte auf der Tribüne außerdem die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die neben der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Platz genommen hatte. Dahinter zu sehen war Astronaut Alexander Gerst. Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf zählt zu den Gästen. Merkel verließ die Tribüne nach dem ersten Wahlgang. (cme, dpa)