Annika Salveter wird bald auf der Neumayer-Station III leben und arbeiten. Mit dabei: Kölsch und ein Teppich aus der Wolle von Rhein-Schafen.
„Kölsch wurde bewilligt“Wissenschaftlerin der Uni Köln forscht 14 Monate in der Antarktis

Die deutsche Antarktis-Forschungsstation Neumayer-Station II, ab November das Übergangszuhause von Annika Salveter.
Copyright: Stefan Christmann, Alfred-Wegener-Institut
Ekström-Schelfeis, Atka-Bucht, nordöstliches Weddell-Meer, Koordinaten 70°40'S, 008°16'W: Das ist ab November für 13 bis 14 Monate die Arbeitsadresse von Annika Salveter, Geophysikerin der Universität zu Köln. Mit acht weiteren Personen bildet Salveter das neue Team der Neumayer-Station III in der Antarktis.
„Ohne richtige Ausrüstung ist die Eiswüste tödlich“
Dort wird im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ganzjährig geforscht: Klima, Geophysik, Glaziologie, Meteorologie und Luftchemie, die Entwicklung der Kaiserpinguinkolonie an der Schelfeiskante, alles wird genau beobachtet, festgehalten und analysiert. „Ohne die richtige Ausrüstung ist die Eiswüste tödlich, doch sie birgt Datenschätze, mit denen wir unseren Planeten besser verstehen“, schreibt das AWI auf seiner Webseite über den neuen Arbeitsplatz von Salveter.

„Auf die Kaiserpinguine sind alle schon ganz scharf“, sagt die Wissenschaftlerin. Auch sie werden erforscht.
Copyright: Alfred-Wegener-Institut /Reinhard Sibberns
Der kleine Zusatz „tödlich“ macht Annika Salveter keine Angst. Während andere Menschen von einem Fallschirmsprung träumen, von einem Tiefseetauchgang, davon, die Golden-Gate-Bridge zu begehen oder Taylor Swift live zu sehen, hat die Kölner Wissenschaftlerin immer schon davon geträumt, in der Antarktis zu überwintern. „Die Bewerbung und das Gespräch waren nicht so wild“, sagt die 30-Jährige. Im vergangenen Jahr hat sie ihren Doktor in Köln gemacht, die fachliche Qualifikation als Geophysikerin stand also nicht in Rede, „aber menschlich muss es ja vor allem passen“. Denn: Wenn die aktuelle Forscher-Truppe im Februar, nach Einarbeitung und Übergabe, abreist, sind die neuen Überwinterer, die Salveter „Üwis“ nennt, rund acht Monate allein auf der Neumayer-Station III. Kein Schiff und kein Flugzeug erreicht für diese Zeit die Station.
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Neun Neulinge noch im Training in Bremerhaven
Diese neun Üwis, das sind: zwei Geophysiker, eine Meteorologin, eine Luftchemikerin, ein Koch, ein Arzt, ein Mechaniker, eine Elektrotechnikerin und ein IT-Fachmann. Noch befinden sie sich in einem Haus in Bremerhaven. Sie lernen dort alles Wichtige für die langen Monate im Eis. „Kranfahren, zahnärztliche Grundlagen für den Arzt, Assistenz bei Operationen, Bergrettung für Notfälle auf dem Gletscher, Datenverarbeitung, Bedienung der einzelnen Messgeräte, Konfliktmanagement und vieles mehr“, zählt Annika Salveter auf. „Wir lernen, autark zu sein, um die Station und die wissenschaftlichen Aufgaben in dieser Zeit am Laufen zu halten.“ Was sie in Bremerhaven, wo das Alfred-Wegener-Institut sitzt, auch schon mal üben, ist Zusammenleben. Wenn auch unter deutlich einfacheren Bedingungen.

Annika Salveter sitzt in der Wohnung in Bremerhaven auf dem Teppich aus der Wolle von Kölner Schafen. Der geht mit in die Antarktis.
Copyright: Salveter
„Wir haben alle Respekt davor, acht Monate dort isoliert zu sein“, sagt Salveter. Aber: „Wir haben ein Psychologen-Team an der Seite, mit denen wir immer per Videochat oder Whatsapp sprechen können.“ Seit Starlink, dem Satelliteninternetdienst, der von SpaceX betrieben wird, ist das möglich. Vor ein paar Jahren sei das, erzählt die Wissenschaftlerin, noch nicht so einfach gewesen – damals gab es nur eine dünne 8-Mbit-Leitung, Fotos verschicken war da schwierig.
Dass es Konflikte geben wird, ist für Annika Salveter völlig klar und logisch. Kleiner Raum, Ausnahmesituation, immer die gleichen neun Menschen, starke Belastung. „Und wenn es nur um das Nutella-Glas geht, das schon wieder leer ist.“ Aber: Auch der Arzt, der immer auch der Stationsleiter ist, hat ein offenes Ohr für alle auf der Station.
Gepäck musste bis September stehen
Bis September mussten die neuen Überwinterer das Gepäck zusammengestellt haben, das nicht mit dem Flieger kommt, sondern mit dem Schiff „Polarstern“ in die Antarktis gebracht wird. Es kommt nach der Gruppe dort an – erst ab Januar hat die neue Besatzung also wieder persönliche Erinnerungsstücke, Dinge, die das Gefühl von Zuhause und geliebten Menschen ans andere Ende der Welt transportieren sollen. Annika Salveter war sich lange nicht sicher, was in die drei Kisten kommt, aber fest stand: ein Fotokalender, gebastelt von ihrer Schwester, und ein Teppich aus der Wolle von Rheinschafen.

Martin Hoffmann mit einem Teppich-Prototypen am Rhein. Einen seiner Teppiche hat Salveter jetzt im Gepäck für ihre Forschungsreise.
Copyright: Alexander Schwaiger
Von dem Start-up „Rheinwolle“ hatte die Wissenschaftlerin im Frühjahr im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gelesen. Zu Hause, in der WG mit ihrer Schwester, weiche sie gern und oft auf das Schafsfell auf dem Boden aus, wenn viele Besucher in der Wohnung und alle Sitzgelegenheiten besetzt sind. Und das will sie auch in der Antarktis machen: „Wenn der Sturm schlimm ist, zittert die ganze Station, und ich freue mich schon darauf, auf dem Teppich zu liegen und das zu spüren.“

Auch Pistenraupen werden mit der Polarstern in die Antarktis transportiert.
Copyright: Alfred-Wegener-Institut /Thomas Steuer
Bevor es Ende des Jahres von Bremerhaven über Oslo und Kapstadt in die Antarktis geht, haben die neun zukünftigen Stationsneulinge noch einmal zwei Wochen Urlaub. Familie, Freunde, Sport, viel frische Luft und Natur, darauf würde sie sich in dieser Zeit konzentrieren, erzählt die Kölner Wissenschaftlerin. Apropos Familie: Die unterstütze ihren Traum und ihre Entscheidung von Anfang an. „Ich habe aber auch gehört, dass das bei anderen Teilnehmenden anders war, dass die Oma immer wieder sagte: Willst du das wirklich machen? Aber klar, das ist auch eine große Sache.“
Eingekauft wird auf der Station übrigens nur ein Mal im Jahr: Alles, was für die nächsten Monate im Schelfeis gebraucht wird, muss auf den Einkaufszettel. Diese Bestell-Listen, die in diesem Jahr im Mai angefertigt wurden, müssen auch bis September nach Bremerhaven gesandt und dort von den Fachabteilungen überprüft werden. Dann werden alle Materialien besorgt und zusammen mit den persönlichen Dingen der Überwinterer auf die „Polarstern“ geladen. Ein Punkt der Einkaufsliste wurde zuletzt noch wild diskutiert: Welches Bier soll mitgehen in die Antarktis? Annika Salveter und die Elektrotechnikerin, die ebenfalls aus Köln kommt, haben sich stark für Kölsch ausgesprochen.
Am Dienstag schreibt Salveter dann: „Kölsch wurde bewilligt.“ Kann losgehen.
Das Alfred-Wegener-Institut
Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) ist eines der wichtigsten deutschen Forschungszentren für Polarforschung und Meeresforschung. Es wurde 1980 gegründet und ist nach dem Geowissenschaftler Alfred Wegener benannt, der unter anderem die Theorie der Kontinentalverschiebung entwickelte.
Das AWI erforscht:
- Polargebiete (Arktis und Antarktis) – Klima, Ökosysteme, Meereis, Geologie
- Küsten- und Schelfmeere – z. B. Nordsee, Ostsee
- Globale Klimaveränderungen – Einfluss auf Ozeane, Wetter und Ökosysteme
- Biodiversität & Ökosystemforschung – von Mikroorganismen bis zu großen Meeressäugern
- Dabei werden Langzeitdaten gesammelt, um Veränderungen im Klimasystem zu verstehen und Vorhersagen zu verbessern.