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Leverkusens OB im Abschiedsinterview„Ich habe festgestellt, wie stark diese Stadt ist“

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Uwe Richrath war zehn Jahre lang Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen.

Uwe Richrath war zehn Jahre lang Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen.

Nach zwei Amtszeiten als Oberbürgermeister endet in dieser Woche die Ära Uwe Richrath bei der Stadt Leverkusen.

Die Dienstzeit von Uwe Richrath als Oberbürgermeister der Stadt Leverkusen steht unmittelbar vor dem Ende. Am 3. November wird Stefan Hebbel als neues Stadtoberhaupt eingeführt. Richrath spricht im Abschiedsinterview mit dem „Leverkusener Anzeiger“ über seine Abwahl, die Stadtgesellschaft und die vergangenen zehn Jahre.

Herr, Richrath, fast vier Woche ist die Stichwahl her. Unmittelbar nach der Wahl wirkten sie ziemlich mitgenommen. Wie geht es Ihnen inzwischen?

Richrath: Das hat mich schon sehr bewegt. Natürlich auch der Stichwahltag. Ich respektiere die demokratische Entscheidung. Aber der Moment war sehr schmerzhaft.

Haben Sie mit dem Ergebnis gerechnet?

Wenn ich antrete, möchte ich natürlich gewinnen. Aber auf der anderen Seite habe ich natürlich auch gemerkt, dass es momentan einen sehr ausgeprägten Wunsch nach konservativerer Politik gibt. Zusätzlich musste ich mich Wochen und Monate vor der Wahl mit einigen sehr negativen Themen auseinandersetzen. Da wurden Fehler der Verwaltung aus vergangenen Jahren sichtbar. Das kann immer wieder passieren und ich übernehme in solchen Fällen selbstverständlich die Verantwortung. Aber es war natürlich auffällig, dass diese Themen so sehr komprimiert vor der Wahl auftauchten.

Die Ämterkarten, die Nebeneinkünfte, die Rettungsdienstgebühren meinen Sie…

Ja. Und das hat bei der Bevölkerung extrem verfangen. Deshalb war mir schon bewusst, dass es sehr knapp werden wird.

Wie groß, glauben Sie, war die Rolle, die diese drei Themen gespielt haben?

Sie alle wurden mir direkt zugeordnet. Daher stand für mich außer Frage, dass ich die Verantwortung übernehme. Aber auch, dass ich mich um Aufklärung bemühe. Denn man muss in allen drei Fällen natürlich auch sehr genau sortieren, was ihre Historie, die Herkunft ist. Letztlich kann ich für mich persönlich sagen, dass ich in den vergangenen Monaten dafür gesorgt habe, die benannten Missstände und Fehler auszuräumen und in die Regelabläufe zu bringen. Das war wichtig für die Verwaltung, hat aber natürlich durch die öffentliche Diskussion zum Wahlergebnis beigetragen.

Fühlen Sie sich da ungerecht bewertet? Die Fehler sind ja passiert, wie sie selbst sagen.

Ich kann nur wiederholen, die Fehler wurden sehr komprimiert vor einer Wahl thematisiert. Und ob zu Unrecht oder Recht – das möchte ich überhaupt nicht bewerten. Für mich persönlich kann ich nur sagen: Der dadurch entstandene Zweifel an meiner Integrität hat mich sehr getroffen – mein Eindruck war, dass meine Glaubwürdigkeit Schaden nehmen sollte.

Wie haben Sie den Wahlkampf wahrgenommen?

Er war sehr hart. In einer ungewohnten Dichte wurden mit dem Tag des Bekanntwerdens meiner Kandidatur Themen aus der Verwaltung, die teils von meinen Amtsvorgängern installiert wurden und langjährige Praxis in der Verwaltung waren, hochgespült und zum Dauerthema. Selbst bis in die Verwaltung hinein wurden die Kämpfe geführt. Ein inhaltlicher Wahlkampf war von meiner Seite praktisch daher kaum möglich.

Sie sprachen von einem grundsätzlichen konservativen Ruck, für wie groß halten Sie den Anteil dessen am Wahlergebnis?

Das ist schwer zu beurteilen. Grundsätzlich spiegelt sich diese Entwicklung bei den Wahlergebnissen der AfD: Wir haben einen großen gesellschaftlichen Trend hin zur Rechten, in Deutschland, aber auch international. Ich weiß nicht, wie stark Sachthemen dort eine wirkliche Rolle spielen. Und so habe ich es auch im Wahlkampf immer wieder gesagt – die Kommunalwahl ist eine Richtungswahl. Ich stehe für eine andere Gesellschaft, für eine multikulturelle Gesellschaft, für ein Leverkusen der Vielfalt mit über Jahrzehnte langer Erfahrung in Sachen Zuwanderung.

Das spiegelt sich ja auch im Wahlergebnis nieder.

Total. Die AfD ist deutlich größer geworden.

Wie besorgt sind Sie deshalb?

Sehr besorgt. Sie müssen verstehen: Ich habe vom Beginn meiner Dienstzeit an Vielfalt in den Mittelpunkt genommen. Für mich fängt die Zuwanderungspolitik in Deutschland vor 60 Jahren mit dem Anwerbeabkommen an. Mittlerweile haben 60 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler einen multikulturellen, internationalen Hintergrund. Die Vielfalt ist unsere Lebensrealität, sie ist Leverkusen. Wer diese nicht will, lehnt auch unsere Stadt ab.

Haben Sie eine Einschätzung, was das Wahlergebnis konkret für Leverkusen bedeutet?

Die AfD ist jetzt stärker. Nun stellt sich die Frage, wie weit die Integrationsbereiche durch den neuen Rat unterstützt werden. Erst recht bei immer enger werdenden finanziellen Ressourcen. Wie werden diese eingesetzt? Wird Integration weiter gestärkt, werden die internationalen Communities unterstützt. Oder werden die Mittel zurückgefahren und damit die Möglichkeiten zur Integration geschwächt?

Das hängt natürlich auch davon ab, wer mit der AfD zusammenarbeitet oder eben nicht.

Das ist die große Diskussion, nicht nur in Leverkusen. Ich habe da eine klare Position: Für mich gibt es keine Zusammenarbeit mit der AfD.

Sie haben von unser Zeitung zum Beispiel Kritik dafür einstecken müssen, dass Sie am Montag nicht zu ihrer letzten Ratssitzung kommen, sondern dann Ihren Resturlaub nehmen. Wollen Sie dazu Stellung nehmen?

Mein Urlaub Ende Oktober ist seit langem geplant. Grundsätzlich habe ich meine privaten Termine in den vergangenen zehn Jahren dem Sitzungskalender angepasst. Dass die Sitzung vom ursprünglich 6. Oktober auf den 27. Oktober durch Beschluss des Rates verschoben wurde, war damals nicht abzusehen. Ich verstehe den Wunsch der Politik, schwierige Themen noch im alten Rat zu beschließen. Dafür muss ich diese Sitzung aber nicht mehr leiten. Hier greift daher die übliche Vertretungsregelung. Diese dient grundsätzlich dazu, die Handlungsfähigkeit der Verwaltung und der politischen Abläufe sicherzustellen. Und das ist in diesem Fall auch gewährleistet.

Wie laufen die letzten Diensttage eines OB ab?

Erst mal organisiere ich weiterhin die Übergabe mit meinem Personal zur neuen Büroleitung. Damit die Übergänge fließend sind. Das ist wichtig für das Funktionieren einer Verwaltung. Ich hatte ein Gespräch mit Stefan Hebbel. Das läuft alles sehr einvernehmlich und vertrauensvoll ab und ich wünsche ihm für seine Amtszeit alles Gute. Und es geht natürlich auch darum, mich von meinen Mitarbeitenden, die mich jetzt zehn Jahre sehr intensiv begleitet haben, zu verabschieden. Ein schwerer Moment für mich. Ohne sie hätte ich die Aufgabe des Oberbürgermeisters nicht ausüben können.

Welche Rückmeldungen haben Sie nach der Wahl bekommen?

Ich habe sehr viele Zuschriften bekommen, sehr viel Zuspruch. Dass ich stolz sein kann auf die zehn Jahre, dass ich viel erreicht habe. Grundsätzlich erlebe natürlich auch ich, dass das Amt des Oberbürgermeisters eine negative Projektionsfläche geworden ist. Nur 40 Prozent Wahlbeteiligung bei der Oberbürgermeisterstichwahl bedeutet, dass 60 Prozent der Menschen bewusst gesagt haben sie gehen nicht wählen. Und das macht mir wirklich Sorgen. Die dringende Aufgabe wird sein, zu überzeugen, dass Demokratie Freiheit und Sicherheit bedeutet. Menschen wollen in Frieden leben. Ich nehme aber wahr, dass sie derzeit das Gefühl haben, dass Demokratie die eigene Lebenssituation nicht mehr zufriedenstellend reguliert.

Es funktioniert offenbar bei vielen nicht, den Wert der Demokratie zu vermitteln.

Da stimme ich Ihnen zu. Fakt ist aber, dass wir ja vieles noch in Deutschland regeln. Wir haben Krankenhäuser, die funktionieren. Wir haben einen Ordnungsbereich, der funktioniert. Wir haben eine Verwaltung, die funktioniert, die zuverlässig ist. Haben ein Rechtssystem das auch für eine rechtsverbindliche Verwaltung steht, nicht für Willkür. Daher ist es so wichtig den Menschen verständlich zu erklären, warum man so handelt, wie man handelt, oder wieso eine Entscheidung getroffen wird. Zuhören ist wichtig. Verwaltung, Politik stehen im Dienst der Allgemeinheit. Das dürfen wir nicht vergessen.

Was sehen Sie als Erfolge ihrer Amtszeit?

In den letzten zehn Jahren haben wir so viele Krisen gemeistert. Die Corona-Krise, der Ukraine-Krieg, die Flut, die Explosion, Flüchtlinge. Das haben wir wirklich gut gemeistert. Ich habe festgestellt, wie stark die Stadt ist, gerade in Krisenzeiten. Sie zeigten, wie eng wir zusammenstehen können. Auch in der Verwaltung. Es ist eine große Leistung, welche die Stadt da vollbracht hat. Das weiß man erst im Nachhinein. Das beeindruckt mich nachhaltig. Der andere Bereich – und das ist mir wichtig – ist, dass wir seit Beginn meiner Dienstzeit die Einnahmeseite der Stadt steigern konnten. Wir kamen aus der Haushaltssicherung und sind da nach langer Zeit 2018 in meiner Amtszeit herausgekommen. Aus ihr haben wir gelernt, was Haushaltssicherung bedeuten kann: weitreichender Sanierungsstau. Daher bin ich froh, dass wir es mit dem Rat geschafft hatten, durch die Senkung der Gewerbesteuer 2021 eine sehr starke Einnahmesituation zu schaffen. Auch, wenn es Zeit brauchte den Haushalt wieder in die Waage zu bringen, positive Abschlüsse zu erzielen, Eigenkapital zu bilden, es hat sich gelohnt. Wir konnten anschließend genau dort investieren, wo es nötig war: in den Wohnungsbau, in Schulen, in Kita-Plätze, den ÖPNV.

Und dann sind die Einnahmen eingebrochen.

Ja, dann kam der Ukraine-Krieg. Ich habe bei Landes- und Bundespolitikern versucht, eine hohe Sensibilität für das Thema Industriestrompreis zu erzeugen. Das Sterben der chemischen Industrie in Deutschland, das wir derzeit erleben, trifft Leverkusen, Heimat eines der größten europäischen Chemieparks, stark. Bricht Industrie hier weg, wird es sehr schwierig sein, ausreichende Gewerbesteuereinnahmen zu erzielen. Deshalb muss für die Politik die Sicherung der Industrie ganz vorne stehen. Dazu gehören niedrige Energiekosten und stabile Produktionskosten in Deutschland, damit der Erhalt der Industriearbeitsplätze gesichert wird. Brechen diese weg hat das immense Folgen für Sozialversicherungsbeiträge, Auswirkungen auf die Krankenversicherungen, die Rentenversicherungen. Das werden wir dann nicht mehr kompensieren können.

Letztendlich ist das dann auch eine Frage des sozialen Friedens.

Total. Wir werden wichtige Projekte beispielsweise der Sozialen Träger, der sozialen Stadtentwicklung und Sicherheit unterstützen können. Die soziale Agenda der Stadt wird zurückgefahren werden müssen. Soziale Verwerfungen werden die Folgen sein. Das heißt, die Gesellschaft wird sich noch stärker polarisieren. Das ist für eine Demokratie immer schlecht.

Sie haben immer sehr vehement gegen die Megastelze gekämpft. Das scheint jetzt vergebens gewesen zu sein, oder?

Das ist ein Thema, bei dem ich sage: Da zeigt die Demokratie, dass sie manchmal doch nicht in der Lage ist, Bedürfnisse vor Ort, die wirklich vernünftig sind, die notwendig sind, umzusetzen. Ich fand das damals schon in den 70ern ziemlich unverschämt, einfach Leverkusen zu zerschneiden mit drei Autobahnen, mit Schienen, mit einer Einflugschneise des Köln-Bonner Flughafens.

Was ist in Ihrer Amtszeit falsch gelaufen?

Auf die eingangs genannten Themen möchte ich nicht nochmal eingehen. Eine bittere Niederlage für mich ist das, was mit der Gewerbesteuer passiert ist. Dass wir als Kommune nicht stark genug sind, so einzuwirken, dass die Industrie gesichert, dass der Ertrag ausreichend ist. Mein Ansatz war immer, die Ertragsseite zu stärken. Sie ist das Kapital, mit dem Stadt gestaltet werden kann.

Wenn Sie sich aussuchen könnten, was von zehn Jahren Uwe Richarth als Oberbürgermeister in Erinnerung bleiben soll, was wäre das?

Ich möchte in Erinnerung bleiben als jemand, der die Stadtgesellschaft und die Menschen zueinander gebracht hat. Der für Gerechtigkeit, für die junge Generation gekämpft hat. Der zugehört und gehandelt hat.

Leichlingens scheidender Bürgermeister Frank Steffes hat letzte Woche im Interview gesagt, dass es für Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister inzwischen vermutlich keinen Amtsbonus, sondern einen Amtsmalus gebe. Dass alles Negative, was passiert, auf diese Person projiziert wird. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?

In den vergangenen zehn Jahren Ihrer Amtszeit hat sich die Welt komplett verändert. Woran merken Sie das in der Stadt?

Einmal natürlich durch die sozialen Netzwerke. Und gerade durch den Ukraine-Krieg sind die Menschen ganz anders sensibilisiert. Sie fragen sich, ob sie noch sicher sind. Kann ich jetzt überhaupt noch hier leben? Kann Krieg ausbrechen? Das hat sich verändert. Was sich nicht verändert hat, ist die Bereitschaft für ein ehrenamtliches, gesellschaftliches Engagement und das Einmischen. Nehmen wir zum Beispiel die Tafel. Wir haben mit sehr wenigen Bedürftigen angefangen, jetzt sind es 6.000. Und die werden versorgt von 250 Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen.

Sie klingen nach wie vor engagiert.

Das bin ich auch.

Wird es Ihnen leichtfallen, sich aus allem rauszuziehen?

Ich war schon immer ein Mensch, der sich gesellschaftlich einmischt. Sie wissen vielleicht, dass ein mir sehr nahestehendes Familienmitglied afrikanische Wurzeln hat. Und mir begegnet Rassismus an jeder Ecke. Und deshalb ist das für mich ein sozialer Kampf, den ich nicht nur in den Parteien führe, den werde ich auch in der Gesellschaft weiterführen. Mein Leben lang werde ich für die soziale Gerechtigkeit und für das soziale Miteinander kämpfen. Mich gegen Ausgrenzung und Rassismus einsetzen. Und deshalb gibt es für mich sozusagen auch immer eine außerparlamentarische Opposition. Das ist mir sehr wichtig.

Was machen Sie ab November?

Ich habe jetzt 25 Jahre intensiv Kommunalpolitik betrieben. Zehn Jahre lang als Oberbürgermeister und vorher 15 Jahre in der Partei, in Ausschüssen und im Rat. Und jetzt werde ich mich mehr um meine Familie kümmern. Ich werde auch mal zur Ruhe kommen.

Werden Sie sich die Ratssitzungen angucken?

(lacht) Ich muss schauen, wie sich mein Leben jetzt in näherer Zukunft entwickelt. Ich bin erst mal froh, dass ich mich jetzt wieder auf meine Familie konzentrieren kann. Ich habe meinen Sohn sehr lange nicht gesehen. Die freuen sich schon darauf, dass wir einfach mehr Zeit miteinander verbringen.