Die Frau wurde angeklagt, mehr als 1200 Euro von einer 82 Jahre alten Frau gestohlen zu haben. Dem Amtsrichter reichten die Indizien nicht.
„Es reicht knapp nicht“23-jährige Angeklagte in Prozess um Diebstahl freigesprochen

Während der Verhandlung vor dem Kölner Amtsgericht hatte ein Identitätsgutachter Fotos von der 23-Jährigen gemacht, um sie mit Bildern einer Überwachungskamera zu vergleichen.
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Während einer Gerichtsverhandlung ist es grundsätzlich verboten zu fotografieren. Eine Ausnahme von dieser Regel war am Donnerstag im Kölner Amtsgericht zu erleben. Ein Sachverständiger, der auf die Erstellung von Identitätsgutachten spezialisiert ist, machte mit einer Digitalkamera Fotos von einer 23-jährigen Frau, um sie an seinem Laptop mit den Aufnahmen der Überwachungskamera eines Bankautomaten zu vergleichen. Für sein schriftliches Gutachten, in dem er die Identität als „wahrscheinlich“ eingestuft hatte, hatte ihm weniger gutes Bildmaterial zur Verfügung gestanden. Beim Vergleich des Tatortfotos mit den neuen Bildern kam er nun zu dem Schluss, die Identität sei sogar „sehr wahrscheinlich“.
Die 23-Jährige war angeklagt, am 5. Juni 2024 in Porz zusammen mit einer Komplizin einer heute 82 Jahre alten Frau die Geldbörse aus einem Stoffbeutel gestohlen zu haben; im Portemonnaie steckten 55 Euro und eine Bankkarte. Nach dem Diebstahl habe die Angeklagte mit weiteren Frauen an einem Geldautomaten in Urbach zweimal 500 Euro abgehoben. Und am Morgen des nächsten Tages sei sie daran beteiligt gewesen, an einem Automaten in Zündorf 200 Euro zu ziehen. Insgesamt verlor die Seniorin 1255 Euro.
23-jährige Angeklagte schweigt vor Gericht
Die 23-Jährige schwieg vor Gericht. Geduldig ließ sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven fotografieren. Nach seiner Analyse präsentierte der Experte detailliert das Ergebnis am Laptop, auf dem er das nicht ganz scharfe Bild der Überwachungskamera und eines der eben gemachten Fotos nebeneinander gestellt hatte. Er wies auf eine Vielzahl von Ähnlichkeiten hin, vom gleichen Abstand zwischen Augenbrauen und Haaransatz über den „niedrigen Oberlippenraum“, die schmalen Lippen und die rundliche Kinnspitze bis zu den „abgesetzten Wangenknochen“.
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Fazit: „Unähnlichkeiten sehe ich nicht.“ Allerdings, so fügte der Sachverständige hinzu, könne er das Prädikat „höchstwahrscheinlich“ nicht vergeben, weil die Qualität des Überwachungsfotos zu schlecht sei und man darauf die Ohren nicht sehen könne. Somit entspreche der Grad der Ähnlichkeit auch nicht der höchsten Stufe der Identifikationsskala, die als „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bezeichnet ist.
Bestohlene Rentnerin glaubt Angeklagte wiederzuerkennen
Blieb, die bestohlene Rentnerin zu hören. Als sie in ein Büdchen gegangen sei, um Fahrkarten zu kaufen, seien ihr an einem Tisch in der Nähe zwei „junge Damen“ aufgefallen, die „komisch“ gewirkt hätten, sagte sie. Kurz darauf habe sie das Gefühl gehabt, jemand streife an ihr vorbei. Anschließend habe sie ein Schuhgeschäft aufgesucht, um Sandalen zu kaufen. Als sie habe zahlen wollen, habe sie die Geldbörse nicht mehr in ihrem Beutel gefunden. In der Beschuldigten meinte sie eine der Frauen wiederzuerkennen, die sie damals gesehen hatte, schränkte jedoch ein: „Zu 80 Prozent“.
Der Staatsanwältin genügte die Beweislage; sie beantragte eine achtmonatige Bewährungsstrafe. Die Angeklagte habe die „Hilflosigkeit“ der alten Frau ausgenutzt, für die 1255 Euro „viel Geld“ seien. Der Verteidiger bestand darauf, das Ergebnis des Fotovergleichs reiche für eine Verurteilung nicht aus. Ebenso wenig die 80 Prozent Wahrscheinlichkeit, mit der die Rentnerin die vermeintliche Diebin identifiziert zu haben glaubte. Aus Erfahrung lasse sich sagen: „Zeugen neigen dazu, die Person, die auf der Anklagebank sitzt, als Täter oder Täterin wiederzuerkennen.“
Der Amtsrichter folgte dem Verteidiger und sprach die 23-Jährige frei. Zu den vorliegenden Indizien sagte er: „Es reicht knapp nicht.“