Ein offenbar psychisch erkrankter Mann sorgt in der Südstadt für Angst und Unruhe. Anwohner fühlen sich alleingelassen und fordern Hilfe – auch für den Mann selbst.
Der „Scheibenschmeißer“Offenbar psychisch kranker Mann versetzt Kölner Südstadt in Angst

Der „Bebak Boxing Club“ von Peter Frohn-Lux ist wiederholt Opfer von Vandalismus geworden.
Copyright: Alexander Schwaiger
Peter Frohn-Lux kennt sich mit Kämpfen aus. Der 62-Jährige ist Box-Weltmeister der sogenannten Master-Class für ältere Athleten. Im März hat er auf der Bonner Straße in der Südstadt den „Bebak-Boxing-Club“ eröffnet – ein Ort für Training, Workshops und hochwertige Boxausrüstung. Doch nun steht er vor einer Situation, die nicht nur ihn, sondern die ganze Nachbarschaft verunsichert. „Ein psychisch kranker Mann bedroht Anwohner und Geschäftsleute, klebt Türschlösser mit Sekundenkleber zu, zerkratzt Autos und wirft Fensterscheiben ein“, sagt Frohn-Lux. Allein die Scheiben seines eigenen Ladens seien im Oktober innerhalb weniger Tage zweimal zerstört worden.
Bei einem Besuch Mitte Oktober sind die Spuren der Angriffe noch deutlich zu sehen: Die große Fensterfront des Studios ist notdürftig mit Holzplatten verkleidet. „Das ist leider kein Einzelfall. In der ganzen Nachbarschaft weiß man, wer dahintersteckt“, sagt Frohn-Lux. Nach seinen Angaben handelt es sich um einen etwa 50-jährigen Nachbarn, dessen Name auch dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bekannt ist. „Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, wie er die Scheiben einschlägt. Teilweise gibt er die Taten sogar selbst zu, wenn man ihn darauf anspricht.“ Der Mann habe erklärt, Stimmen in seinem Kopf würden ihm befehlen, so zu handeln.
Nachbarschaft fühlt sich alleingelassen
Laut Oliver Devriel, Anwohner in der Südstadt, besteht das Problem bereits seit rund zwei Jahren. Auch er sei von dem Mann mehrfach bedroht worden, sagt Devriel. Er arbeitet in einem Obdachlosenhotel ganz in der Nähe – auch dort habe der Mann versucht, Scheiben einzuwerfen. „In der Nachbarschaft nennt man ihn nur noch den Scheibenschmeißer.“
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Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegt ein Video vor, das aus der Überwachungskamera des Hotels stammen soll. Es zeigt, wie ein maskierter Mann in der Nacht einen schweren Gegenstand gegen die Glastür schleudert, bis sie berstet. Der Mann in dem Video trägt eine Maske, äußere Ähnlichkeit zu dem Verdächtigen sind trotzdem auszumachen. Ein weiteres Video dokumentiert, wie der Mann Devriel aufs Übelste beschimpft, in seine Richtung spuckt und ihn mit dem Tod bedroht.

Peter Frohn-Lux in seinem Boxladen, der mehrfach beschädigt wurde.
Copyright: Alexander Schwaiger
„Die Bewohnerinnen und Bewohner der Südstadt fühlen sich zunehmend bedroht und massiv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt“, sagt Devriel. „Die Angst vor weiteren Eskalationen, etwa vor Brandstiftung oder tätlichen Angriffen, ist sehr real.“
Die Polizei bestätigt mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung am Boxladen von Frohn-Lux sowie „etliche ähnliche Fälle von Sachbeschädigung“ im vergangenen Jahr in der Nachbarschaft. „Das Phänomen ist uns bekannt“, sagt ein Polizeisprecher. Wegen der Persönlichkeitsrechte äußert der Sprecher sich zu dem von den Anwohnern Verdächtigten jedoch nur zurückhaltend. „In einigen dieser Fälle ist ein Täter noch nicht ermittelt, die Ermittlungen laufen.“ Der verdächtigte Mann ist aber polizeibekannt.
Die Polizei reagiere auf die Situation mit einer größeren Polizeipräsenz, so der Sprecher. Von den Behörden fühlen sich Frohn-Lux und Devriel allerdings alleingelassen. Strafanzeigen würden ins Leere laufen. „Ich appelliere daher mit Nachdruck an die zuständigen Behörden, alle rechtlich zulässigen Maßnahmen zu prüfen und zu ergreifen, um die akute Gefährdungslage im Viertel zu beenden und weitere Eskalationen zu verhindern.“
Warum die Hürden für Zwangseinweisungen so hoch sind
Doch die Hürden, um psychisch kranke Menschen gegen ihren Willen unterzubringen, sind bewusst hoch. Sie sind im Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) geregelt – einem Landesgesetz. Dort heißt es: „Die Unterbringung Betroffener ist nur zulässig, wenn und solange durch deren krankheitsbedingtes Verhalten gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders abgewendet werden kann.“ Die bloße Weigerung, sich behandeln zu lassen, reicht dafür nicht aus.
Begeht ein psychisch erkrankter Mensch hingegen eine Straftat und kommt das Gericht zu dem Schluss, dass er dafür wegen seiner Krankheit nicht verantwortlich gemacht werden kann, greift das Strafrecht: Das Gericht kann dann die Unterbringung in einer forensischen Klinik anordnen – im Rahmen eines sogenannten Sicherungsverfahrens. Es gilt als eine der einschneidendsten Maßnahmen der Justiz.
„Die Unterbringung ist zunächst einmal unbefristet. Das ist ein erheblicher freiheitsentziehender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Es muss also gründlich geprüft werden, ob wirklich eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht und die Person auch zukünftig wegen ihrer psychischen Erkrankung gefährlich ist“, erklärt Johannes Fuß. Er ist Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung an der LVR-Universitätsklinik Essen.
Forderung nach konsequenteren Einweisungen
Aus seiner Sicht braucht es eine bessere Präventionsarbeit, um psychisch kranke Menschen nachhaltiger an bestehende Hilfssysteme zu binden. „Niemand ist ja freiwillig so krank, dass er ziellos durch die Straßen irrt, Dinge zerstört oder herumschreit.“ Oftmals handele es sich um sogenannte Drehtürpatienten, die sich immer wieder aus psychiatrischen Einrichtungen selbst entlassen, da sie nicht krankheitseinsichtig seien. „Es braucht mehr Ressourcen, mehr Fachpersonal und Zeit, um solche Menschen an Kliniken zu binden und ihnen das Gefühl zu geben, dass ihnen geholfen wird.“ In manchen Härtefällen helfe es, alle Beteiligten – Klinik, Sozialarbeit und Ordnungsbehörden – an einen Tisch zu bringen. „Dann kann man gemeinsam überlegen, warum jemand immer wieder aus dem System fällt und Ärger macht, und welche Angebote der Person wirklich helfen könnten. Das erfordert Zeit, Geduld und die Bereitschaft, die Betroffenen aktiv zu unterstützen.“
Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sollte die rechtliche Möglichkeit, psychisch kranke Menschen mit erkennbarem Gewaltpotenzial auch gegen ihren Willen vorübergehend unterzubringen, konsequenter genutzt werden.
DGPPN-Präsidentin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank schrieb dazu in einem Positionspapier: „Die Autonomie der Menschen ist ein hohes und schützenswertes Gut.“ Zugleich müsse aber immer wieder zwischen individueller Freiheit und öffentlicher Sicherheit abgewogen werden. „Ich habe den Eindruck, dass wir uns in den letzten Jahren sehr weit auf die Seite der Autonomie gestellt haben und damit vermutlich höhere Risiken in Kauf genommen haben.“
Wenn ein akutes Gefährdungspotenzial nach einer Behandlung nicht mehr eindeutig nachgewiesen werden könne, würden manche Betroffene relativ schnell wieder entlassen, so Gouzoulis-Mayfrank. Das geschehe teils, obwohl sich ihr Zustand noch nicht ausreichend stabilisiert habe. „Wenn eine Person rasch entlassen und die Behandlung nicht weitergeführt wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Person bald wieder in einen akuten Krankheitszustand gerät.“
Peter Frohn-Lux hofft derweil, dass dem Nachbarn bald geholfen wird – und die Situation sich entspannt. „Der Mann kann ja auch nichts dafür, dass er krank ist“, sagt er. „Aber so geht es einfach nicht weiter.“

