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Kommunalwahl 2025Ehrenamtler lenken Geschicke der Millionenstadt Köln

9 min
Blick in den Kölner Ratssaal.

Blick in den Kölner Ratssaal.

Das Zusammenspiel von Politik, Verwaltung und Oberbürgermeisteramt ist kompliziert. Im Vorfeld der Kommunalwahl am 14. September erklären wir alles, was Sie wissen müssen.

Angesichts der vielen Wahlplakate, die in der Stadt hängen, kann man schon mal den Überblick verlieren – nicht nur wegen der Vielzahl an Parteien und Köpfen. Es sind gleich vier Wahlen, die zeitgleich stattfinden. Das politische System einer Stadt wie Köln ist nicht ganz unkompliziert. Als sich die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg eine kommunale Ordnung für Nordrhein-Westfalen ausdachten, ging es ihnen darum, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Die Wege der Bürger zur Verwaltung sollten kurz sein. Das Gemeinsame sollte im Vordergrund stehen.

Streng genommen ist der Stadtrat kein „Parlament“

Ein System wie auf Bundes- oder Landesebene hielt man für unpassend. So gibt es keine „Regierung“, die von einer Parlamentsmehrheit ins Amt gebracht wird. „Regierungskoalitionen“ waren genauso wenig vorgesehen, wie eine starre Opposition. Streng genommen ist der Stadtrat noch nicht einmal ein „Parlament“, da er keine Gesetze erlassen darf. Kommunale Selbstverwaltung wurde als eine Gemeinschaftsaufgabe von ehrenamtlichen Volksvertretern und einer professionellen Stadtverwaltung angesehen. Das ist lange her.

Expertinnen und Experten streiten darüber, ob diese Vorstellung von kommunaler Politik für eine Millionenstadt tatsächlich noch zeitgemäß ist. Unstrittig dürfte allerdings sein: Im Gewirr von Kompetenzen und Zuständigkeiten ist es nicht einfach, immer klar zu sagen, wer für was verantwortlich ist. Das belegt auch der aktuelle Wahlkampf: Wer sich nur sporadisch für Kommunalpolitik interessiert, wird den Botschaften auf den Plakaten kaum entnehmen können, wer in den vergangenen Jahren welche Rolle gespielt hat. Im Zweifel schimpfen alle über die parteilose Oberbürgermeisterin – das ist einfach, weil sie nicht mehr antritt.

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OB ist Chefin der Stadtverwaltung und Vorsitzende des Rates

Tatsächlich ist das hauptamtliche Oberbürgerbürgermeisteramt die zentrale Stelle, wo alles zusammenläuft. Die Oberbürgermeisterin ist sowohl die Chefin der riesigen Stadtverwaltung wie auch die Vorsitzende des Stadtrates. Gegen ihren Willen kann keine Fachverwaltung eine Beschlussvorlage für den Rat vorlegen. Bei Streit muss eine „einheitliche Verwaltungsmeinung“ hergestellt werden. Zusammen mit zur Zeit neun Dezernenten – es waren auch schon mal weniger – bildet der oder die OB den „Stadtvorstand“.

Noch ist Henriette Reker Oberbürgermeisterin.

Noch ist Henriette Reker Oberbürgermeisterin.

Mit Ministern in einer Regierung kann man die Dezernenten beziehungsweise „Beigeordneten“ nur bedingt vergleichen. Sie werden alle einzeln vom Stadtrat gewählt, ihre achtjährige Amtszeit ist aber nicht an die Wahlperiode des Rates gekoppelt. Weil es kaum möglich ist, sie zu entlassen oder abzuwählen, sitzen sie deutlich ungefährdeter an ihren Schreibtischen als ein Minister. Dass einzelne Parteien Vorschlagsrechte für diese „politischen Beamten“ beanspruchen, beruht auf Verabredungen zwischen den Fraktionen.

Jedem Dezernenten und jeder Dezernentin sind Aufgabenbereiche zugeordnet

Jedem Dezernenten und jeder Dezernentin sind bestimmte Aufgabenbereiche und die damit befassten Ämter und Dienststellen zugeordnet. Was einfach klingt, macht es in der Praxis oft kompliziert. Wenn zum Beispiel eine Kindertagesstätte gebaut werden soll, sind gleich mehrere Ämter ganz unterschiedlicher Dezernate beteiligt: Dann muss sich das Fachamt für die Kinderbetreuung mit den Zuständigen fürs Bauen absprechen. Umwelt- und Liegenschaftsverwaltung sind beteiligt, es wird um Verkehr, Sicherheit, Personal und natürlich Geld gehen. Viele mischen mit, alle machen ihren Job – aber wenn sie sich nicht einig sind, wird es ein langwieriger Prozess, der schlimmstenfalls ganz versanden kann. Beim wichtigen Thema Schule ist es noch komplexer, weil die Stadt nur für die Gebäude zuständig ist. Alles, was in den Schulen passiert, ist Sache des Landes NRW und dessen Ämterwelt.

Wahrscheinlich hatten sich die Briten das in der überschaubareren Welt nach dem Krieg anders vorgestellt: Kommunale Selbstverwaltung sollte ein weitgehend unpolitischer Prozess sein, wo alle gemeinsam nach dem Besten für die Stadt suchen. Was einige Zeit in einer damals noch sehr überschaubaren Parteienlandschaft funktioniert hat, stößt seit längerem an Grenzen: Nicht alles lässt sich einvernehmlich lösen. Es gibt Konflikte, die nicht über einen Ausgleich der Interessen, sondern mit einem klaren Votum für das eine oder andere entschieden werden müssen.

Kommunale Doppelspitze 1999 abgeschafft

Wie eine zeitgemäße politische Struktur für Köln aussehen könnte, wird seit langem diskutiert. 1999 wurde die kommunale Doppelspitze abgeschafft, die neben dem Oberbürgermeister einen Oberstadtdirektor als Verwaltungschef vorsah. Das Oberbürgermeisteramt wurde zum hauptamtlichen Job. Dazu, eine ähnliche Entscheidung auch für den Stadtrat zu treffen, sah sich das Land nicht in der Lage. Er blieb ein Gremium für engagierte Ehrenamtler mit einer Mini-Aufwandsentschädigung.

Hobby-Politikerinnen und -Politiker sollen eine Profiverwaltung kontrollieren, über einen 6,5- Milliarden-Haushalt entscheiden und die Weichen für die Stadt der Zukunft stellen. Nur einige wenige Spitzenfunktionäre sind faktisch Profipolitiker, indem sie über einen Geschäftsführer-Job oder Sonderregelungen mit ihren Fraktionen abgesichert sind. Auch Mandate im Landtag sind eine Möglichkeit, Fraktionschefs im Stadtrat ein Einkommen zu garantieren. Zurzeit sitzt allerdings kein Kölner Stadtrat gleichzeitig auch im Landtag.

Leidenschaftlicher Streit über Details

So stehen 90 mehr oder weniger ehrenamtlich tätige Politikerinnen und Politiker einem riesigen hauptamtlichen Apparat gegenüber – leicht vorstellbar, welche Auswirkungen das auf den Ablauf von politischen Entscheidungsprozessen hat. Hinzu kommt, dass sich der Stadtrat nicht selten bei einer Vielzahl von Kleinigkeiten verzettelt. Anstatt klar die Richtungen vorzugeben und die Umsetzung den Fachämtern zu überlassen, wird in Köln gerne leidenschaftlich über Details gestritten. Das hat sicherlich auch mit großem Misstrauen zu tun, das zwischen Politik und Verwaltung herrscht.

Die erfahrene Verwaltungsfrau Henriette Reker wollte das als Oberbürgermeisterin ändern und die Rollen zwischen Rat und Verwaltung wieder klarer trennen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das eine allein kaum hinbekommen kann – selbst wenn sie alle Schalthebel bedienen könnte. Der Rat spiele zu häufig Verwaltung, und die Verwaltung mache zu häufig Politik, hatte Reker vor ihrer ersten Wahl kritisiert. Die klare Trennung ist nicht gelungen, was nicht nur an den Akteuren, sondern eben auch an den Rahmenbedingungen der Kommunalverfassung liegt. Die unklare Rollenverteilung ist vom Gesetzgeber gewollt.

In anderen Bundesländern gibt es andere Modelle für die kommunale Demokratie. Da lässt sich die Frage nach Verantwortlichkeiten leichter beantworten. Und auch bei der Frage nach einer angemessenen Bezahlung von Stadträten zeigen andere Bundesländer, dass es anders geht. Man könnte auch auf die Parlamente in Bremen oder im Saarland verweisen, wo hauptamtliche Landtagsabgeordnete über Etats entscheiden, die kleiner sind als der in Köln.

Parteien bilden Koalitionen wie in einem Parlament

Trotz dieser Beschränkungen haben sich die Kölner Parteien dafür entschieden, es den Profiparlamenten gleichzutun. Die Parteien und ihre Fraktionen schließen Bündnisverträge, so wie auf Landes- oder Bundesebene Koalitionen verabredet werden. Zwingend ist das nicht. Seit der Änderung der Kommunalverfassung 1999 und Einführung der Direktwahl eines hauptamtlichen Oberbürgermeisters hat es verschiedenste Bündnisse unter Beteiligung von CDU, SPD, FDP und Grünen gegeben. Die Grünen waren fast immer dabei. 2020 wurden sie erstmals stärkste Partei. Seit 2014 arbeiten sie in einem Bündnis mit der CDU. Um eine Mehrheit im Stadtrat zu sichern, haben ihnen kleinere Parteien wie die Ratsgruppe Gut und während der zu Ende gehenden Wahlperiode Volt geholfen.

Will man die Entscheidungsprozesse in der Stadt beschreiben, muss man außerhalb des Stadtrates beginnen. Der Stadtrat ist der Ort, wo der Prozess mit einer letzten Abstimmung enden sollte. Fast immer ist jedoch vorher klar, wie eine Abstimmung ausgeht, weil alles ausführlich in Ausschüssen, interfraktionellen Besprechungen oder Gremien des Ratsbündnisses verhandelt wurde. Erste Weichenstellungen erfolgen in den Arbeitskreisen der Fraktionen. Vor der ersten Abstimmung in einem der 21 Fachausschüsse oder kleineren „Betriebsausschüsse“, in die die Fraktionen entsprechend ihrer Größe Vertreter entsenden, steht in der Regel schon fest, wohin die Reise geht.

Die meisten Beschlüsse im Stadtrat sind Abstimmungen über Vorlagen der Verwaltung

Die meisten Beschlüsse im Stadtrat sind Abstimmungen über Vorlagen der Verwaltung. Diese Vorlagen sind in den Fachämtern erarbeitet und formuliert worden. In die politischen Gremien kommt eine solche Vorlage aber nur, wenn sie die Oberbürgermeisterin oder der Oberbürgermeister „schlussgezeichnet“ hat. In diesem Fall ist die Frage nach der Verantwortlichkeit eigentlich klar geregelt. Doch nicht jede wichtige Entscheidung findet sich in einer aktuellen Beschlussvorlage, über die im Stadtvorstand oder im Stadtrat beraten werden kann. Der Streit um die Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit der Millionen Euro teuren Anmietung der ehemaligen Kaufhofzentrale ist dafür ein Beispiel.

Und selbst wenn es zu einer klaren politischen Entscheidung kommt, ist längst nicht klar, dass sie auch umgesetzt wird. In Köln dauert manches ewig, vieles verschwindet in Schubladen. Mal blockiert ein Dezernent, mal stellt sich ein Amt quer, nicht selten sind andere Dinge wichtiger. In vielen Bereichen der Verwaltung fehlt es an Personal, an anderer Stelle der Mut zum Risiko. Aber auch hier ist nicht allein die Stadtverwaltung schuld. Manchmal sind es auch starke Interessenvertreter vor Ort, die Entscheidungen zurück auf die Tagesordnung bringen. So werden auch im Stadtrat getroffene Beschlüsse gerne immer wieder mal aufs Neue verhandelt.


Bunte Vielfalt und geklaute Mandate

Neun Parteien und Gruppen mischen derzeit im Stadtrat mit. Nach der Kommunalwahl 2020 waren es sogar noch mehr. Die „FreienWähler“ sind verschwunden, „Klimafreunde“ und die Vereinigung „Gut“ sind geschrumpft und haben sich zusammengetan. Was wie Kleinigkeiten im politischen Alltagsgeschäft wirkt, ist tatsächlich ein demokratietheoretisches Problem, weil der Wählerwille nicht mehr abgebildet wird.

2020 haben Menschen ihre Stimme Parteien gegeben, die dann Vertreter und Vertreterinnen in den Rat entsandt haben. Naheliegend wäre, dass Ratsmitglieder, die ihre Partei verlassen, ihr Mandat zurückgeben und ein neuer Vertreter der gewählten Partei nachrückt. Doch das, was den meisten selbstverständlich erscheinen dürfte, interessiert die Betroffenen selten.

Im aktuellen Rat hat das dazu geführt, dass die zweitstärkste Partei bei der Wahl 2020 – die SPD – nur noch drittstärkste Kraft ist. Nur wenige Monate nach der Wahl wechselte ein Vertreter der „Klimafreunde“,  John  Akude, zur CDU. Auch die Grünen bekamen Verstärkung ohne entsprechendes Wählervotum. Thor Zimmermann kandidierte 2020 für die Vereinigung „Gut“, zu der er in der Wahlperiode zuvor von der Gruppe „DeineFreunde“ gewechselt war. Im März 2025 ging er zu den Grünen. Vom Wechselspiel profitierte auch die Satirepartei „Die Partei“.


Viel Geld, wenig Spielraum – die Finanzen der Stadt

Über sechs Milliarden Euro bewegt die Stadt Köln mittlerweile pro Jahr für den laufenden Betrieb ihrer Dienststellen und öffentlichen Einrichtungen, für soziale Hilfen und die Feuerwehr, für die Förderung von Kultur und Wirtschaft oder den Unterhalt von Schulen, Straßen und Brücken. Hinzu kommen die Millionensummen für Investitionen, über die der Stadtrat jedes Jahr auf Vorschlag der Verwaltung abstimmen muss.

1,2 Milliarden werden für Personalkosten benötigt. Weitere große Posten sind die Kindertagesbetreuung (rund 660 Millionen), die Sozialleistungen Bürgergeld und Grundsicherung (rund 600 Millionen), die Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien (223 Millionen) und die Schulmieten (rund 190 Millionen). Gigantische Beträge – doch die Zahlen täuschen. Tatsächlich sind die Spielräume der Politik gering.

Gesetze, die auf Bundes- und Landesebene gemacht werden, regeln Pflichtausgaben, die fast 90 Prozent aller Ausgaben der Stadt ausmachen. Nur bei etwa 40 Prozent dieser Ausgaben gibt es zumindest kleine Handlungsspielräume – etwa, wenn es um die Festlegung von Standards bei einigen Sozialleistungen oder der personellen Ausstattung von Ämtern geht. Als „freiwillige Leistungen“ gelten nach Schätzungen von Experten nicht viel mehr als zehn Prozent aller Ausgaben. Und auch da streiten die Verantwortlichen, ob wirklich alles „freiwillig“ ist, was darunter gezählt wird. So gilt fast der gesamte Kulturetat als freiwillige Ausgabe.