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Tatort Schwimmbad„Nach kurzer Zeit hat uns eine Männergruppe in die Saunen verfolgt“

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt das Kölner Agrippabad

Im Kölner Agrippabad sorgte ein Fall aus dem Jahr 2023 für bundesweite Schlagzeilen. Ein Jugendlicher wurde beschuldigt, ein Mädchen am Po und zwischen den Beinen angefasst zu haben. 

Vor wenigen Tagen sollen Männer in einem hessischen Freibad Mädchen sexuell belästigt haben. Ein Lagebild des LKA zeigt: Auch in NRW steigen die Zahlen stetig.

Der Übergriff geschah ohne Vorwarnung. Junge Männer umringten einige Mädchen, drückten sie mit dem Kopf unter Wasser, sollen sie an den Oberschenkeln und an der Brust betatscht haben. Der Verdacht der sexuellen Belästigung von acht weiblichen Badegästen im Alter zwischen elf und 17 Jahren durch vier syrische Tatverdächtige im hessischen Freibad Gelnhausen befeuert auch in NRW die Diskussion über die Sicherheit von Frauen in Schwimmbädern. 

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat das Landeskriminalamt (LKA) NRW eine Auswertung sexueller Übergriffe in Schwimmbädern übermittelt. Knapp 300 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Schwimmbädern listet das LKA NRW für das Jahr 2024 auf. Aufgeführt sind in der Analyse die Daten von vier Jahren. Wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte, besaß gut die Hälfte der 247 registrierten Tatverdächtigen keinen deutschen Pass. Diese Quote gilt auch für die beiden Jahre davor. Verglichen mit 2023 (268 Fälle) und 2022 (231 Fälle) ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr nochmals stark gestiegen. Im Schnitt ereigneten sich in jenem Zeitraum laut LKA nur jede fünfte oder sechste Sexualstraftat in Freibädern, die meist nur wenige Wochen im Jahr geöffnet haben, der weitaus größere Teil geschieht im Hallenbad. Allein 2022 verzeichnete das LKA sieben Vergewaltigungen im oder rund um das Wasserbecken.

Vor dem Hintergrund mahnt Innenminister Herbert Reul (CDU): „Ein Übergriff im Schwimmbad muss unverzüglich Konsequenzen haben. Das bedeutet: Nicht zögern und sofort die Polizei rufen! Die Täter versuchen danach immer schnell Land zu gewinnen, das muss verhindert werden. Solche Leute müssen herausfliegen, angezeigt werden und danach hart bestraft werden. Es geht hier um Straftaten, die keine Toleranz zulassen.“

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Anzeigebereitschaft der Frauen könnte gestiegen sein

Der Schweizer Kriminologe Dirk Baier findet die Ergebnisse wenig überraschend: „Zum einen liegt die Anzeigebereitschaft bei Frauen in diesem Bereich bei gerade mal zwei bis drei Prozent. Angesichts dieser niedrigen Rate besteht noch Luft nach oben.“ Der Forscher hat jedoch den Eindruck, dass es angesichts der öffentlichen Diskussionen über sexuelle Belästigung zu mehr Anzeigen kommt. „Zumal die Polizei inzwischen eher bereit ist, diese Vorwürfe ernst zu nehmen.“ Dass häufig Tatverdächtige aus dem arabischen Raum stammen, erklärt der Experte mit dem Umstand, dass die meist jungen Männer häufig in Cliquen unterwegs seien. Machogehabe spiele eine Rolle sowie „eine höhere Gewaltbelastung“. Dabei handle es sich „meist um Personen, die normale soziale Normen nicht befolgen“. Zugleich argumentiert Baier, dass gerade unter Jugendlichen die Ausländerquote höher liege als in der Gesamtbevölkerung. 

Ende September 2023 veröffentlichte die Kölner Polizei eine Mitteilung, die sich rasend schnell verbreitete. Eine 13 Jahre alte Schülerin sei im Kölner Agrippabad sexuell belästigt und genötigt worden. Der Teenager konnte sich schließlich befreien und den Bademeister informieren. Dieser alarmierte die Polizei. Das Mädchen berichtete den Beamten, dass Männer sie im Becken umringt, bedrängt und hochgeworfen hätten. Schließlich habe einer von ihnen dem Opfer an den Unterleib und den Po gefasst.

Vorfall im Kölner Agrippabad zu den Akten gelegt

Die Empörung über den Zwischenfall war enorm. Anfangs standen acht junge Männer auf der Beschuldigtenliste. Die Verdächtigen stammten aus Syrien, dem Irak und der Türkei. Gegen den Großteil wurden die Verfahren mangels Beweise eingestellt. Lediglich ein 17 Jahre alter Iraker musste sich vor dem Kölner Amtsgericht verantworten. Letztlich legte das Gericht das Verfahren auch gegen den Angeklagten zu den Akten. Im Gegenzug musste der Jugendliche eine mehrmonatige pädagogische Maßnahme absolvieren.

Anfang Februar 2025 belästigte ein 36 Jahre alter Mann im Freizeitbad Atlantis in Dorsten etliche Frauen. Er soll laut Polizei eine 43 Jahre alten Frau aus Gladbeck sowie einer zwölfjährigen Schülerin aus Meinerzhagen und einer 14-jährigen Jugendlichen aus Lüdenscheid teils unsittlich im Brust- oder Gesäßbereich berührt haben. Die Einsatzkräfte konnten den Mann stellen und vorläufig festnehmen.

Noch größer scheint die Gefahr in Saunalandschaften zu sein. Die 27 Jahre alte Kölnerin Maria, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, löste zusammen mit einer Freundin einen Gutschein in einer Wellnessoase in Düsseldorf ein. „Nach kurzer Zeit hat uns eine Männergruppe in die verschiedenen Saunen verfolgt. Die strichen sich über ihre Bärte, flüsterten untereinander und starrten uns unablässig an“, erinnert sich Maria. Als die beiden Frauen das Spa-Lokal aufsuchten, nahm die Männergruppe ebenfalls an einem Tisch Platz. „Sie forderten uns immer wieder auf, herüberzukommen, um mit ihnen eine Flasche Sekt zu köpfen.“ Maria machte den Fremden klar, dass sie nicht wollte, aber die Männer hörten nicht auf, sie anzumachen. „Mensch, stell dich nicht so an, komm rüber“, riefen sie. Maria fühlte sich belästigt, unter Druck gesetzt, als Sexobjekt herabgewürdigt. Die Rufe der Männer wurden so laut, dass der Kellner sich einschaltete und die Gruppe herauswarf. „Das ist aber kein Einzelfall, letztes Jahr waren wir im Neptun-Bad, und da kam ein älterer Herr auf mich zu und fragte, ob wir nicht zusammen einen Aufguss machten wollten. Das war abartig.“ Zur Anzeige kommen derlei Fälle sehr häufig nicht.

Bundesweit nimmt das Kriminalitätsphänomen erst seit Kurzem Konturen an. Das LKA in Hessen hat im vergangenen Jahr landesweit 74 Fälle sexueller Belästigung in den Bädern registriert, im Jahr zuvor waren es sogar 78. In 60 Prozent der Fälle waren die Tatverdächtigen Nicht-Deutsche. 55 der 57 von der Polizei ermittelten Personen waren Männer. Dennoch betonen die Ermittler, dass Schwimmbäder aus ihrer Sicht kein Kriminalitätsschwerpunkt seien.

Die allermeisten Tatverdächtige sind noch nicht volljährig

Die Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) führt Sexual-Delikte im Schwimmbad erst seit dem vergangenen Jahr überhaupt gesondert auf. Insgesamt 423 Fälle sind erfasst. Die Aufklärungsquote beträgt gut 80 Prozent. Von den ermittelten Tatverdächtigen sind 365 männlich und nur zwei weiblich. Rund zwei Drittel der Beschuldigten haben keinen deutschen Pass. Meist handelt es sich um Afghanen, Syrer und Türken. Jeder siebte Delinquent ist unter 18 Jahre alt.

Der Bundesverband Deutscher Schwimmmeister (BDS) führt die Sicherheitslücken am Beckenrand auf Personalmangel zurück. Die Zahl der Fachkräfte sinke, „dadurch besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr alles im Auge haben und entsprechend einschreiten können“, sagt der BDS-Präsident Peter Harzheim. „Leider wird immer wieder auf weniger gut ausgebildete Mitarbeiter zurückgegriffen, die nicht so vorausschauend agieren.“

Gründe für den Personalmangel seien Sparmaßnahmen nach der Corona- und Energiekrise. Zudem gehe die Generation der Babyboomer in Rente. „Die Badbetreiber mussten sparen - und gespart wird meistens beim Personal, der Sauberkeit und der Sicherheit.“

Besondere Probleme bereiten den Bädern neben sexuellen Übergriffen Prügeleien durch überwiegend junge Männergruppen. Im August 2024 kam es im Freibad Volkspark in Dortmund zu einer Schlägerei. Acht jugendliche Badegäste gingen aufeinander los. Einer von ihnen setzte Reizgas ein, zwei 15 Jahre alte Syrer wurden vorübergehend festgenommen. Im August 2024 wurden zwei Bademeister in Gelsenkirchen-Herle verprügelt, weil sie eine 20-köpfige Gruppe aufgefordert hatten, keinen Lärm mehr zu machen. Am Donnerstag schlugen Jugendliche im Freibad Hemer aufeinander ein. 

In Köln will man vor allem Kinder und Jugendliche vor sexueller Belästigung schützen. Mit einer Plakataktion in den Schwimmbädern im vergangenen Jahr sollten sie ermutigt werden, bei grenzüberschreitendem Verhalten sofort laut zu werden und Hilfe zu holen. Auch Mitarbeiter wurden geschult. Auf den Plakaten stehen Botschaften, die jeder verstehen kann: „Glotzen verboten“ zum Beispiel.