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„Viele haben eine kurze Zündschnur“Wie Pfarrer Prößdorf und Teller auf Leverkusen blicken

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Detlev Prößdorf und Heinz-Peter Teller in St. Remigius.

In St. Remigius empfing Heinz-Peter Teller (r.) seinen Kollegen Detlev Prößdorf und den „Leverkusener Anzeiger“ zum Doppel-Interview.

Die beiden Leverkusener Pfarrer Detlev Prößdorf und Heinz-Peter Teller blicken in Teil zwei des Doppel-Interviews auf das Stadtgeschehen – was ihnen nach einem intensiven Jahr negativ aufgefallen ist.

Nach dem gesonderten Blick auf das Weihnachtsfest im ersten Teil des Doppel-Interviews schaut der „Leverkusener Anzeiger“ in Teil zwei mit Detlev Prößdorf und Heinz-Peter Teller auf die Entwicklung in Leverkusen. Wie die beiden Pfarrer den Umgang in der Stadt empfinden – und welche Herausforderungen sie für 2026 sehen.

Sie sind beide schon seit vielen Jahren tief in der Stadt verwurzelt: Wie hat sich das Verhalten der Leverkusener in der Zeit um Weihnachten und Neujahr über die Jahre verändert?

Teller: Die Grundsehnsucht nach geborgener Harmonie ist gleich, weil es in uns Menschen liegt. Es ist auch gut, dass es sowas gibt. Früher waren die Weihnachtsgeschenke und Wünsche auch ein bisschen bescheidener als heute. Einfach, weil sich die Gesellschaft verändert – teurer, schöner. Das hat aber nicht so mit Weihnachten zu tun, sondern mit der gesamtgesellschaftlichen Stimmung. Also viele haben eine kurze Zündschnur, sind schnell aggressiv. Das habe ich auch auf dem Weihnachtsmarkt beobachtet. Viele fühlen sich bedrängt, denken, sie haben keine Zeit oder haben Angst vor der Zukunft. Also so eine Mischung von Angst, Unwohlsein, Wut, die sich dann oft so verbindet zu einer latenten Wut oder Aggression. Das ist auch hier so: Wenn Leute herkommen und es nicht so klappt, wie sie das denken, sind sie auf 180. Das ist in vergangenen Jahren schon größer geworden. Und die soziale Not ist größer. Wir haben viele Obdachlose und auch Leute mit wenig Einkommen, die wir unterstützen. Die Gegensätze innerhalb der Gesellschaft, die werden schon eklatanter.

Prößdorf: Ich nehme wahr, dass wir ganz viele Bereiche haben, die überlastet sind – und sich die Menschen darin überlastet fühlen. Da sind zu wenig Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten. Da sind zu wenig Pflegerinnen und Pfleger in den Altenheimen, auch in den Krankenhäusern. Kaum ein Tag vergeht ohne diese Mangelsituation. Das ist bei meiner Frau in der GGS ähnlich. Wir brauchen auch von den Kirchen her noch eine stärkere Theologie der Entlastung. Das ist nochmal die frohe Botschaft. Hier in einem Stall, alles ist schiefgelaufen, so will auch eigentlich keiner geboren werden. Die Hirten, die ärmsten Säue der damaligen Gesellschaft, freuen sich und kommen sogar noch unerwartet aus dem Morgenland und bringen was Schönes vorbei. Weihnachten erleben, wirklich als ein Fest der Entlastung in belastenden Zeiten, da ist die große Sehnsucht. Ich finde schon, dass es sich verändert hat, dass viele zunehmend parzelliert auf ihr Eigenes gucken. Der Blick für das Ganze wird seltener. Kirche war immer eine große Solidargemeinschaft, in der richtig war, dass der Starke den Schwachen stützt. Das lässt etwas nach. Bei vielen ist dann auch eher so ein Gedanke, ich habe hier irgendetwas eingezahlt, das will ich auch wieder rausholen. Aber das ist ja nicht Sinn einer Versicherung – oder auch nicht einer Kirche.

Teller: „Ich bezahle Kirchensteuer, ich darf hier parken“, auch so Aussagen gibt es (beide lachen). Das ist schon krass.

Welches Erlebnis hat bei Ihnen in diesem Jahr einen besonders prägenden Eindruck hinterlassen?

Teller: Für mich ist der 1. Dezember ein wichtiger Tag, weil sich da immer jährt, dass ich in Leverkusen als Pfarrer angefangen habe. Da denke ich mir, wer vor 27 Jahren noch alles da war aus meiner Familie, die ich längst schon beerdigt habe – oder auch über Menschen nach, die in der Zeit dazugekommen sind. Das finde ich schon bewegend. Da sagen auch viele: ‚Schön, dass du da bist.‘ Das ist für mich immer ein besonderer Tag, wo man mir zeigt, dass es gut ist, dass ich hier bin.

Prößdorf: Mit Rückblick auf das Jahr 2025 gibt es für mich zwei Dinge. Das eine ist die ‚Woche gegen Einsamkeit‘, wo ich auch mein neues Programm vom Stapel gelassen habe: ‚Nichts singen hilft auch nicht.‘ Das war eine sehr schöne Sache mit den ganzen Veranstaltungen. Das andere ist, dass wir uns als Gemeinde sehr, sehr gefreut haben, dass wir den Kurt-Lorenz-Preis für unsere Kulturarbeit gewonnen haben. Und da waren ganz viele Menschen bei uns in der Gemeinde sehr, sehr glücklich.

Was hat Leverkusen im kommenden Jahr vor der Brust?

Teller: Da sehe ich Punkte wie die Finanzen, die Lage der Stadt, die ist nicht mehr handlungsfähig, das ist ein großes Problem. Da ist auch ein wichtiger Punkt, die Infrastruktur aufrecht zu halten, auch schön zu gestalten, damit nicht alles verkommt. Und ich hoffe, dass die Parteien in der Mitte die stärksten Kräfte bleiben. Und dem neuen Oberbürgermeister wünsche ich Gottes Segen, dem alten genauso, für mich war es mit beiden eine gute Zusammenarbeit, aber die Herausforderungen sind da.

Prößdorf: Es ist eine große Aufgabe und ich wünsche mir, dass viele Dinge lösungsorientierter angegangen werden und eine gute Bereitschaft zum Kompromiss da ist und dass vor allen Dingen die, die was haben, auch geben und teilen können. Dass wir nicht eine zunehmende Wagenburg-Mentalität von einzelnen Interessengruppen haben, die dann blockieren, sondern dass man mal guckt im Sinne des Gesamten, wo wir auch etwas geben müssen. Das würde ich mir wünschen. Und wenn die Politiker da mit gutem Beispiel vorangehen, dann schafft das auch eine Sogwirkung. Wenn die sich verheddern und verhaken, dann wird es schlimm. Dann droht auch der Effekt, dass die Mitte nicht mehr die mehrheitsfähige Lösungskompetenz darstellt.