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Nach fünf Jahren als Ratsfrau„Ich brauche jetzt Zeit, um für mein Abitur zu lernen“

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Sarah Niknamtavin auf einem Wahlplakat von 2020. Im September stellt sie sich nicht erneut zur Wahl für den Stadtrat.

Sarah Niknamtavin auf einem Wahlplakat von 2020. Im September stellt sie sich nicht erneut zur Wahl für den Stadtrat. 

Sarah Niknamtavin von den Linken kandidiert nicht wieder für den Stadtrat. Es soll aber kein Abschied für immer sein. 

Frau Niknamtavin, Sie sind die jüngste Abgeordnete im Kölner Stadtrat und vor fünf Jahren mit damals 22 Jahren voller Elan als Ratsfrau der Fraktion von Die Linke in diese nun zu Ende gehende Wahlperiode gestartet. Was nehmen Sie an positiven Dingen mit aus den vergangenen fünf Jahren?

Ich hatte Zugriff auf eine der größten Bühnen, die die Stadt zu bieten hat, auf den Ratssaal der Stadt Köln, den Ort, an dem die Ratssitzungen stattfinden. Dort ist die Presse anwesend, die Oberbürgermeisterin mit der Spitze der Stadtverwaltung, die Parteien mit ihren Ratsfraktionen und es sind Zuschauer dabei, in Präsenz und am Livestream. Diese Bühne nutzen zu dürfen, um eigene Themen zu platzieren und eine Stimme nach außen zu sein, war eine tolle Erfahrung. Dazu kommt, dass man als Ratsfrau Zugang zu all den Initiativen und Verbänden in der Stadt hat, man kann hinter die Kulissen gucken und hat einen viel direkteren Zugriff auf bestimmte Informationen und Wissensstände. Was auch nicht immer gut ist.

Wieso nicht?

In den Ratssitzungen und in den Ausschüssen gibt immer auch einen nicht öffentlichen Teil. Die Beschlüsse, die dort gefasst werden, sollten transparenter gemacht werden. Ich finde, die Bevölkerung sollte immer das Recht haben, bei allem informiert zu sein.

Was wird Ihnen besonders in Erinnerung bleiben aus Ihrer Zeit als Ratsfrau?

Michael Weisenstein aus unserer Fraktion hat mal in unseren Räumen im Rathaus zum Start einer gemeinsamen Initiative ein Treffen mit Mieterinnen aus Chorweiler organisiert, deren Wohnungen erhebliche Mängel aufwiesen. Ich kam zufällig vorbei und durfte mich dazusetzen. Es wurden Fotos gezeigt, alles war voller Schimmel, das war so krass, dass ich in dem Moment alle Illusionen verloren habe. Man weiß es ja, Deutschland ist nicht nur ein reiches Land, aber dann zu sehen, dass in der eigenen Stadt Menschen wirklich so wohnen müssen, war ein Schock. Aber es war gut zu sehen, dass wir versuchen, zu helfen, dass wir mit den Menschen kämpfen, dass uns Leute vertrauen.

Konnte Die Linke in diesem Fall helfen?

Es war leider kompliziert. Der Privateigentümer der Wohnungen hatte die Modernisierung gestoppt. Wir haben im Rat dann versucht, einen Beschluss herbeizuführen, dass die GAG, die Gemeinnützige AG für Wohnungsbau, diese Bestände kauft und modernisiert. Aber wir sind damit nicht weitergekommen. Wir sind in der Opposition. Wir bekommen Anträge nicht so durch wie das Ratsbündnis.

In dem sich Grüne, CDU und Volt zusammengeschlossen haben.

Ja, diese drei Parteien haben sich entschieden, ein sogenanntes Gestaltungsbündnis einzugehen. So etwas geht natürlich auf Kosten der anderen Parteien. Es gibt Städte, etwa Leipzig, da ist das anders. Da werden im Stadtrat bei jeder Entscheidung neue, passende Bündnisse gesucht. So sind unsere Ideen nur sehr vereinzelt durchgekommen, wie etwa die Mietwucher-App. Da ist es dann auch schwer, Würdigung zu bekommen für die Arbeit, die man ja trotzdem macht. Nur weil wir diese eine politische Entscheidung im Rat verloren haben, heißt das ja nicht, dass wir dann sagen: Okay, das war es für die Mieterinnen aus Chorweiler. Wir sind trotzdem weiter im Viertel vertreten und werden uns trotzdem weiterhin über ihre Lage informieren und im Austausch bleiben.

Die Linke ist gerade im Aufwind, Sie haben bei den Bundestagswahlen in Köln das bislang beste Ergebnis eingefahren und die Umfragen sagen Ihnen auch für die Kommunalwahlen ein gutes Ergebnis voraus. Sie selbst kandidieren aber nicht mehr für den Rat. Warum nicht?

Ein Mandat zu haben, ist nicht der einzige Weg, um bei den Linken aktiv zu sein. Es ist ein unglaublich wichtiger Weg, und wer sich diesen Weg zum Beispiel auf kommunalpolitischer Ebene leisten kann – dann bitte, bitte, bitte. Wir brauchen unbedingt motivierte und starke Leute, die Lust haben, Kommunalpolitik zu machen und linke Akzente zu setzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich in zwei Jahren oder so auch nochmal ein Amt anstrebe, das Verantwortung mit sich bringt. Aber jetzt habe ich aus privaten Gründen entschieden, nicht mehr für den Rat zu kandidieren. Ich hole gerade mein Abitur nach und arbeite ja auch noch. Ich brauche jetzt Zeit, um für mein Abitur zu lernen.

Ist es ein Problem, dass Ratspolitiker zu sein ein Ehrenamt ist?

Man bekommt ja Aufwandsentschädigungen. Die sind in NRW tatsächlich sehr gering, in Bayern etwa bekommt man mehr. Dann kommt es darauf an, wie viel man an seine Partei abgeben muss, da hat jede Partei andere Regeln. Und es spielt eine Rolle, wie vielen Aufsichtsräten man angehört, was wiederum von der Position auf der Ratsreserveliste abhängt. Man kann als Ratsmitglied also ein bisschen mehr verdienen oder ein bisschen weniger. Man investiert aber auch sehr viel Zeit. Das könnte schon besser entlohnt werden – dann könnten es sich mehr Leute leisten, für den Rat zu kandidieren. So hat man da immer wieder dieselben Leute sitzen, die die finanziellen und zeitlichen Kapazitäten haben: Selbstständige, Rentnerinnen und Rentner, vielleicht ab und zu mal Studenten. Im Optimalfall sind Parlamente aber ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Es sollten also eigentlich alle Schichten vertreten sein.

Ja, wir brauchen Menschen, die Lust haben, Perspektiven aus der Schülerschaft einzubringen. Und Menschen, die Perspektiven von Menschen an der Armutsgrenze mitbringen. Wir brauchen einfach mehr Menschen, die Lust haben, kommunalpolitische Arbeit zu machen und sich das tatsächlich leisten können. Mütter, die oft große Teile der Care-Arbeit übernehmen und deshalb gar keine Zeit für den Rat haben. Wenn man wirklich ein vielfältiges Parlament haben will, dann muss man die Bedingungen so anpassen, dass sich das mehr Menschen leisten können. Und da spielt natürlich auch die Aufwandsentschädigung eine Rolle.

Wie hoch war Ihre Aufwandsentschädigung pro Monat?

Man bekommt monatlich 541 Euro. Dazu gibt es 25,50 Euro pro Ratssitzung. Und für einen Sitz in einem Aufsichtsrat gibt es eine jährliche Pauschale und für jede Sitzung, also drei bis vier Mal im Jahr, eine extra Aufwandsentschädigung. Daraus ergibt sich dann ein ungefährer monatlicher Betrag von 541 bis 800 Euro im Monat.

Aber davon geht noch ein Teil an die Partei?

Bei uns bei den Linken muss man davon normalerweise 50 Prozent an die Partei abgeben. Andere Parteien haben andere Regelungen, da sind es 20 Prozent bei der einen und 30 Prozent bei der anderen Partei. Das ist komplett unterschiedlich. Wir bei den Linken lassen uns ja nicht von Unternehmen sponsern, wir nehmen nicht in großem Maße Parteispenden an, sondern finanzieren uns über unsere Mitglieder und Mandatsabgaben. Auf der anderen Seite wollen wir niemanden daran hindern, in der Kommunalpolitik mitzuarbeiten, deshalb gibt es eine Sozialklausel. Niemand ist verpflichtet, das Prozentsatzgeld abzugeben. Man macht das, wenn man kann.

Wie kann man junge Menschen für die Arbeit in der Kommunalpolitik begeistern?

Der Stadtrat als solcher ist viel zu unbekannt. Wer weiß schon, was man da überhaupt macht? Das ist ein großes Problem. Das Parlament selber muss bekannter werden, die Verwaltung müsste Werbung dafür machen und Info-Veranstaltungen organisieren. Wenn bekannter wäre, welche Möglichkeiten dem Parlament in Köln eigentlich zustehen, dann könnte man im zweiten Schritt versuchen, junge Menschen zur Mitarbeit zu motivieren.