Am 6. Juli findet in Niederkassel der Bürgerentscheid zum Bau einer ZUE statt. Wir haben einige Vorbehalte zu Geflüchtetenunterkünften geprüft.
Vor Bürgerentscheid in NiederkasselGeflüchteten-Unterkünfte im Faktencheck

Die Zentrale Unterkunftseinrichtung (ZUE) in Sankt Augustin. Auch in Niederkassel ist bisher eine ZUE geplant.
Copyright: Ralf Rohrmoser
Die Bürgerinnen und Bürger von Niederkassel entscheiden am Sonntag, 6. Juli, in einem Bürgerentscheid darüber, ob der Vertrag mit der Bezirksregierung Köln für Bau und Betrieb einer Zentralen Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete Bestand haben soll, oder gekündigt wird.
Über Unterkünfte dieser Art kursieren diverse Sorgen und Vorbehalte, die wir uns genauer angeschaut haben. Aussagen vor Ort, wie auch in den sozialen Medien reichen von „Die Kriminaltität steigt dann aber massiv an“ bis „Die Wasserversorgung ist gefährdet, wenn so viele neue Menschen in einen Ort ziehen sollen“. Ein allgemeines Fazit: die allermeisten Ängste in Bezug auf das Thema sind unbegründet – auch weil sich Politik und Ämter nicht immer auf die passendsten Statistiken berufen, wenn sie Zahlen zu Migration und Kriminalität besprechen. Im Folgenden haben wir zu sechs Aussagen in Statistiken, Analysen und bei den Behörden nachgeforscht.
Behauptung: „Die Kriminalität im Ort steigt massiv“
Check: Stimmt nicht
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„Nach Aussagen und Erfahrungen der Polizei ist tatsächlich keine Straftathäufigkeit rund um die Flüchtlingsunterkünfte zu beobachten“, schreibt die Bezirksregierung Köln. Deckt sich das mit den Fakten?
In der Region um Köln sind aktuell vier ZUE in Betrieb: in Bonn Bad Godesberg (seit 2014), Sankt Augustin und der Stadt Euskirchen (beide seit 2015), sowie in Schleiden (seit 2018). In Niederkassel und Frechen (Rhein-Erft-Kreis) sind Unterkünfte geplant. Das Balkendiagramm zeigt die Entwicklung der Kriminalität in den jeweiligen Kreisen seit 2013 laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS). In den Kreisen registriert die Polizei keinen Anstieg der Gewalt in den Jahren nach den Eröffnungen der ZUE.
Das Bundeskriminalamt schreibt 2023 hingegen, dass die gestiegenen Geflüchtetenzahlen in Deutschland durchaus mit mehr Tatverdächtigen aus dieser Gruppe korrelieren. Außerdem würden auch mehr Geflüchtete Opfer von Straftaten.
402.514 Zuwanderinnen und Zuwanderer zählt die PKS 2023 als Tatverdächtige für eine Straftat. Heißt das, wir haben 2023 fast eine halbe Million gefährliche, gewalttätige Geflüchtete in Deutschland? Nein. Zunächst: 56 Prozent dieser Gruppe zählt als Tatverdächtige, weil sie gegen Ausländerrecht verstoßen haben sollen.
Polizeiliche Kriminalstatistik bezeichnet ausschließlich Verdachtsfälle
Das kann also die illegale Einreise bezeichnen, oder Verstöße gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts. Bleiben noch 178.581 Menschen, die die Polizei für andere Straftaten verdächtigt. „Verdächtigt“ ist hier entscheidend, denn die PKS bezeichnet stets nur genau das: einen Verdacht.
Während die Statistik eine wichtige Quelle dafür ist, wie häufig bestimmte Verbrechen zur Anzeige gebracht werden, kann sie nichts darüber aussagen, wer tatsächlich schuldig gesprochen wird. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Polizei ihre Daten sammelt, um daraus die Statistik zu generieren, hat noch kein Gericht über die Schuld der Verdächtigen entschieden.
Natürlich gibt es auch Zahlen zu verurteilten Straftätern und Straftäterinnen in der Bundesrepublik. Aber eine Verlaufsstatistik, die jeden einzelnen Fall durch die Instanzen verfolgt, gibt es nicht. Um beide Kategorien trotzdem vergleichen zu können, haben wir uns in beiden Statistiken die Entwicklung über zehn Jahre zwischen 2012 und 2022 angesehen.
Mit einem Durchschnittswert für beides ergibt sich eine Verurteilungsquote von etwa 26,5 Prozent. Das heißt, etwas mehr als jeder oder jede vierte Tatverdächtige wird auch tatsächlich verurteilt. 178.581 Zuwanderinnen und Zuwanderer werden 2023 von der Polizei für eine Straftat außerhalb des Ausländerrechts verdächtigt. Wenn rund ein Viertel von ihnen tatsächlich verurteilt werden, sind das etwa 47.300 kriminelle Personen. Weit entfernt von fast einer halben Million.
Behauptung: „Da werden hunderte Leute untergebracht, mehr als Einwohnende im Ort“
Check: Teilweise korrekt, aber nicht im Verhältnis
Es stimmt, NRW nimmt mehr Geflüchtete auf als jedes andere Bundesland. Etwa ein Fünftel der Schutzsuchenden werden nach NRW geschickt. Ist dementsprechend die Dichte an Geflüchteten pro Einwohnenden hier auch am höchsten? Absolut nicht. Den größten Anteil an anerkannten Schutzsuchenden hat Bremen, dort machen sie 5,5 Prozent der Bevölkerung aus. Das hat das Statistische Bundesamt für das Jahr 2023 errechnet.
NRW liegt mit 3,5 Prozent im Mittelfeld, den niedrigsten Anteil an Geflüchteten in der Bevölkerung haben Brandenburg, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils um die 2 Prozent.
Anteil von Geflüchteten an Gesamtbevölkerung ist gering
Insbesondere wegen der ZUE in den Orten Frechen im Rhein-Erft-Kreis und Niederkassel im Rhein-Sieg-Kreis wurde in der jüngsten Vergangenheit diskutiert. Die ZUE in Frechen Königsdorf soll bis zu 300 Geflüchtete beherbergen können, die in Niederkassel Uckendorf bis zu 350.
Sowohl für Frechen, als auch für Niederkassel macht das weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Königsdorf würde um 2,5 Prozent wachsen. Uckendorf – der Ortsteil, der der in Niederkassel geplanten ZUE nahe liegt – ist allerdings deutlich kleiner. Hier macht eine voll belegte ZUE etwa ein Drittel der Bevölkerung aus.
Behauptung: „Das sind alles nur junge, muslimische Männer“
Check: Stimmt nur in Teilen
Ein Geflüchteter in Deutschland ist am wahrscheinlichsten ukrainisch, 32 Jahre alt und männlich. Er ist damit deutlich jünger als die deutsche Gesamtbevölkerung: fast 13 Jahre, die Deutschen sind Ende 2023 im Durchschnitt 44,6 Jahre alt. Männlich ist auch nur gerade so wahrscheinlicher als weiblich – 49 Prozent der Schutzsuchenden sind weiblich. Und wenn er nicht aus der Ukraine kommt, dann am wahrscheinlichsten aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Türkei.
Seit der Invasion der Ukraine durch Russland sind mindestens 1,6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland eingereist, 1,15 Millionen von ihnen sind am Stichtag 31.12.2023 noch hier. Sie sind meistens zwischen 27 und 64 Jahre alt und tendenziell eher weiblich, anders als die meisten anderen Geflüchtetengruppen.
Von 100 Menschen, die 2023 ihren ersten Antrag auf Asyl in Deutschland stellten, waren fast 80 muslimisch, berichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zehn zählten sich zum Christentum, vier gehörten keinem Glauben an. Jeweils etwa ein Antragsteller war jesidisch oder Hindu, die restlichen vier verteilten sich auf andere Religionen.
Behauptung: „Der Staat bezahlt denen bereitwillig die Zähne und für die Rentnerinnen und Rentner bleibt nichts übrig.“
Check: kaum Zusammenhang
Diese Aussage – unter anderem getätigt von Friedrich Merz – umfasst einiges. Zunächst: Gewährt Deutschland häufig Asyl? 2023 entschieden die Gerichte in erster Instanz zu 62 Prozent positiv für die Schutzsuchenden. Das ist mehr als der EU-Durchschnitt von 53,1 Prozent, aber nicht der Spitzenwert in Europa (Österreich, Schweiz, Bulgarien). 23 Prozent der Entscheidungen deutscher Gerichte über Asylanträge waren Ablehnungen, der Rest Sachentscheidungen.
Prinzipiell dürfen Asylsuchende arbeiten gehen und Geld verdienen – aber erst, wenn ihr Verfahren abgeschlossen und ihr Schutzstatus geklärt ist. Das dauert in Deutschland im Durchschnitt etwas mehr als eineinhalb Jahre. 11,9 Prozent der Verfahren dauern mehr als vier Jahre, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In dieser Zeit haben Geflüchtete also keine andere Möglichkeit, außer sich auf die Grundsicherung des Staats zu verlassen.
Geflüchtete müssen Leistungen, die sie beziehen zurückzahlen
Geflüchtete, die Leistungen beziehen, müssen diese übrigens zurückzahlen, wenn es in der Familie beispielsweise Vermögen gibt, das in gleichem Maße die Grundbedürfnisse sichern kann. Im Jahr 2023 nahm der Staat so 308,8 Millionen Euro wieder ein.
Sind in dieser Zeit die Zähne mit inbegriffen? Das Asylbewerber-Leistungsgesetz adressiert das konkret: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“ (§4) Generell sollen Geflüchtete natürlich notwendige medizinische Versorgung bekommen, so wie sie jedem und jeder in Deutschland zusteht.
Behauptung: „Unsere Versorgung ist nicht mehr gesichert, mit so vielen Menschen: Einzelhandel, Wasser, Infrastruktur.“
Check: stimmt nicht
Wir haben alle Kommunen aus der Region, in denen ZUEs stehen, gefragt, ob sie Versorgungsengpässe hatten. In allen ist die eindeutige Antwort: Nein.
Insbesondere zur Wasserversorgung sind Sorgen unbegründet. Deutschland nutzt jährlich rund 12 Prozent des neu gebildeten Grundwassers – industrielle Nutzung inklusive. Das erklärt das Umweltbundesamt. Damit sind wir weit davon entfernt, dass das Trinkwasser knapp wird. Zumal dieses Trinkwasser nicht nur aus Grundwasserbrunnen, sondern gerade im Rheinland auch aus Rheinuferfiltrat und darüber hinaus aus Talsperren gewonnen wird – so auch in großen Teilen des Rhein-Sieg-Kreises.
Auch Engpässe im Einzelhandel oder sonstiger Stress auf der Infrastruktur in den Orten ist den Kommunen nicht bekannt. In Schleiden habe man eine Bushaltestelle zur Optimierung vor der ZUE eingerichtet, schreibt eine Sprecherin. Sonst sei aber nichts aufgefallen.
Behauptung: „Kommunen müssen sehr viel Geld allein für Security ausgeben.“
Check: fast vollständig falsch
Die Zentralen Unterbringungseinrichtungen werden vom Land betrieben und bezahlt, auch der Sicherheitsdienst. Einzige Einschränkung: In der Unterkunft in Schleiden wurde in den vergangenen Jahren häufig der Feueralarm ausgelöst – sowohl wegen tatsächlicher Feuer, als auch wegen vieler Fehlalarme. Die Kosten für die Einsätze von Feuerwehr und Ordnungsdienst trägt die Kommune. In den anderen Einrichtungen der Region sind solche Vorfälle nicht bekannt.
Dieser Faktencheck bildet lediglich einen kleineren Teil der Daten und Fakten zu unseren überprüften Vorbehalten und Sorgen ab.
Ausführlichere Versionen finden Sie hier:
Faktencheck: Nein, die Kriminalität im Ort steigt nicht, nur weil eine ZUE eröffnet
Faktencheck: Doch, man kann sich in Köln und der Region noch auf die Straße trauen
Faktencheck: Nein, der Staat bezahlt nicht Geflüchteten statt Rentnern die neuen Zähne
Faktencheck: Nein unser Trinkwasser wird nicht knapp wegen der Geflüchteten