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ForschungDie Zukunft des Fliegens entsteht in Würselen

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Gerrit von Borries leitet das Innovationszentrum für Kleinflugzeuge des DLR

Gerrit von Borries leitet das Innovationszentrum für Kleinflugzeuge des DLR

In Würselen bei Aachen entstehen klimaverträgliche Flugzeugtechnologien. Seit 2021 werden dort Kleinflugzeuge entwickelt

Wenn Gerrit von Borries in die Zukunft blickt, dann ist er sich einer Sache sicher: „Menschen wollen fliegen“ – trotz Umweltbelastung. „Um diesem Wunsch nachhaltig gerecht zu werden, brauchen wir klimaverträgliche Flugzeug-Technologien.“ Und die werden im Rheinland entwickelt, genauer gesagt: am Forschungsflugplatz in Würselen bei Aachen. Dort leitet von Borries die Einrichtung Technologien für Kleinflugzeuge des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die seit 2021 das Innovationszentrum für Kleinflugzeug-Technologien (INK) betreibt.

Die Vision: Schnell sollen die Flugzeuge der Zukunft sein, perspektivisch aber insbesondere emissionsarm und leise. Piloten müssen für die Steuerung neuartiger Flugsysteme ausgebildet werden. Mit einem Blick auf Europa stehe auch die Frage im Raum, wie autark sich der Flugverkehr in den kommenden Jahren gestalten lasse, fasst von Borries die Themen knapp zusammen, mit denen sich verschiedenste interdisziplinäre Forscherteams am INK beschäftigen. Von ursprünglich zwei Mitarbeitenden ist die Zahl inzwischen auf etwa 60 angestiegen, zwei Drittel der Belegschaft sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – „Tendenz steigend“, so das DLR.

Mit dem neuen Zentrum in Würselen schaffen wir einen Ort, an dem die besten Ideen für die Luftfahrt von morgen entstehen
Mona Neubaur, NRW-Wirtschaftsministerin (Grüne)

Denn die Forschung über elektrische Antriebssysteme und (inter-)urbane Mobilität soll in den kommenden Jahren intensiviert werden. Dafür will das DLR einen neuen Hangar samt moderner Werkstätten, Technik- und Büroräumen und direktem Zugang zum Rollfeld bauen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu weiteren flugbezogenen Unternehmen und Forschungsinstituten.

Sie alle sind Teil der Transformation des Rheinischen Reviers. Wo lange Zeit Kohle abgebaut wurde, sollen sich neue Industrien ansiedeln. Unter anderem solche aus dem Bereich Aviation, wie das INK. „Mit dem neuen Zentrum in Würselen schaffen wir einen Ort, an dem die besten Ideen für die Luftfahrt von morgen entstehen“, sagt Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur (Grüne).

Die Planungsstudie für den Neubau finanziert das Land Nordrhein-Westfalen mit 3,27 Millionen Euro. Von der Förderung erhofft sich das Wirtschaftsministerium nicht nur, die Region in eine führende Position für moderne und klimaverträgliche Luftfahrtinnovationen zu versetzen. Von den High-Tech-Ideen für kleine Flugzeuge sollen in Zukunft auch große Maschinen profitieren, so der Plan. Das DLR-Institut für Future Fules (Kraftstoffe der Zukunft) in Jülich und der Flughafen Mönchengladbach, wo neue Technologien in den realen Flugbetrieb integriert werden, flankieren das Vorhaben.

Große Flieger fangen klein an

„Großes fängt oft klein an“ – der Slogan des INK könnte vor diesem Hintergrund passender nicht sein. Der Vorteil, zunächst an kleinen Geräten zu tüfteln, liegt auf der Hand: „Die Hürde, Dinge schnell, effizient und kostengünstig zu erproben, ist bei kleinen Flugzeugen geringer, auch was Zulassungen anbelangt“, erklärt von Borries, der mit dem INK derzeit acht laufende Projekte betreut.

Zum Beispiel untersuchen seine Kollegen ein neunsitziges, wasserstoffelektrisch angetriebenes Zubringerflugzeug (Hybird), das für Verbindungen zwischen kleineren Städten oder von und zu großen Flughäfen eingesetzt werden könnte.

Um dem immer höher werdenden Anteil des Flugbetriebs am Passagier- und Frachtverkehr gerecht zu werden, forscht das INK an weiteren innovativen Luftfahrzeugtypen. Im Projekt S²TOL (Silent Short Takeoff and Landing) etwa soll ein wendiger Tragschrauber entwickelt und zertifiziert werden. Anders als ein Hubschrauber, dessen Rotator durch ein Triebwerk betrieben wird, wird der Propeller durch anströmende Luft in Drehung versetzt. So ein Gerät findet sich gerade ausschließlich in der Klasse ultraleichter Luftsportgeräte wieder – es könnte aber, so die Vision des INK, laute, mit Verbrennungsmotor laufende Maschinen im urbanen Luftverkehr ablösen – aber nur dann, wenn die Anforderungen an die Flugleistung und die Wirtschaftlichkeit geklärt sind.

VR-Brillen, um das Fliegen zu lernen

Das sind nicht die einzigen Fragen, auf die das INK Antworten finden möchte. Ein weiteres Forschungsteam beschäftigt sich etwa mit den meteorologischen Herausforderungen, die den Kleinflugzeug-Betrieb besonders betreffen: das sich verändernde Klima, vereiste Landeflächen oder Luftwirbel anderer Maschinen. Außerdem werden der Nutzen von Mixed-Reality-Simulatoren (ähnlich den VR-Brillen) für das Training von Pilotinnen und Piloten und fortschrittliche Navigationstechnologien getestet.

Häufig arbeiten hier Nachwuchskräfte, die am Anfang ihrer Karriere stehen. „Dabei fördern wir nicht nur wissenschaftliches Personal, sondern zukünftig auch Auszubildende“, sagt der Leiter des Innovationszentrums, der selbst Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Maschinenbau studiert hat. In der Luftfahrt stecke ein „Riesenmarktpotenzial für NRW“, die Nachfrage werde weltweit immer größer.

Davon profitiert von Borries zufolge auch der regionale Arbeitsmarkt. „Wir haben viele junge, motivierte, hoch-qualifizierte Menschen hier, zum Beispiel von der RWTH Aachen oder der Fachhochschule, denen wir mit der Luftfahrt im Rheinischen Revier und den geschaffenen Strukturen nun eine Perspektive bieten können. Das zieht weitere Akteure an.“

Eine Win-win-Situation sozusagen, die auch die Stadt Würselen sieht. Im zukünftigen Aero-Park – allein der erste Bauabschnitt umfasst 19 Hektar (mehr als 25 Fußballfelder) – sollen sich auch Start- und Scale-ups sowie innovative, mittelständische Unternehmen ansiedeln. Seine Heimat werde „zum Reallabor des Strukturwandels“, sagt Bürgermeister Roger Nießen. Die Bevölkerung nehme die Entwicklungen positiv wahr, „und das, obwohl Fluglärm schnell ein emotionales Thema sein kann“. Doch man habe vorgesorgt, unter anderem mit einem Lärmschutzbeirat. Skeptiker will auch von Borries beschwichtigen: „Wir werden voraussichtlich nicht wöchentlich fliegen, nicht mal monatlich, sondern vielleicht ein paar Mal im Jahr.“ Zudem werde am Forschungsflugplatz und im Aero-Park aktiv daran gearbeitet, Luftfahrt nicht nur nachhaltiger, sondern auch leiser zu machen. Darauf setzt auch die Stadt, so Nießen: „Das steigert das Verständnis enorm.“