Würde man nur formalen Kriterien folgen, wäre die Sache klar. In der Praxis – vor allem in der aktuellen Kölner Praxis – ist es allerdings nicht ganz einfach, ein plakatives Ranking zu erstellen.
Kommunalwahl 2025Wer hat den größten Einfluss im Kölner Rathaus?

Das Historische Rothaus aufgenommen am 18. Oktober 2015, dem Tag, an dem Henriette Reker erstmals zur Oberbürgermeisterin Kölns gewählt wurde.
Copyright: Matthias Heinekamp
Wer hat zu sagen in der Stadt? Wer ist hier verantwortlich? Die Frage nach Macht und Einfluss ist nicht nur abhängig von Ämtern und Funktionen, die wir in den vergangenen Wochen in der kleinen Serie „Wie funktioniert Kommunalpolitik?“ vorgestellt haben. Sie hat auch mit den Menschen zu tun, die sie ausfüllen, mit informellen Strukturen und Netzwerken. Würde man nur formalen Kriterien folgen, wäre die Sache klar: Platz eins in einem „Machtranking“ müsste ein Oberbürgermeister beziehungsweise eine Oberbürgermeisterin belegen. Platz zwei würde an den Chef oder die Chefin der Mehrheitsfraktion im Stadtrat gehen. Eine Stadtdirektorin müsste ebenfalls ganz vorne auftauchen. Soweit die Theorie.
In der Praxis – vor allem in der aktuellen Kölner Praxis – ist es nicht ganz einfach, ein plakatives Ranking zu erstellen. Kölns scheidende Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat zuletzt selbst ihre eigene Machtlosigkeit beklagt, als es um das aktuelle Top-Thema Verwahrlosung ging. Als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor zehn Jahren schon einmal auf diese Weise der Frage „Wer hat den größten Einfluss im Kölner Rathaus?“ nachgegangen ist, gab es einen starken Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion. Niemand hatte Zweifel, dass der damalige SPD-Fraktionschef Martin Börschel der mächtigste Mann in der Stadt war. Damals gab es in Köln ein rot-grünes Bündnis. Die ehemalige Fraktionschefin der Grünen, Barbara Moritz, war ebenfalls eine starke, bestens vernetzte Persönlichkeit mit viel Erfahrung. Unbestritten war auch die zentrale Rolle des Chefs des Büros des damaligen Oberbürgermeisters – ein Beispiel für einen Machtfaktor hinter den Kulissen ohne direkte demokratische Legitimation. All das scheint auf die aktuelle Lage in Köln nicht mehr übertragbar.
Großes Machtvakuum
Wir suchen Rat bei denen, die ganz nah dran sind. Für diese vierte und letzte Folge unserer Serie versammelt sich das Team der kommunalpolitischen Berichterstatter und Berichterstatterinnen an einem runden Tisch in der Lokalredaktion. „Wir haben ein Machtvakuum – und mit diesem Machtvakuum verbindet sich ein Qualitätsvakuum.“ Diese Feststellung ist den Redakteurinnen und Redakteuren des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wichtig. Nur wenn man das vorausschickt, könne man eine Rangliste der wichtigsten Akteure in der Kölner Kommunalpolitik aufstellen. Sonst würde ein falscher Eindruck entstehen. Vielleicht hätte man die ersten fünf Plätze einfach freilassen müssen.
Alles zum Thema Henriette Reker
- OB, Rat, Bezirksvertretung So viel verdienen die Kölner Politikerinnen und Politiker
- Smart City Index 2025 Köln wieder unter den digitalsten Städten Deutschlands
- Die Qual (vor) der Wahl Schwarze Tränen bei einer Niederlage
- „Es tropft von der Decke“ Henriette Reker bei Erstwählern – Schüler zeigen der OB Missstände auf
- Friedensbündnis Stadt Köln setzt Verleihung von Ehrenamtspreis nach Austritt der Synagogen-Gemeinde aus
- Rückblick auf Amtszeit „Anspruchsvoll, bisweilen anstrengend“ – OB Reker leitet ihre letzte Ratssitzung
- Kölner Comedia Erinnerungen an einen großen Demokraten – ein Abend über Gerhart Baum
Trotz der Prämisse wird leidenschaftlich diskutiert. Wer ist am einflussreichsten? An wen würde man sich wenden, wenn man in Köln etwas auf die Beine stellen will? Einig sind sich alle: Die Oberbürgermeisterin ist es zum Ende ihrer Amtszeit nicht. Einigkeit herrscht auch bei der Feststellung: Christiane Martin, die Fraktionschefin der stärksten Partei im Stadtrat, hat die Rolle, die ihr nach der vergangenen Kommunalwahl zugefallen war, nie ausgefüllt. Und einen starken Strippenzieher im OB-Büro hinter den Kulissen gibt es auch nicht. Nach einer halben Stunde heftiger Debatte muss abgestimmt werden: Eine Mehrheit votiert für den CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau als Nummer eins.

Bernd Petelkau (CDU-Fraktionschef)
Copyright: CDU Köln
Würden die formalen Kriterien allein entscheiden, müsste Petelkau hinter Reker und Martin rangieren. Doch im diagnostizierten Machtvakuum scheint er seine Chancen genutzt zu haben. Die CDU hatte bei der vergangenen Kommunalwahl nur Platz drei belegt. Doch schon bei den Bündnisverhandlungen mit den Grünen holte Petelkau einiges für seine Partei raus. Man darf davon ausgehen, dass keine wichtige Personalie gegen ihn entschieden worden ist. Dass der Juniorpartner im grün-schwarzen Bündnis den wichtigen Posten der Stadtdirektorin mit der CDU-nahen Andrea Blome besetzen konnte, zeigt seine Stärke und gleichzeitig die Schwäche der Kölner Grünen. Innerparteilich überstand Petelkau heftigsten Gegenwind. Seine Gegner haben sich selbst geschlagen.
Eine Analyse von Machtverhältnissen kann nur eine Momentaufnahme sein. Nach der Kommunalwahl kann sich alles ändern und verschieben. Petelkau könnte schnell aus der Rangliste purzeln, wenn die CDU ein schlechtes Wahlergebnis einfährt. Da sind seine Kollegen in den anderen Fraktionen deutlich weniger gefährdet, glauben die Kollegen.

Stadtkämmerin Dörte Diemert
Copyright: Alexander Schwaiger
Starke Stadtkämmerin
Der zweite Platz – auch hier fällt den Beobachtern der Kommunalpolitik die Entscheidung offensichtlich nicht leicht – geht an Kölns parteilose Stadtkämmerin Dörte Diemert. Wenn zu wenig Geld in der Kasse ist, kommt derjenigen, die die Finanzen verwaltet, großes Gewicht zu. Tatsächlich werden in ihrem Aufgabenbereich die wichtigsten Weichen gestellt. Diemert gilt als sehr kompetent, genießt bei allen großen Parteien einen guten Ruf. Wenn sie einem Gegenüber mit viel Fachwissen und Fachbegriffen die Kölner Welt erklärt, gibt es selten Widerworte. Eigentlich müssten die Verwaltungsbeamten politische Aufträge umsetzen. In der Praxis ist es nicht selten umgekehrt. So steht schon vor den Haushaltsberatungen des Stadtrats fast alles fest, wofür Geld ausgegeben wird.

Christiane Martin, Fraktionschefin der Grünen
Copyright: Uwe Weiser
Die Plätze drei und vier belegen die zwei Spitzen der Grünen. Ein Kollege hält den Fraktionsgeschäftsführer Lino Hammer für das eigentliche Machtzentrum der Stadt. Nichts gehe an ihm vorbei. Einfach ist die Beurteilung des Einflusses der Grünen nicht: Macht lässt sich auch an der Frage messen, ob jemand Entscheidungen blockieren oder aufhalten kann. Das gelingt den Grünen bei vielen Themen. Gegen sie Entscheidungen durchzusetzen, scheint kaum möglich. Und selbst bei politischen Voten gegen sie geben sie nicht nach. Doch eine Blockademacht – selbst wenn sie einem ehrenwerten Ziel wie dem Klimaschutz dient – ist nicht das gleiche wie gestalterische Kraft.

Lino Hammer, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen
Copyright: Uwe Weiser
Den Kölner Grünen sei es außer beim Ausbau des Radwegenetzes nicht gelungen, eine attraktive Vorstellung von einer Stadt der Zukunft zu vermitteln, die von Gestaltungswillen, konkreten Ideen oder gar Visionen geprägt ist, meinen die Kollegen. Solche Visionen fehlen freilich auch bei den anderen Parteien – nur sind diese nicht in der gleichen Position wie die Grünen, denen die Wählerinnen und Wähler bei der vergangenen Wahl eine Führungsaufgabe zugedacht hatten.
OB ohne Machtbasis

Henriette Reker (parteilos) in ihrer letzten Ratssitzung
Copyright: Arton Krasniqi
Doch wie groß sind die Spielräume eigentlich für diejenigen, die sie ausfüllen sollen? Oberbürgermeisterin Henriette Reker – im Ranking nur auf Platz fünf – hat nicht selten von den vielen Zwängen und Beschränkungen gesprochen, die andere setzen. Die Stadt muss Gesetze von Bund und Land beachten und ausführen. Reker hat aber auch immer wieder darüber geklagt, dass die kommunale Politik zusätzliche Steine in den Weg rolle. Der Oberbürgermeisterin habe die „Machtbasis“ gefehlt, so die journalistische Einschätzung. Parteilosigkeit sei eben nicht immer ein Vorteil. Außerdem habe Reker mit eigenen Entscheidungen und Meinungsänderungen immer wieder Menschen in der Stadtverwaltung frustriert. So etwas zieht in den Amtsstuben Kreise. Ihr ist es offenbar nicht gelungen, als Chefin der Stadtverwaltung ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf gemeinsame Ziele zu verpflichten.
Der jahrelang andauernde Streit um eine Platane am Bahnhof Belvedere ist ein gutes Beispiel: Trotz klarer Voten in allen politischen Gremien, vorbildlichem Bürgerengagement und eindeutiger Festlegung der OB kann ein einziges Amt die Fällung des Baumes verhindern, der ein Baudenkmal beschädigt. Der Streit um die Zukunft des geschichtsträchtigen Bahnhofsgebäudes in Müngersdorf zeigt auch, wie wichtig Akteure und Institutionen sind, die von außen auf Entscheidungsprozesse einwirken. Die Umweltverbände Nabu und BUND hatten wohl noch nie so viel Einfluss wie zurzeit.

Andreas Feicht (CDU), Geschäftsführer der Stadtwerke
Copyright: Arton Krasniqi
Ohne Wählermandat agiert auch der Mann auf Platz sechs der Rangfolge: Andreas Feicht ist der Chef der Stadtwerke und der Rheinenergie, die Stadt ist angewiesen auf die Bilanzen der städtischen Unternehmen. Feicht kann sich bei allen Prozessen entscheidend einbringen, die mit der städtischen Infrastruktur und den Aufgaben der sogenannten Daseinsvorsorge zu tun haben. Gewicht verschafft ihm nicht nur seine Kompetenz. Feicht ist auch ein erfahrener und bestens in Bund und Land vernetzter CDU-Mann. Er war Staatssekretär im Wirtschaftsministerium der Merkel-Regierung. Am runden Tisch der Lokalredaktion ist seine Platzierung die einzig unumstrittene.

Andrea Blome, Stadtdirektorin
Copyright: Dirk Borm
Über die weiteren Namen wird wieder munter debattiert. Wie stark ist die neue CDU-Chefin und Staatssekretärin im Bundesaußenministerium Serap Güler, die zuletzt Fraktionschef Petelkau stoppte, als es um die Verpachtung der Gleueler Wiese an einen Umweltverband ging? Wie weit geht der Einfluss der grünen Politpromis Katharina Dröge und Sven Lehmann? Welcher Vertreter der Opposition hat beim umstrittenen Beschluss zur Ost-West-U-Bahn maßgeblich die Weichen gestellt? War es wirklich SPD-Fraktionschef Christian Joisten oder doch der alte Hase Ralph Sterck von der FDP? Sind die anderen Dezernenten im Verwaltungsvorstand so schwach, dass außer Diemert und Stadtdirektorin Andrea Blome auf Platz sieben keiner von ihnen in den Top-Ten auftaucht?

Gerald Böse, Chef der Kölnmesse
Copyright: Arton Krasniqi
Messechef Gerald Böse schafft es ins Ranking, auch wenn er wohl nur bei wenigen Entscheidungsprozessen – dann aber mit viel Gewicht – mitmischt.

Niklas Kienitz, CDU-Fraktionsgeschäftsführer
Copyright: CDU Köln

Christian Joisten, SPD-Fraktionsgeschäftsführer
Copyright: Martina Goyert
CDU-Fraktionsgeschäftsführer Niklas Kienitz landet auf Platz neun, SPD-Fraktionschef Joisten auf Platz zehn. Auch die starke Rolle der Geschäftsführer oder der Chefs städtischer Unternehmen verdeutlicht, dass nicht jeder, der Einfluss hat und nimmt, dafür vom Wahlvolk bestimmt wurde. Das gilt ebenso für die vielen Akteurinnen und Akteure, die von außen auf die Entscheidungsprozesse einwirken. Ob sie mehr als ein Wörtchen mitreden können, hängt ab von denen, die im Rathaus das Sagen haben. Die Verbindungen zwischen einzelnen Fraktionen und bestimmten Politikern zu Vereinen und Verbänden sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Mit jeder Wahl werden die Karten neu gemischt.
Interessenvertreter mit Einfluss Grundsätzlich lässt sich sagen: Gut vernetzte Bürgergruppen, die wissen, wie man für ein Anliegen mobilisiert, werden mächtiger, während der Einfluss traditioneller Organisationen zurückgeht. Da gibt es Gruppen, die sich punktuell engagieren, oder Organisationen, die dauerhaft Lobbyarbeit betreiben.
Mancher, der Einfluss nehmen will, nutzt seine Popularität und sein Talent für gute Öffentlichkeitsarbeit, andere wissen gewichtige Institutionen und Vereine hinter sich. Dazu gehören neben dem Sprecher des Umweltverbandes BUND, Helmut Röscheisen, und der Präsidentin der Industrie- und Handelskammer, Nicole Grünewald, einige Vertreter von wichtigen „Standortfaktoren“ wie Lanxess-Arena-Chef Stefan Löcher. Der zukünftige FC-Präsident dürfte Gewicht haben, wenn er weniger Fehler macht als seine Vorgänger. Natürlich ist der organisierte Karneval eine Macht – vertreten durch Festkomitee-Präsidenten Christoph Kuckelkorn, der freilich immer nur so mächtig ist, wie ihn die großen Karnevalsgesellschaften lassen.
Das sind die Positionen der Parteien
Zu nennen wären auch ein paar Altgediente, die weiter Strippen ziehen wollen, wie der 86-jährige Ex-Manager und Vorsitzende des Stifterrats des Wallraf-Richartz-Museums, Peter Jungen, oder der Ex-Grünen-Fraktionschef Jörg Frank, der auf mehreren Spielflächen nicht nur zur Freude seiner Parteifreunde mitmischt. Eine Instanz bei allen Fragen rund um Dom, Kölner Plätze und historisches Erbe ist die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Die Kollegen aus der Lokalredaktion könnten die Liste leicht um weitere Namen fortsetzen. Auch das ist eine Momentaufnahme.
Vor zehn Jahren sah der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Gewerkschaftsbund und die Vereinigung der Wohlfahrtsverbände weit vorne, während man den Einfluss einzelner Unternehmen eher gering einschätzte. Die haben – vor allem wenn es um das Thema Bauen geht – die Stadt in den vergangenen Jahren oft vorgeführt. Seit einiger Zeit scheint sich die Gangart gegenüber Investoren wieder etwas zu verschärfen. Nicht jeder Wunsch wird mehr erfüllt.